Plan für Geldentzug Kein Rechtsstaat, keine Fördermittel

EU-Kommissarin Corina Cretu
Foto: LECOCQ/ EPA/ REX/ ShutterstockDie Pläne der EU-Kommission, die Auszahlung von Geldern künftig von der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards abhängig zu machen, nehmen Formen an. EU-Justizkommissarin Vera Jourová wurde von Kommissionschef Jean-Claude Juncker beauftragt, "eine Definition auszuarbeiten, wie man den Respekt vor der Rechtsstaatlichkeit fördern kann", sagte Jourová am Mittwoch.
Nun legt Regionalpolitik-Kommissarin Corina Cretu nach. "Wir müssen einen Mechanismus finden, um die Rechtsstaatlichkeit abzusichern", sagte Cretu dem SPIEGEL. "Sie ist ein fundamentaler Wert, der respektiert werden muss." Allen Mitgliedstaaten müsse bei ihrem Beitritt zur EU klar gewesen sein, "dass es nicht nur Vergünstigungen, sondern auch Pflichten und Verantwortung gibt".
Der neue Mechanismus zum Entzug von Geldern könnte frühestens ab 2021 greifen, wenn der nächste mehrjährige EU-Haushalt in Kraft tritt. Dann aber sollen laut Jourová und Cretu nicht nur die Kohäsionmittel - jenes Geld, das die Unterschiede zwischen armen und reichen Mitgliedstaaten ausgleichen soll - von der Regelung betroffen sein, sondern alle EU-Mittel. So soll laut Jourová sichergestellt werden, dass die Rechtsstaats-Bedingung - im Brüsseler Jargon "Konditionalität" genannt - für alle EU-Staaten gilt und "nicht als Bestrafung bestimmter Länder verstanden wird".
Polen, Ungarn und Rumänien im Visier
Welche Länder gemeint sind, liegt allerdings auf der Hand. Ungarn gängelt NGOs, dort werden Menschenrechte von Flüchtlingen und Migranten sowie die akademische Freiheit immer stärker eingeschränkt. In Rumänien - Cretus Heimatland - versucht die Regierung gerade, die Justiz zu schwächen und das Strafrecht zu mildern, um korrupte Politiker zu unterstützen. Man beobachte das "mit Sorge", erklärten Kommissionschef Juncker und sein Vize Frans Timmermans am Mittwoch. Gegen Polen hat die EU-Kommission wegen der dortigen Justizreform sogar ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags eröffnet, das im Extremfall zum Entzug der Stimmrechte in der EU führen kann.
Es ist das erste Mal in ihrer Geschichte, dass die EU-Kommission zu dieser Maßnahme greift. Doch sie läuft ins Leere: Sanktionen können die Mitgliedsländer nur einstimmig beschließen, und Ungarns Regierungschef Viktor Orbán hat wiederholt angekündigt, die polnische Regierung mit seinem Veto zu schützen.

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki, Ungarns Premier Viktor Orbán
Foto: Szilard Koszticsak/ APDeshalb kam die Idee auf, Verstöße gegen EU-Grundwerte mit Geldentzug zu ahnden. Umstritten war aber zunächst auch innerhalb der Kommission, ob man diesen Weg gehen sollte. Jourová hatte sich als erstes Kommissionsmitglied klar dafür ausgesprochen, Juncker aber gab sich lange skeptisch. Hinzu kam die Frage, wie genau der Geldentzug überhaupt stattfinden könnte.
"Es geht hier um Steuergelder", sagte Jourová. "Dann muss auch garantiert sein, dass es eine unabhängige Justiz und Rechtsstaatlichkeit gibt." Zwar gebe es im EU-Recht bereits zahlreiche technische Bedingungen zur Auszahlung von Geldern. "Aber dabei haben wir die wichtigen Dinge aus den Augen verloren", erklärte die Tschechin. Deshalb wolle man nun "ernsthafte Vorbedingungen" einführen und zugleich "das Mikromanagement in anderen Bereichen stoppen". Man werde über die Pläne nun eine "ernsthafte Diskussion mit den Mitgliedstaaten" führen.
Einmischung in innere Angelegenheiten
Der Entzug von EU-Geldern würde die östlichen EU-Mitglieder hart treffen, da sie zu den Hauptempfängern gehören. Polen etwa erhält derzeit das meiste Geld aus Brüssel, allein 2016 waren es rund sieben Milliarden Euro. An zweiter Stelle folgte Rumänien mit knapp sechs Milliarden, Ungarn und Tschechien lagen mit 3,6 bzw. 3,2 Milliarden auf den Plätzen vier und fünf.
Allerdings gibt es nach wie vor Zweifel, ob der Geldentzug geeignet ist, Staaten zu disziplinieren. "Die Kohäsionspolitik ist im Leben der Bürger die sichtbarste Politik der EU", meint Cretu. "Für mich wäre es schwer zu verstehen, warum die Bevölkerung wegen des Verhaltens einer Regierung weniger Krankenhäuser oder Straßen bekommen sollte."
In einer am Freitag veröffentlichten Erklärung Ungarns, Polens, Tschechiens und der Slowakei zur Zukunft Europas taucht der Konflikt um die Rechtsstaatlichkeit allerdings mit keinem Wort auf. Stattdessen betonen die Viségrad-Staaten, dass man "die Identitäten und Eigenheiten der Mitgliedstaaten respektieren" müsse. Zudem sollten die EU-Institutionen "strikt innerhalb der Grenzen ihrer vertraglichen Kompetenzen" arbeiten und das "Recht der Mitgliedstaaten zur Durchführung von Reformen" respektieren. Es ist vor allem eine Anspielung auf das Verfahren gegen Polen, das die regierende rechtsnationale PiS-Partei als Einmischung in innere Angelegenheiten betrachtet.
Zusammengefasst: Die Regierungen in Polen, Ungarn und Rumänien schleifen den Rechtsstaat - und die restliche EU kann bisher kaum mehr tun, als tatenlos zuzusehen. Die EU-Kommission will das nun ändern: Sie arbeitet an einem Mechanismus, der es erlauben soll, Mitgliedsländern bei Verstößen gegen die EU-Grundwerte Gelder zu entziehen. Die Regelung könnte mit dem neuen Mehrjahreshaushalt im Jahr 2021 eingeführt werden.