Pakistan und Bin Laden Amerikas undurchschaubarer Partner

Pakistans Präsident Zardari: "Vorwürfe, wir wären unehrlich"
Foto: Ishara S.KODIKARA/ AFPDie klaren Worte von Präsident Asif Ali Zardari richteten sich am Dienstag gegen die USA. "Es gibt Vorwürfe, Pakistan würde den Anti-Terror-Kampf nur halbherzig führen oder, ärgerlicher noch, wir wären unehrlich und würden die Terroristen, von denen wir behaupten, sie zu jagen, in Wahrheit beschützen." Diese Spekulationen entbehrten jeder Grundlage. "Sie machen eine gute Schlagzeile, aber sie spiegeln keine Fakten wider."
Pakistan steht derzeit blamiert da: Im Herzen des Landes wurde Osama Bin Laden, der meistgesuchte Terrorist der Welt, von US-Spezialkräften aufgespürt und in der Nacht zu Montag von einem amerikanischen Sonderkommando getötet. Nach Angaben von Präsident Barack Obamas Anti-Terror-Berater John Brennan hat Bin Laden "fünf bis sechs Jahre" unbehelligt auf einem großzügigen Anwesen gelebt.
Pakistanische Sicherheitskräfte sprachen zunächst noch von einer "hochgeheimen gemeinsamen Aktion von amerikanischen und pakistanischen Sicherheitskräften". Am Montagnachmittag hieß es nur noch, die USA hätten Pakistan kurz vor dem Zugriff gegen 1 Uhr nachts informiert, so dass pakistanische Soldaten den Ort weiträumig abriegeln konnten. Jetzt steht fest: Washington hat Islamabad überhaupt nicht informiert.
Das pakistanische Militär in Abbottabad wurde vom Einfliegen amerikanischer Hubschrauber überrascht und sperrte den Ort erst ab, als es von der bereits laufenden Aktion erfuhr und einer der US-Helikopter eine Bruchlandung erlitt. "Die ersten Äußerungen von der pakistanischen Armee und vom Geheimdienst ISI müssen wohl gemacht worden sein, um das Gesicht zu wahren", sagte ein amerikanischer Diplomat in Islamabad.
"Wir wurden komplett überrascht"
Am Dienstag schließlich räumten ISI-Vertreter gegenüber SPIEGEL ONLINE ein, nicht informiert worden zu sein. "Wir wussten, ich muss es leider so sagen, nichts. Wir wurden komplett überrascht." Ein Offizieller des Geheimdienstes gab außerdem Fehler bei der Suche nach Bin Laden zu. So habe man das Anwesen im Jahr 2003, als das Haus gebaut wurde, untersucht, aber keine Spuren gefunden. "Seither hatten wir es nicht mehr auf unserem Radar." Dabei hielt sich dort aber nach US-Erkenntnissen seit längerem ein Verbindungsmann des Terrorchefs auf. Man wolle jetzt bei der Beantwortung der Frage, warum Bin Laden sich nahe einer hoch gesicherten Militärakademie verstecken konnte, helfen, kündigte der ISI-Mann an.
Die pakistanische Regierung betonte am Dienstag, man stehe nach wie vor "felsenfest auf der Seite der USA im Anti-Terror-Kampf". "Wir wussten zwar nichts von der Aktion, aber wir haben seit 2009 Informationen über das Anwesen mit der CIA und anderen befreundeten Geheimdiensten geteilt", heißt es in einer Mitteilung des Außenministeriums. Es habe Erkenntnisse gegeben, dass sich "einige verdächtige Ausländer" in der Region aufhielten. Die USA und die CIA hätten bestätigt, dass letztlich die vom ISI zur Verfügung gestellten Informationen zur Tötung Bin Ladens geführt hätten, heißt es in der Erklärung weiter.
Berichte, wonach die US-Hubschrauber vom pakistanischen Luftwaffenstützpunkt in Ghazi starteten, seien "absolut falsch und inkorrekt". Vielmehr seien die amerikanischen Helikopter über "blinde Stellen" in der Radarüberwachung unbemerkt in pakistanischen Luftraum eingedrungen. Das Außenministerium bestätigte, dass die pakistanische Luftwaffe Kampfjets aufsteigen ließ, als das Eindringen der Amerikaner bemerkt wurde und unklar war, um wen es sich dabei handelte.
