

Normalerweise ist das 11. Arrondissement im Zentrum von Paris ein belebtes Viertel. Doch am Tag nach dem Anschlag auf den Konzertsaal Bataclan sind die Straßen gespenstisch leer. Nur wenige Pariser kommen vorbei und legen Blumen nieder.
Eine Frau klammert sich an der Polizeiabsperrung vor dem Bataclan fest. Mit Tränen in den Augen starrt sie auf das Haus. Sie schweigt und schüttelt immer wieder nur den Kopf. Ein junger Mann hält seien Hund fest im Arm, einen weißen Terrier. "Ich war so oft mit meinem Bruder auf Konzerten im Bataclan. Sie spielen dort oft Rock. Es fühlt sich einfach komisch an", sagt er.
Paris steht unter Schock. Die Täter schlugen dort zu, wo am Freitagabend Menschen das Leben genießen - in den belebten Szenevierteln und beim Stade de France, wo das deutsch-französische Länderspiel stattfand. Das vermittelt den Eindruck: Sie hätten jeden treffen können.
"Ich habe solche Angst"
Camille Barcouda, 23, zittert am ganzen Leib. Ihr Gesicht ist bleich, unter ihren Augen liegen dunkle Schatten. Die Studentin wohnt direkt gegenüber dem Bataclan. Nun wagt sie sich das erste Mal wieder auf die Straße. "Ich habe bis 5 Uhr morgens nicht schlafen können", sagt sie. "Ich habe solche Angst, noch immer. Die Angst geht nicht mehr weg."
Als die Attacke losging, war die 23-Jährige zu Hause. "Ich habe das Länderspiel geschaut und die Schüsse gehört. Ich dachte, das sind Feuerwerkskörper wegen des Spiels." Dann rief ein Freund sie auf dem Handy an: "Er sagte: 'Bei dir vor der Haustür ist eine Geiselnahme.'" Plötzlich fühlte sie sich in den eigenen vier Wänden nicht mehr sicher.
Video: SPIEGEL-Reporter berichtet vom Tatort am Klub Bataclan
Von der Straße hörte Camille Barcouda die Durchsage der Polizei. "Weg von den Fenstern!" Sie kniete sich unter ihren Fensterrahmen, zweimal streckte sie ihr Handy in die Luft und filmte. Die Aufnahmen sind verwackelt, so sehr zitterte sie. Zu sehen ist in der Dunkelheit kaum etwas, doch immer wieder sind die Schüsse zu hören.
"Man ist bei sich zu Hause und hört plötzlich Maschinengewehrschüsse. Und man kann gar nichts machen. Das ist ein schreckliches Gefühl. Das begreift man nicht", sagt Camille Barcouda. Als es wieder ruhig war, schaute sie aus dem Fenster. "Da lagen Menschen auf dem Boden. Es wurden immer mehr Leichen. Es war ein Massaker."
"Ich realisiere es immer noch nicht"
Nur wenige Hundert Meter vom Bataclan entfernt liegt das frühere Redaktionsbüro der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo", wo im Januar ein Anschlag stattfand. Damals gingen am Abend nach dem Attentat Hunderttausende von Franzosen auf die Straße, um ihre Solidarität zu demonstrieren. Dieses Mal ist die Stimmung in Frankreichs Hauptstadt eine andere.
"'Charlie Hebdo' war schrecklich, aber es waren nicht über 120 Tote", sagt Camille Barcouda. "Dieses Mal ist es das Gefühl: Wir werden alle ins Visier genommen, egal, was man macht. Es wurden Leute getötet, die einfach nur am Freitagabend im Restaurant waren!"
Sie spricht aus, was viele denken. Ein paar Franzosen haben zu Solidaritätskundgebungen am Abend auf dem Platz der Republik ausgerufen, wo eine Statue Frankreichs Werte symbolisiert: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Doch viele zögern. Die Angst geht um. Was, wenn es zu einem neuen Anschlag kommt? Manche wollen erst einmal zu Hause und für sich allein begreifen, was vergangene Nacht geschehen ist. "Es ist ein Schock", sagt Camille Barcouda. "Ich habe keine Kraft mehr, und ich realisiere es immer noch nicht."
Newsblog: Verfolgen Sie hier alle Entwicklungen zu den Attacken in Paris
Video: Szenen von den Anschlagsorten
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"Nie wieder": Blumen für die Opfer nahe dem Klub Bataclan.
Trauernde beim Restaurant Le Carillon: Dort wurden 18 Menschen getötet.
Blumen vor dem Restaurant Le Carillon: Viele Menschen zeigten ihr Mitgefühl mit den Opfern
Einschusslöcher im Restaurant Carillon: Nebenan liegt das Restaurant Le Petit Cambodge. Dort gab es 14 Todesopfer.
