Papst Franziskus im Irak »Es war wie ein Traum«

Priester Roni Salim Momika in Karakosch: Papstbesuch als Zeichen der Solidarität
Foto:Ivor Prickett / The New York Times / Redux / laif
Papst Franziskus trotzte den Sicherheitsrisiken und der Pandemie, als er vergangene Woche seine viertägige Reise durch den Irak antrat. Er wisse, dass die Menschen im Irak auf ihn warteten, sagte der 84-Jährige.
Und so betete er in einer Kirche in Bagdad, in der 2010 Christen bei einem Anschlag starben. Er traf mit Großajatollah Ali al-Sistani den bedeutendsten schiitischen Gelehrten im Irak. In Mossul, wo die Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) einst ihr Kalifat ausrief und schwor, bis nach Rom zu marschieren, ließ der Papst jetzt zwischen Ruinen eine Friedenstaube steigen.
Die Reise war ein Zeichen der Solidarität mit der immer kleiner werdenden Christengemeinde im Land. Der Pontifex führte den Dialog mit Vertretern der Muslime fort, setzte sich für Versöhnung ein. Die zahlreichen einfachen, aber starken Symbole werden die komplexen Probleme des Irak nicht beheben. Für viele Menschen aber waren sie Kraftquelle und Hoffnungsspender.
Was also bleibt von dieser bemerkenswerten Reise?

Papst Franziskus am Sonntag in Karakosch: Kraftquelle und Hoffnungsspender
Foto: VATICAN MEDIA / via REUTERSFür mich, die ich während der IS-Herrschaft von 2014 bis 2017 für den SPIEGEL knapp ein Dutzend Mal den Nordirak bereiste, ist es vielleicht ein Handyclip aus der Stadt Karakosch, den ich am Sonntag zufällig im Netz entdeckt hatte: Auf diesem Video sah ich Priester Roni Salim Momika, den ich vor drei Jahren auf einer Recherche kennengelernt hatte. Er trug seine schwarze Soutane. Stand mitten auf der Straße und tanzte. Seine erhobenen Hände dirigierten die euphorisierte Menge, die auf Papst Franziskus wartete. Jede Faser seines Körpers strahlte Freude aus.
Das machte mich sehr glücklich. Denn ich hatte Priester Roni schon anders erlebt.
Als ich ihn zum ersten Mal traf, im März 2017, lief er über einen Friedhof seiner Stadt Karakosch, 35 Kilometer südöstlich von Mossul in der Ninive-Ebene gelegen, das Zentrum des Christentums im Irak. Die schwarze Soutane lag eng um seine Schultern. Suchend lief er an den Grabkammern vorbei. Wenig später würde er einen Mann beerdigen, den der »Islamische Staat« erdrosselt und achtlos auf den Friedhof geworfen hatte. Weil er Christ war und damit ein Feind des IS.
Verbrannte Bibeln und Marienfiguren ohne Köpfe
Die Kämpfer des »Islamischen Staats« waren damals bereits aus der Stadt vertrieben worden. Doch sie hatten Verwüstung hinterlassen. Priester Roni führte uns vorbei an zerschlagenen Kreuzen in der Stadt. Wir besuchten die Überreste von Karakoschs zwölf einst prächtigen Kirchen. Von ihrer Herrlichkeit, die wir 2014 kurz vor dem Einfall der Terroristen in der Stadt noch bewundert hatten, war nichts mehr übrig. Ein verkohltes Taufbecken. Verbrannte Bibeln. Marienfiguren ohne Köpfe. Zerborstene Kirchenbänke.
Die Zerstörung, die Hoffnungslosigkeit waren so groß, dass Priester Roni und uns oft die Worte fehlten. Wir kletterten ratlos durch Tunnel, die der IS unter der Stadt gegraben hatte, um seine Munition zu transportieren. Hörten die Geschichte einer alten Frau, die nicht mehr fliehen konnte und die für Jahre unter dem IS in ihrem Haus in Karakosch um ihr Leben fürchtete.