Der ISI-Mann berichtete, man habe eine Ehefrau Bin Ladens, eine Tochter sowie "acht bis neun Kinder, die aber nicht Bin Ladens Kinder seien" und die das US-Sonderkommando nach dem Einsatz in dem Haus zurückgelassen hatte, in Gewahrsam genommen. Ihren Aufenthaltsort wollte er "aus Sicherheitsgründen" nicht nennen.
Regierungsbeamte sagten jedoch, der Aufenthaltsort der Frauen und Kinder sei "entweder in der ISI-Kaserne in Abbottabad oder im Hauptquartier in Islamabad". Nach Angaben des Geheimdienstes werde diesen Personen nichts vorgeworfen, man werde sie nach jetzigem Ermittlungsstand nicht anklagen. "Wir wollen aber die Gelegenheit nutzen, so viel wie möglich von ihnen über Osama Bin Laden zu erfahren." Sobald die Vernehmungen beendet seien, würden sie entlassen und in ihre Heimatländer, nach Saudi-Arabien und in den Jemen, abgeschoben. Außerdem habe man "einige Dokumente" sichergestellt, die jetzt ausgewertet würden. Der größte Teil der Dokumente und der Informationen auf Computerfestplatten sei aber in Händen des US-Geheimdienstes CIA.
Bei dem Zugriff auf Bin Laden waren nach übereinstimmenden Angaben aus Washington und Islamabad Bin Laden, eine seiner Ehefrauen sowie drei weitere Männer getötet worden. Eine Person sollen die Amerikaner nach ISI-Angaben lebend mitgenommen haben, vermutlich einen Sohn Bin Ladens. Eine etwa zwölfjährige Tochter des Top-Terroristen habe miterleben müssen, wie ihr Vater mit zwei Kugeln von einem US-Soldaten erschossen wurde.
In Washington glaubt man den Beteuerungen aus Islamabad nicht, von Bin Ladens Versteck nichts gewusst zu haben. Es sei "unvorstellbar", dass der Terrorchef keine Unterstützung von Pakistan erhalten habe, sagte Barack Obamas Anti-Terror-Berater John Brennan. "Wir versuchen herauszufinden, wie er in der Lage war, sich dort so lange zu verstecken." Auch im US-Kongress werden Zweifel laut an der pakistanischen Darstellung, nichts von Bin Ladens Aufenthaltsort gewusst zu haben.
"Das gefährlichste Land der Welt"
In einem am Dienstag veröffentlichten Gastbeitrag für die "Washington Post" schrieb Staatschef Zardari, Pakistan sei "das weltgrößte Opfer von Terrorismus". Tatsächlich sind dort in den vergangenen Jahren mehr Zivilisten bei Terroranschlägen und mehr Soldaten bei Anti-Terror-Einsätzen ums Leben gekommen als in Afghanistan.
Die Regierung in Islamabad wiederum hat selbst Zweifel an der Aufrichtigkeit der USA bei der Partnerschaft im Kampf gegen den Terror. Der Anti-Amerikanismus im Land hatte Auftrieb erhalten, als Ende Januar ein CIA-Söldner zwei Pakistaner auf offener Straße in Lahore tötete und anschließend, auf Druck aus Washington, nach Zahlung eines Blutgeldes freikam.
Doch jetzt steht Pakistan als unaufrichtiger Partner da: Entweder haben Armee und Geheimdienst tatsächlich nichts vom Versteck Bin Ladens mitbekommen, was peinlich wäre - oder sie wussten davon. Dann sind die offiziellen Regierungsangaben eine Lüge, was noch schlimmer wäre.
