
OSZE-Gipfel: Wiedergeburt in der Retortenstadt
OSZE-Gipfel in Kasachstan Wiedergeburt in der Retortenstadt
deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
Sicher: Die ist eine nüchterne, rational denkende Frau. Aber so ganz wird auch sie nicht aus dem Kopf drängen können, was sie nun aus den Botschaftskabeln weiß. "Physisch und politisch schwach", mag sie denken, wenn sie am Mittwoch im Palast der Unabhängigkeit in Astana den italienischen Amtskollegen Berlusconi begrüßt. Und wenn Kremlchef Dmitrij Medwedew auf sie zukommt, wird ihr wohl die Erkenntnis der Amerikaner über dessen Gattin Swetlana einfallen - dass die politisch ehrgeizige Dame in Moskau "Spannung zwischen den Lagern" schafft.
"Selten kreativ", wird wiederum den beiden anderen beim Anblick von Frau Merkel in den Sinn kommen. US-Präsident Barack Obama wird seine Voraussicht preisen, sich gar nicht erst in Astana angekündigt zu haben; dafür allerdings kommt Hillary Clinton nach , die Chefin des State Departments, dessen Botschafter jetzt für so viel Wirbel sorgen.
Aber vielleicht konzentrieren sich die Politiker in Astana ja wirklich auf das Thema .
Neben Merkel - die Dienstagabend ihre Suite im Ramada Plaza von Astana bezieht - werden rund 40 weitere Staats- und Regierungschefs in Kasachstans neuer Steppenmetropole erwartet. Das ist erstaunlich, denn die OSZE - die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa - galt politisch bereits als tot.
Premiere mitten im Kalten Krieg
Dreieinhalb Jahrzehnte ist es her, dass in Finnland die erste Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zustande kam, seinerzeit noch KSZE genannt. 35 europäische Staaten plus die Sowjetunion, die USA und Kanada unterzeichneten damals die legendäre Schlussakte von Helsinki. Es war ein überraschendes Meeting mitten im Kalten Krieg: US-Präsident Gerald Ford saß drei Tage lang neben SED-Chef Erich Honecker, der poltrige KPdSU-Generalsekretär Leonid Breschnew traf auf den kühlen Norddeutschen Helmut Schmidt.
Erträumt hatten sich die Konferenz, aus der dann eine neue Organisation entstand, die Sowjets. Sie wollten ein Europa nach ihrem Gusto schaffen - also die Amerikaner vom Kontinent verdrängen, eine Front gegen China bilden, die Militärblöcke auflösen und die damalige EG schwächen. Heraus kam ein Tauschgeschäft: Der Westen erkannte die europäischen Nachkriegsgrenzen an (womit er sich nicht mehr in die Belange des Ostblocks einmischen durfte), der Osten machte im Gegenzug Zugeständnisse bei den Menschenrechten.
Fünfmal kam es danach noch zu Gipfeltreffen der OSZE - nach dem in Istanbul 1999 brachen die Begegnungen abrupt ab, seitdem herrschte nur noch Streit, und das lag vor allem an der Unzufriedenheit der Russen. Der Kreml ärgerte sich, dass der Westen nicht mehr über das Thema europäische Sicherheit und die Begrenzung der konventionellen Waffen auf dem Kontinent, sondern über Menschenrechte und Pressefreiheit reden wollte. Die setzte ein "Büro für demokratische Institutionen" und einen "Beauftragten für die Freiheit der Medien" durch.
Kasachstan feiert das "außenpolitische Hauptereignis des Jahrhunderts"
Als Experten der Organisation 2004 die Fälschungen bei der ukrainischen Präsidentenwahl dokumentierten, damit die orange Revolution auslösten und den von Moskau gestützten Kandidaten zu Fall brachten, war es mit Russlands Geduld vorbei. Präsident Wladimir Putin hatte für die einst vom Kreml angeschobene Organisation nur noch die Bemerkung übrig, sie verwandele sich in ein "vulgäres Instrument zur Sicherung außenpolitischer Interessen" bestimmter Länder.
