Pakistan Der Fluch über dem Bhutto-Clan

Benazir Bhutto kam bei dem gestrigen Anschlag knapp mit dem Leben davon - doch ihre Familie verfolgt nach pakistanischer Lesart ein Fluch. Zulfakir Ali Bhutto, ihr Vater und der erste gewählte Regierungschef Pakistans, starb am Galgen, ihre Brüder wurden ermordet.
Von Olaf Ihlau

Hamburg - Die Insassen des Distriktgefängnisses von Rawalpindi trommelten aus Protest und schlugen mit ihren Blechnäpfen gegen die Zellentüren, als Pakistans erster ziviler Regierungschef Zulfikar Ali Bhutto am frühen Morgen des 4. April 1979 zur Hinrichtung geführt wurde.

Trotz vieler Gnadengesuche führender Staatsmänner aus aller Welt bestand Pakistans Präsident und Militärherrscher Zia ul-Haq auf der Vollstreckung des Todesurteils, zu dem der Oberste Gerichtshof den 51-jährigen Ex-Premier verurteilt hatte. Dies nach einer Justizfarce wegen angeblicher Anstiftung zu einem politischen Mord. "Allah sei mir gnädig, ich sterbe unschuldig", lauteten Bhuttos letzte Worte, als sich auf einem gemauerten Galgen im Gefängnishof das Falltor unter seinen Füßen öffnete, betätigt von einem Henker, der im islamischen Staat "der Reinen" zur Minderheit der Christen zählte.

Bhutto war als Chef der Volkspartei PPP ein Tribun mit despotischen Allüren gewesen, Spross einer reichen Großgrundbesitzerfamilie in der Provinz Sindh, gewandt auf dem internationalen Parkett. "Kontinuität ist ein Zeichen von Mediokrität", pflegte Bhutto gerne zu spötteln, wurde er auf seine vielen politischen Kehrtwendungen angesprochen.

Eine Katastrophe für sein Land, die er selber mitverantwortet hatte, brachte ihn an die Regierungsspitze: Der Abfall Ost-Pakistans mit der Gründung von Bangladesch, dem Land der Bengalen - nach einem Blutbad der Armee in Dacca, das Indiens Truppen Ende 1971 zum Eingreifen veranlasste. Der dritte indo-pakistanische Bruderkrieg innerhalb von vierundzwanzig Jahren war schnell entschieden, und er sah, wie die beiden vorangegangenen, die Inder als Sieger. Die Islamische Republik Pakistan aber hatte innerhalb von vierzehn Tagen mehr als die Hälfte ihrer Bevölkerung verloren. Verstört sah die Welt das Bild des theatralisch weinenden Bhutto am Rednerpult der Vereinten Nationen.

Demokratische Regentschaften blieben in Pakistan Episoden, meist regierten Militärs das Land als Oberste Kriegsrechtsadministratoren. Auch Bhutto war nur eine kurze Amtszeit beschieden, dann wurde er durch einen Putsch seines frömmelnden Armeechefs Zia ul-Haq, den sie die "lächelnde Kobra" nannten, entmachtet und verhaftet.

Eine nach Indien geschmuggelte letzte Rechtfertigungsschrift Bhuttos machte für sein schmähliches Ende eine "ausländische Verschwörung" gegen seine Nuklearpolitik verantwortlich, weil er die "islamische Bombe" anstrebte, "selbst wenn das Volk dafür jahrelang Gras fressen muss". Immerhin hatte ihm kein Geringerer als Henry Kissinger gedroht: "Wir werden an Ihnen ein Exempel statuieren."

Bhutto sah in seiner Tochter die "pakistanische Indira"

Wenige Stunden vor seiner Exekution, beim Abschiedsbesuch im Gefängnis, nahm Bhutto seiner Lieblingstochter Benazir das Versprechen ab, seine "Mission" weiterzuführen. Er sah in ihr die "pakistanische Indira", das Pendant zu Nehrus Tochter Indira Gandhi in Indien, mit der er nach dem Bangladesch-Desaster im Himalaja-Kurort Simla Friedensverhandlungen geführt hatte. Benazir war bei diesem Treffen zugegen, blickte bewundernd auf "diese Frau aus Seide und Stahl", die zu ihrem politischen Vorbild wurde.

Dabei hatte die Bhutto-Tochter als gefeierte Oxford- und Harvard-Absolventin durchaus Eigenständiges vorzuweisen. Sie war eine attraktive Erscheinung mit aristokratischer Autorität, die gelegentlich die herrische Attitüde des Vaters durchschimmern ließ. Von ihrer persischen Mutter, Begum Nusrat, hatte Benazir das schmal geschnittene Gesicht geerbt mit der schlanken Nase und den kohlrabenschwarzen Augen. Politisch ordnete sie sich als "demokratische Sozialistin" ein, verstand sich als Vorkämpferin für die "Rechte des Volkes".

Das "kleine, verzogene Mädchen", wie General Zia die Bhutto-Tochter abfällig zu nennen pflegte, war für den Militärmachthaber gleichwohl ein gefährlicher Gegner. 36 Monate verbrachte Benazir in pakistanischen Gefängnissen oder unter Hausarrest, gut zwei Jahre danach im westeuropäischen Exil. Als der General dann unter Druck der USA zum Jahreswechsel 1986 das Kriegsrecht aufhob, "um der Demokratie eine Chance zu geben", kehrte Benazir im Triumphzug in ihre Heimat zurück mit dem Ziel, ihren Erzfeind zu bekämpfen und den Tod des Vaters zu rächen. Dieser Aufgabe hatten sich zuvor auch ihre beiden Brüder Murtaza und Shahnawaz verschworen.

Auch die Brüder von Benazir waren Tote auf Abruf

Vom sowjetisch besetzten Nachbarland Afghanistan aus organisierten diese mit ihrer Guerillatruppe Al-Zulfikar subversive Aktionen gegen das Militärregime in Pakistan. Viel spricht dafür, dass die Bhutto-Sprösslinge den Anschlag mit vorbereiteten, der dann zum Absturz der Präsidentenmaschine und zu Zias Tod im August 1988 führte.

Das in Islamabad kursierende böse Wort, auf der Bhutto-Familie laste ein Fluch, sollte sich erneut bestätigen. Auch die Söhne Bhuttos waren Tote auf Abruf. Im südfranzösischen Exil erwischte der pakistanische Geheimdienst Shahnawaz, der in einem fein eingefädelten Eifersuchtskomplott von seiner afghanischen Frau, einem bildhübschen Mädchen, vergiftet wurde. Und Murtaza starb 1996 in Karatschi bei einem Feuergefecht ausgerechnet mit Polizisten der Regierung seiner Schwester Benazir, die es zur ersten islamischen Premierministerin gebracht, aber sich mit ihrem Bruder politisch überworfen hatte. Verzweifelt warf sich Benazir im weißen Trauergewand vor die Bahre des Toten.

Bald darauf wurde sie wegen Verwicklung in Korruptionsskandale und Unfähigkeit abgesetzt und ging abermals ins Exil.

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