Die USA werfen Pakistan seit Jahren vor, ein "doppeltes Spiel" zu spielen, also einerseits Anti-Terror-Partner sein zu wollen und entsprechende milliardenschwere Hilfen aus Washington zu kassieren, andererseits aber insgeheim die Extremisten zu unterstützen oder ihnen zumindest Unterschlupf zu gewähren. Auf diesem Misstrauen beruhen auch die amerikanischen Drohnenangriffe im Westen Pakistans auf Terroristenstellungen, bei denen jedoch häufig auch Zivilisten ums Leben kommen - was das ohnehin fragile Verhältnis zwischen Pakistan und den USA noch mehr belastet.
Die Armut befeuert den Terror
Bruce Riedel, ehemaliger CIA-Mann und Berater mehrerer US-Präsidenten, nannte Pakistan vor Jahren in einem internen Papier das "gefährlichste Land der Welt". Das Magazin "Newsweek" griff das mit einer entsprechenden Titelgeschichte auf. Riedel steht noch heute zu dieser Einschätzung: In Pakistan, schreibt er, träfen "alle Alpträume des 21. Jahrhunderts - Terrorismus, nukleare Proliferation, die Gefahr eines Atomkrieges, Diktatur, Armut und Drogen - an einem Platz zusammen". Zudem entscheide sich in dem Land das Überleben und die Entwicklung des Terrornetzwerks al-Qaida. Der Schlag gegen Bin Laden beweist es einmal mehr.
Es ist eine pessimistische Einschätzung des Ex-CIA-Mannes. Die gesamte Situation ist gleichwohl komplizierter: Pakistan hat in den achtziger Jahren die Widerstandkämpfer gegen die sowjetischen Besatzer in Afghanistan, die Mudschaheddin, mit amerikanischer und saudischer Hilfe unterstützt. Selbst die demokratischen pakistanischen Regierungen unter Benazir Bhutto und Nawaz Sharif, die nicht im Verdacht standen, Islamisten zu sein, finanzierten die Kämpfer - in der Hoffnung, nach einem Sieg eine Pakistan-freundliche Regierung in Kabul zu bekommen.
"Überall nur Kasernen und Waffen"
Doch aus Teilen der Mudschaheddin entstand die Taliban-Bewegung - die sich spätestens nach Pakistans Eintritt in die Anti-Terror-Koalition nach dem 11. September 2001 gegen Islamabad richtete. Ähnlich verhält es sich mit Lashkar-i-Toiba: Die Gruppe wurde von der pakistanischen Regierung einst als Kampftruppe zur Befreiung Kaschmirs unterstützt. Doch die terroristische Herangehensweise scheiterte, auch diese Organisation entzog sich der Kontrolle der Regierung.
Der Terror in Pakistan nimmt seit Jahren zu wegen der enormen wirtschaftlichen Not im Land. Ein Großteil der rund 180 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung lebt in bitterer Armut. Eine horrende Inflationsrate von 13 Prozent belastet die Menschen, die sich zum Teil nicht einmal mehr Grundnahrungsmittel wie Reis und Mehl leisten können und betteln müssen, da ein staatliches Sozialsystem nicht existiert.
Stattdessen gibt die Regierung gigantische Summen für das Militär aus, gefangen in einer für westliche Beobachter unverständlichen, aber doch echten, von Angst geprägten Ideologie gegen den übermächtigen Erzfeind Indien. Militärs zeigen gerne Schaubilder von indischen Waffenstationierungen entlang der Grenze. "Sehen Sie", sagt ein General in Islamabad, "überall nur Kasernen und Waffen. Die Inder mögen tausendmal sagen, dass sie keine böse Absicht hegen. Aber Absichten können sich über Nacht ändern. Indien ist viel rücksichtsloser, als viele denken. Kein einziger Nachbarstaat hat ein gutes Verhältnis zu Indien."
Die vergangenen Jahre haben einen idealen Nährboden für Korruption geboten - und eben für Extremisten, die mit Heilsversprechungen armen, ungebildeten Menschen eine Perspektive bieten.
Die größte Sorge bereitet den Pakistanern derzeit ein Abzug des Westens aus Afghanistan. "Die westlichen Staaten, die jetzt schimpfen, dass wir Militante unterstützen, haben uns dann längst vergessen", sagt der General. "Wir aber sind dazu verdammt, hier weiterleben zu müssen. Mit all diesen Leuten, die der Westen hier vergeblich bekämpft hat."