Dass man nach elf Jahren nun doch wieder zusammenkommt, hat drei Gründe. Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew will sein Regime außenpolitisch aufwerten und kämpfte darum, als erste asiatische Macht (die mit dem westlichen Landesteil auch zur Europa gehört) den jährlichen OSZE-Vorsitz zu erhalten; er warf sein ganzes Prestige in die Waagschale, wieder einen Gipfel zustande und damit erstmals so viele politische Führer in seine Steppenhauptstadt zu bringen.
Die Russen wiederum halfen ihm dabei - weil sie bei der Modernisierung ihres eigenen Landes mehr denn je auf Europa angewiesen sind und eine Art neue OSZE kreieren wollen. Und schließlich die Amerikaner: Die brauchen Kasachstan wegen ihrer Pläne in Zentralasien und der Zugänge nach Afghanistan.
Aber zuallererst triumphiert der Autokrat Nasarbajew, der Kasachstan zusammen mit seinem Familien-Clan seit 20 Jahren wie ein Khan regiert. Er lässt in seiner Presse den Gipfel als "historischen Erfolg" feiern, bevor der überhaupt begonnen hat. Das alte Europa benötige "frisches asiatisches Blut - in jeder Hinsicht", so Nasarbajew in einem Interview. Sein Berater durfte sogar noch höher greifen: Dies sei das außenpolitische "Hauptereignis seit Beginn des 21. Jahrhunderts", verkündete er den Kasachen.
43 Millionen Dollar lässt sich die Führung die zweitägige Show kosten. Die gesamte Neustadt links des Flusses Ischim mit ihren Regierungsgebäuden und dem Veranstaltungsort ist während der Veranstaltung gesperrt und schon jetzt wie leergefegt. Studenten haben Ferien bekommen, Obdachlose wurden evakuiert. Damit die Bevölkerung nicht stört, wurden der 1. und 2. Dezember zu Feiertagen erklärt. Wir sind alle "unter Hausarrest", höhnte Radio Asattyk.
Es hakt bei den bekannten Dauerkonflikten
Um die Gipfeldokumente, die am 2. Dezember verabschiedet werden sollen, wird zwischen Ost und West allerdings noch heftig gestritten. Es ist auch keine Überraschung, wo es hakt: bei den verschiedenen Dauerkonflikten, um die die OSZE sich kümmern muss, und wieder mal bei der "menschlichen Dimension".
Gut zwei Jahre nach dem 5-Tage-Krieg werden Georgiens Präsident Saakaschwili und erstmals wieder gemeinsam an einem Tisch sitzen, Tiflis sucht die Wiederannäherung. Im Streit um die aserbaidschanische Enklave Berg-Karabach soll es hier neue Friedensgespräche zwischen dem armenischen und dem aserbaidschanischen Präsidenten geben.
Auch der Konflikt zwischen Kirgisen und Usbeken, dem im Juni 2000 Menschen zum Opfer fielen, wird zur Sprache kommen. Die geplante OSZE-Polizeimission, für die sich Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle so lautstark eingesetzt hatte, gilt noch vor ihrem Zustandekommen als gescheitert. Afghanistan wird ebenfalls ein großes Thema sein.
Dass Astana nur mit großartigen Kompromissformeln enden wird, liegt auf der Hand. In Punkt 8 der bereits fertiggestellten Gipfel-Deklaration heißt es salomonisch: "Fragen der Sicherheit und der Menschenrechte sind gleich wichtig" (russische Formulierung). Und: "Die Nichtbeachtung der internationalen Menschenrechtsstandards kann die Verbreitung des Terrorismus erleichtern" (westlicher Hinweis).
Damit in den nächsten Tagen auch ja nicht der Vorwurf aufkommt, die Amerikaner würden aus taktischen Gründen das autoritäre Regime in Kasachstan hofieren, stellte Washingtons OSZE Botschafter Ian Kelly vorab klar: Die USA seien "enttäuscht über das Tempo der demokratischen Reformen" und den Zustand der Pressefreiheit im Veranstalterland.
"Wir fürchten diese Diskussion nicht mehr", ließ der selbstbewusste Kasachen-Führer Nasarbajew daraufhin lakonisch ausrichten. Die Staatschefs sollten sich diese Woche in Astana aber bitte sehr auf die "wirklich bedeutenden Fragen des internationalen Lebens" konzentrieren.