Markus Becker

Terror von Paris Der 13.11. war nicht Europas 9/11

Die Anschläge von Paris sind Europas 9/11, dieser Vergleich ist derzeit allgegenwärtig - und er ist falsch. Europa wird sich kaum so verändern wie die USA nach dem Terror des 11. September 2001. Das ist gut so. Und gleichzeitig schlecht.
Anschläge vom 11. September 2001: Noch hat Europa sein 9/11 nicht erlebt

Anschläge vom 11. September 2001: Noch hat Europa sein 9/11 nicht erlebt

Foto: Sean Adair/ REUTERS

Nach dem Blutbad des vergangenen Wochenendes sitzt der Schmerz in Frankreich und Europa tief. Jetzt sei jener Terror, der für die Europäer immer weit entfernt gewesen sei, vor deren Haustür angekommen, erklären viele Kommentatoren und Politiker. Das Gefühl der Unsicherheit werde sich lange halten, der Sicherheitsapparat werde massiv verstärkt, die Angriffe von Paris seien mithin Europas 9/11.

Doch der Vergleich zwischen Paris und 9/11 führt in die Irre, schon wegen der großen Unterschiede bei den äußeren Umständen: In Paris starben 139, in den USA rund 3000 Menschen. In Paris waren Cafés, eine Konzerthalle und ein Stadion die Anschlagsziele, während in den USA das Pentagon getroffen und die Zwillingstürme des World Trade Center vor laufenden Kameras einstürzten.

Die USA hatten zudem noch nie einen Angriff einer fremden Macht auf ihr Festland erlebt. Das nationale Gefühl der Unangreifbarkeit, das am 11. September 2001 zerstört wurde, hat es in Europa nie gegeben. Auch ist es nicht das erste Mal, dass Europa Terror erlebt - selbst wenn man damit nur den islamistischen meint. Am 11. März 2004 haben Islamisten in Madrid Nahverkehrszüge gesprengt und 191 Menschen ermordet, in London starben am 7. Juli 2005 bei Angriffen auf Busse und U-Bahnen 52 Menschen.

Keines dieser beiden Ereignisse wurde zu einem europäischen 9/11. Deshalb, aber nicht nur deshalb, besteht Anlass zu der Hoffnung, dass die Europäer gelassener reagieren als die USA in den Jahren nach 2001.

Frankreichs nationale Einigkeit dauerte einen Tag

Denn es gibt weitere wichtige Unterschiede zu den USA. Die nationale Einigkeit nach den Angriffen etwa scheint in Frankreich ungefähr einen Tag lang gehalten zu haben. Am Montag haben die Abgeordneten noch gemeinsam die Marseillaise gesungen, und schon am Dienstag ging Ex-Präsident Nicolas Sarkozy auf seinen Amtsnachfolger François Hollande los. Premierminister Manuel Valls wurde von der Opposition ausgebuht. In den USA hielt die nationale Einigkeit dagegen nicht Tage, sondern Jahre. Bis zum fatalen Irak-Feldzug galt es als geradezu unamerikanisch, Kritik an der Regierung zu üben.

Auch ist François Hollande kein George W. Bush. Das berüchtigte "Entweder ihr seid für uns oder für die Terroristen" des US-Präsidenten ist aus Hollandes Mund unvorstellbar. Deshalb ist auch nicht zu erwarten, dass es zu einer Spaltung des Westens kommen wird wie 2003 durch den Irak-Feldzug der USA - den etwa Bundeskanzler Gerhard Schröder als "Abenteuer" ablehnte, nachdem er den Amerikanern nach 9/11 "uneingeschränkte Solidarität" versprochen hatte.

Allerdings wird die EU auch in einer weiteren Hinsicht nicht wie die USA werden: Sie wird kein Heimatschutzministerium bekommen und auch keinen gemeinsamen Geheimdienst. Den forderte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos und kassierte prompt eine Absage vom deutschen Innenminister Thomas de Maizière (CDU): "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir bereit sind, da unsere nationale Souveränität aufzugeben."

Dass es vorerst keinen europäischen Super-Geheimdienst geben wird, kann man begrüßen angesichts der Exzesse der US-Dienste. Man kann es aber auch fürchten angesichts der Tatsache, dass den Behörden fast alle Attentäter von Paris bekannt waren und die ihre Terroraktion trotzdem ungehindert durchführen konnten.

Und man kann nur hoffen, dass Europa bis dahin den Mittelweg zwischen Ineffizienz und Überwachungswahn findet, bevor es auch hier zu Anschlägen vom 9/11-Format kommt - mit den aus den USA bekannten Folgen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren