Pariser Vorstadt-Unruhen Sarkozy bleibt bei harter Linie gegen Krawall

Die Bilanz der vergangenen Nacht: Fast 900 niedergebrannte Autos, selbst in Provinzstädten fernab von Paris lodern die Flammen. Für Frankreichs Innenminister Sarkozy gibt es nur einen Weg, die Unruhen der vergangenen Tage zu beenden: "Festnahmen. Das ist der Schlüssel!"

Viroflay/Paris - In dieser Nacht brennen mehr Autos als je zuvor, am Ende zählt die Polizei 897 abgefackelte Wracks. Während die Pariser Trabantenstädte und inzwischen sogar einige französische Provinzstädte lodern, taucht Innenminister Nicolas Sarkozy zu einem Überraschungsbesuch im Polizeizentrum von Viroflay bei Paris auf. Plötzlich bleibt der Law-and-Order-Mann stehen. Er hat eine große Schautafel erspäht, auf der die Festnahmen im Département Yvelines aufgelistet sind. "Festnahmen! - Das ist der Schlüssel!", lobt der Minister. "Das sehe ich gerne!" In dieser Nacht werden mehr Randalierer festgenommen als zuvor, am Ende zählt die Polizei 253 Festnahmen.

Im Kampf gegen die Verwüstungen, die von zumeist jugendlichen Tätern angerichtet werden, gibt es eine perfekte Rollenaufteilung zwischen Sarkozy und Premierminister Dominique de Villepin. Niemand muss die Rollen neu erfinden, sie entspringen dem Naturell der beiden konservativen Politiker, die zugleich zu den Anwärtern für das Amt des Staatspräsidenten im Jahr 2007 zählen: Villepin setzt auf die Macht der Überzeugung, auf Dialog und Gelassenheit, Sarkozy auf blitzschnelles Handeln, auf die Macht der Repression. Bei den Wortführern der Randalierer gibt folgerichtig Sarkozy das Feindbild ab. Schließlich hat der Innenminister sie zu "Schurken" und "Gesindel" geklärt, das mit Hochdruck weggespült gehöre.

Villepin hingegen nimmt sich am Freitagabend zweieinhalb Stunden Zeit, um mit 16 jungen Leuten zwischen 18 und 25 Jahren über die Wurzeln des Gewaltausbruchs zu debattieren. Es ist nicht gerade der harte Kern der Randalierer, der in den Amtssitz des Premierministers vorgelassen wird. Aber immerhin sind auch Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger dabei. Von der Politikstudentin Sihame, die ehrenamtlich in Problemvierteln des Départements Seine-Saint-Denis für eine karitative Organisation arbeitet, lässt sich der Premierminister erläutern, dass die Probleme "nicht gestern begonnen haben". Viele Einwandererkinder fühlten sich wie "Franzosen der dritten oder vierten Zone", sagt Sihame.



Der Premierminister will sich derartige Bemerkungen durch den Kopf gehen lassen, bevor Grundsatzentscheidungen fallen. Am kommenden Mittwoch will er den Dialog mit Vertretern von allerhand Vereinigungen fortsetzen, die in den landesweit 750 "sensiblen Stadtvierteln" ihr Bestes tun, um den aufgestauten Frust von vielfach arbeitslosen und zumeist nahezu mittellosen jungen Leuten aufzufangen. Bis zum Monatsende sollen sich die Beratungen zu einem "Aktionsplan" verdichten - einem Versuch, die nun allseits beklagte "Ghetto-Bildung" an den Rändern der französischen Großstädte aufzuhalten.

"Das sind regelrechte Banden"

Die angehende Politikwissenschaftlerin Sihame bezeichnet es im Gespräch mit Villepin als "schockierend", dass Sarkozy mit dem Hochdruckreiniger drohte. Der Innenminister aber ist nicht zum Einlenken bereit. "Das sind regelrechte Banden!" Als Beleg nimmt der Minister die Schilderungen eines Polizisten aus dem Département Yvelines, nach denen die Jugendlichen kiloweise Steine auf Dächern auftürmen, um von dort aus Polizisten zu bombardieren.

Alarmiert hört sich Sarkozy auch noch den Bericht von Polizeidirektorin Martine Monteil an. Danach trauen sich die Polizeieinheiten bisweilen kaum, den Randalierern nachzustellen. Sie laufen sonst Gefahr, "in Kellern und in labyrinthartigen Zonen" zu landen, wo sie sich nicht "einzingeln lassen wollen". Monteil berichtet von einem zehnjährigen Kind, das von Polizisten mit einer Benzinflasche in den Händen aufgegriffen wurde. Sarkozy ist entsetzt. Von der Polizeidirektion in Viroflay verlangt er mehr Festnahmen und verstärkte "Nachforschungen". "Der Staat kann die Gewalt nicht akzeptieren", sagte Sarkozy heute nach einem Krisentreffen bei Villepin.

Chirac will sich "zu gegebener Zeit" äußern

Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac will sich trotz Kritik an seiner angeblich zu zurückhaltenden öffentlichen Reaktion auf die Krawalle im Land will Frankreichs zunächst nicht weiter äußern. Der Staatspräsident werde sich "zu gegebener Zeit" zu Wort melden, wenn er "den Moment für gekommen halte", hieß es heute aus Chiracs Umfeld. Es gehe nicht darum, "nur zu reden, um zu reden". Der Präsident stehe mehrmals am Tag in Kontakt mit Premierminister Villepin.

Im Großraum Paris beruhigte sich die Lage im Vergleich zu den vorhergehenden Nächten leicht. Erstmals überflogen Sicherheitskräfte die Vororte mit Hubschraubern. In Aubervilliers im Département Seine-Saint-Denis brannten zwei Textillager nieder. In Pierrefitte-sur-Seine wurde laut Polizei ein Brandsatz auf die Mauer einer Synagoge geworfen. Mehr als hundert Bewohner zweier Häusern mussten in der Stadt in Sicherheit gebracht werden, nachdem in einem darunter gelegenen Parkhaus ein Brand ausgebrochen war.

Im weiteren Umkreis von Paris flammte die Gewalt stärker auf. Im Département Essonne wurde ein Polizist bei einem Brandanschlag auf ein Reifenlager verletzt. In Achères im Département Yvelines wurde ein Kindergarten in Brand gesetzt, in Torcy im Département Seine-et-Marne wurde eine Schule durch Brandstiftung zur Hälfte zerstört. In Champigny im Val-de-Marne setzten Jugendliche einen Bus in Flammen. Die Insassen konnten rechtzeitig fliehen. In Suresnes verbrannten 36 Fahrzeuge, nachdem in einem unterirdischen Parkhaus ein Brand gelegt worden war. In Montreuil setzten Demonstranten ein Textil-Geschäft, ein Parkhaus und ein Autogeschäft in Brand. Bei Fahrzeugbränden wurden dort drei Menschen leicht verletzt. Auch in Rennes in der Bretagne gingen mehrere Fahrzeuge in Flammen auf.

In der Pariser Vorstadt Aulnay-sous-Bois nahmen mehr als 500 Einwohner an einem Schweigemarsch teil. Dort hatte es in der Nacht zum Donnerstag schwere Zusammenstöße zwischen Polizei und Jugendlichen gegeben. Auch in Sevran, ebenfalls im Département Seine-Saint-Denis, protestierten 150 Menschen gegen die Unruhen. Dort hatte am Mittwoch eine behinderte Frau schwere Brandverletzungen erlitten, als ein Bus in einen Hinterhalt geriet.

Auslöser der Krawalle war der Tod zweier Jugendlicher in der Pariser Vorstadt Clichy-sous-Bois am Donnerstag vergangener Woche gewesen. Die Jungen hatten sich vor der Polizei in einem Transformatorenhäuschen versteckt und dort tödliche Stromschläge erlitten. Die Eltern der getöteten Jugendlichen riefen am Samstag zur Ruhe auf. "Wir appellieren an den Bürgersinn jedes Einzelnen", hieß es in der Erklärung. "Frankreich verdient dies nicht."

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