Heute geschlossen: Um die Sicherheit der Angestellten zu gewährleisten, bleibt dieser Laden wie viele andere in Paris am Tag nach den Anschlägen versperrt.
Straße gesperrt: Die Polizei sperrte die Tatorte ab.
Kerzen auf der Nationalflagge: Die Nation trauert um die Opfer.
Paris rückt zusammen: Am Tag nach den Anschlägen spielt ein Mann Klavier vor dem Konzertsaal Bataclan, wo es die meisten Opfer gab.
Überall in der Stadt konnten man Blumengebinde sehen - wie dieses hier in der Nähe des Bataclan, auf dem die Mahnung "Plus jamais ca" (Nie wieder) steht.
Gleichzeitig patrouillieren Soldaten durch die Stadt, so wie hier vor der Nationalversammlung.
Auch aus anderen Teilen des Landes werden Soldaten nach Paris beordert - zum Beispiel die Mitglieder dieses Fallschirmspringer-Regiments, die am Flughafen von Toulouse Richtung Hauptstadt aufbrechen.
Noch in der Nacht hatte François Hollande - hier mit Innenminister Manuel Valls vor dem Bataclan - den Ausnahmezustand ausgerufen.
Nun beginnen die Aufraumarbeiten: Ein Mann begutachtet eine von Kugeln beschädigte Scheibe im Café Carillon.
Allein in diesem Café sollen mindestens 18 Menschen gestorben sein. Auch ihnen wird mit Blumensträußen gedacht.
Auch die Inneneinrichtung des Casa Nostra Café wurde verwüstet - hier sind fünf Menschen gestorben.
Ermittler in der Rue de Charonne: Die Attentäter schossen wahllos auf Gäste im Vergnügungsviertel.
Grausame Mahnung: ein Paar herrenloser Schuhe vor dem Batacan.
Dort lag auch diese Uhr, die um Mitternacht stehen geblieben ist.
Einschusslöcher in der Rue Alibert: Die Attentäter schossen auf die Gäste mehrerer Restaurants und Cafés.
Ermittler durchsuchen am frühen Morgen ein Café, in dessen Nähe sich einer der Anschläge ereignet hatte.
Direkt nach dem Anschlag: Ein Polizist steht neben einer Leiche im verwüsteten Café des Veranstaltungsorts Bataclan.
In dem Konzertsaal gab es 87 Todesopfer zu beklagen. Viele Gäste konnten aber auch fliehen, als vier mit Sturmgewehren bewaffnete, unmaskierte Männer den Saal stürmten.
Auf der Bühne stand an diesem Abend die kalifornische Garagenrockband Eagles of Death Metal - hier eine Aufnahme vom Konzert kurz vor dem Anschlag.
Polizisten vor dem Konzertsaal: Gegen 0.30 Uhr stürmte die Polizei das Gebäude, rund eine halbe Stunde später war der Einsatz beendet.
Schockierte Menschen umarmten sich vor der Konzerthalle.
Sanitäter kümmerten sich um die Verletzten.
Die Konzertbesucher wurden schließlich mit Bussen evakuiert.
In der Rue de Charonne wurden bei einem weiteren Anschlag 18 Menschen getötet. Ein Mann berichtete, er habe "zwei, drei Minuten" lang Schüsse gehört. Nach seinen Angaben waren ein Café und ein japanisches Restaurant Ziel der Schüsse.
An der Ecke Rue Alibert/Rue Bichat eröffneten Attentäter auf der Terrasse des Restaurants Le Petit Cambodge das Feuer.
Polizist im Einsatz: "Es war surreal, alle lagen am Boden, niemand bewegte sich", erzählte eine Augenzeugin.
Kurz nach dem Anschlag in der Rue Alibert: Hier hatten es die Attentäter auf das Café Le Carillon abgesehen.
Insgesamt sind nach jüngsten Angaben mindestens 120 Menschen ums Leben gekommen. Rund hundert Menschen gelten als schwerstverletzt.
Auf dem Boulevard Voltaire soll sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt haben. Offenbar kam hier außer ihm niemand ums Leben.
Soldaten sicherten in der Nacht den Anschlagsort an der Rue de Charonne.
An Frankreichs Grenzen werden seither Kontrollen durchgeführt, wie hier zwischen Kehl und Straßburg.
Nahe des Stade de France hatten sich gegen halb zehn drei Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Die Gewalt der Detonationen war im Stadion spürbar. Es sollen insgesamt vier Menschen ums Leben gekommen sein.
Polizisten außerhalb des Stade de France, nachdem es zu den Explosionen gekommen war.
Nach Ende des Spiels brach im Stadion zwischenzeitlich in manchen Bereichen Panik aus.
In vielen Großstädten der USA wurden die Sicherheitsvorkehrungen erhöht, wie hier am Times Square in New York.