Messe in einer zerstörten Kirche, März 2017: Die Hälfte der christlichen Bewohner hat den Irak verlassen
Foto: Andy SpyraIn der Kirche Saint Behnam et Sara hatten die Dschihadisten das Schießen trainiert, auf dem Boden lagen durchlöcherte Torsos von Schaufensterpuppen. Der IS hatte Sprengfallen hinterlassen und Garagen und Häuser als Werkstätten missbraucht, in denen sie Autobomben gebastelt hatten. Wir waren betäubt von den Spuren des rasenden Hasses, der über Karakosch gekommen war. Priester Roni zeigte uns damals sein Haus, in dem er Unterwäsche gefunden hatte von Frauen, die der IS mutmaßlich vergewaltigt hatte.
Der IS hat dem Christentum im Irak einen schweren Schlag verpasst
Priester Roni gehörte 2014 zu den Letzten, die Karakosch verließen. Er war einer der Ersten, die 2017 wieder zurückkamen, wohnte inmitten der Zerstörung und versuchte, seiner Gemeinde ein Beispiel zu sein. Damals wagten sich die ehemaligen Bewohner Karakoschs nur für ein paar Stunden in die Stadt. Sie kamen aus dem anderthalb Stunden entfernten Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, um nach ihren geplünderten Häusern zu sehen.
1,3 Millionen Christen lebten unter Saddam Hussein im Irak, heute sollen es noch 200.000 sein. Der IS hat dem Christentum im Irak einen schweren Schlag verpasst. Ungefähr die Hälfte der Bewohner Karakoschs hatte den Irak damals verlassen. Rund 40 christliche Familien, schätzte die Kirche, wanderten jede Woche ins Ausland ab. Heute wohnen in Karakosch wieder rund 27.000 Menschen. Die Kirche hat die Stadt weitgehend wiederaufgebaut.
Als ich Priester Roni jetzt, vier Jahre später, anrufe an diesem Montag im März, ist er heiser vor Freude. Er habe die vergangenen Tage so viel gesungen, krächzt er. Es sei eine unbändige Energie durch ihn gefahren. »Ich weiß selbst nicht, was los war«, sagt er und lacht. »Es war wie ein Traum.« Drei Monate lang haben sie den Papstbesuch hier vorbereitet. Zum ersten Mal, seit vier Jahren Hoffnung, Kampf und Wiederaufbau, gab es eine solche Gelegenheit zu feiern.
Schon am Samstag, einen Tag vor der Ankunft des Pontifex, habe er einen Marsch mit 20.000 Menschen angeleitet. »Wir hatten Flaggen dabei, wir sangen und tanzten und riefen: Willkommen, Eure Heiligkeit, in Karakosch!« Es habe immer noch die Angst gegeben, dass der Papst absagen könnte, daher hätten die Bewohner Karakoschs den ganzen Samstag gebetet.
Papst Franziskus erkannte den Schmerz an
Als er am Sonntag dann nach Karakosch einbog, seien Zehntausende, die sich für Stunden an den Straßen aufgereiht hatten, in Jubel ausgebrochen. Bilder zeigen die Wartenden mit Palmenzweigen und Luftballons. Nur wenige hätten Tickets für einen Platz im Inneren der Kathedrale ergattert. Auch er sei aus Solidarität draußen bei den Wartenden geblieben. Der Papst habe die Geschichten einer Familie gehört, die durch den IS zwei Kinder verloren habe. Ein Priester habe ihm von der Zerstörung und vom Wiederaufbau der Stadt berichtet. »Heute feiern wir die Rückkehr nach dem Exodus«, sagte er. Ein Chor sang.
Als Papst Franziskus die Tahera-Kathedrale verlassen hatte, seien viele tiefgläubige Christen hineingestürmt und hätten den Stuhl geküsst, auf dem er gesessen habe. Priester Roni musste weinen. Papst Franziskus habe den Menschen das gegeben, was ihnen so lange gefehlt habe: Beistand. Die Anerkennung ihres Schmerzes. Internationale Aufmerksamkeit.

Christliche Familie, die als eine der ersten 2017 nach Karakosch zurückgekehrt ist: Sie haben die Kraft zu bleiben
Foto: Andy Spyra»Uns hat sein Besuch die Kraft gegeben, im Irak zu sein und zu bleiben«, sagt Priester Roni. »Die Welt sieht jetzt, dass es Christen in diesem Land gibt und schon immer gab.«
Der Papst habe Christen und Muslime zur Versöhnung und zum Frieden inspiriert. Außerdem habe der Besuch des Pontifex die christlichen Gemeinden gegenüber der Zentralregierung in Bagdad und der kurdischen Regionalregierung in Erbil aufgewertet. Hoffentlich, sagt Priester Roni.
Ein Großteil der Menschen im Irak ist jung. Für die Jugend, die in den vergangenen Jahren nichts als Leid erlebte, war der Papstbesuch das erste positive globale Großereignis in ihrem Leben, das internationale Aufmerksamkeit erhielt und sich um Versöhnung statt um Gewalt drehte.