Anti-Piraten-Einsatz der Bundeswehr Neues Somalia-Mandat erlaubt Angriffe aus der Luft

Die Bundesregierung will deutschen Soldaten mit einem neuen Mandat erlauben, künftig per Helikopter Angriffe auf Piratenbanden in Somalia zu fliegen - bis zu zwei Kilometer landeinwärts. Bodeneinsätze sind laut dem Entwurf verboten. Trotzdem will die Opposition nicht zustimmen.
Bundeswehr beim Manöver vor Dschibuti: Piraten-Logistik aus der Luft bekämpfen

Bundeswehr beim Manöver vor Dschibuti: Piraten-Logistik aus der Luft bekämpfen

Foto: dapd

Berlin - Auf der Kabinettssitzung im Bundeskanzleramt am Mittwoch ist das Datenblatt mit der Nummer 17/14040 ein wichtiges Thema: Es geht darum, wie künftig die deutsche Beteiligung an der EU-Mission "Atalanta" aussehen soll. Für die Bundeswehr wird das sichere Ja der Ministerrunde und von Kanzlerin Angela Merkel erhebliche Folgen haben: Mit dem Beschluss unternimmt die Koalition den ersten Schritt zu einer entschiedenen Ausweitung des deutschen Beitrags zum Anti-Piraterie-Kampf vor der Küste Somalias.

Wenn der Bundestag dem von der Regierung formulierten Mandat zustimmt, dürfen deutsche Soldaten erstmals seit dem Beginn der Mission im Jahr 2008 die Piratenbanden und ihre Logistik auch auf dem Festland Somalias bekämpfen, nur aus der Luft allerdings.

Mit dem Beschluss setzt die Bundesregierung eine Einigung unter den beteiligten EU-Ländern um. Diese hatten Ende März die Erweiterung der Befugnisse für die Soldaten beschlossen und dies Anfang April auch in einem Operationsplan formuliert. Die Details der möglichen Einsätze - allen voran die Frage, wie weit ins Landesinnere hinein Operationen gegen die Logistik der Piraten reichen dürfen - wollte die EU zur Wahrung der Abschreckungswirkung geheim halten. Die Militärs argumentierten stets, die Nennung von Einsatzdetails wie Entfernungsgrenzen von der Wasserlinie ermögliche den Piraten, sich durch Rückzüge ins Landesinnere zu schützen.

In dem von der Koalition formulierten Mandat werden für die deutsche Ausweitung der Kampfzone enge Grenzen gesteckt. Wörtlich heißt es in der Beschlussvorlage, die Bundeswehr dürfe nur "bis zu einer Tiefe von maximal 2000 Metern gegen logistische Einrichtungen der Piraten am Strand vorgehen". Deutsche Soldaten würden für das Vorgehen gegen die Piratenbanden, deren Tanklager oder Funkstationen "nicht am Boden eingesetzt". Da der Kampf an Land ausschließlich durch Helikopter aus der Luft ausgeführt werden soll, hat die Regierung jedoch für eventuelle Rettungsmaßnahmen etwa bei Abstürzen oder technischen Problemen der Hubschrauber eine entsprechende Ausnahme im Mandat verankert.

Zweifler erinnern an Debakel von Mogadischu

Das Mandat spiegelt die grundsätzliche deutsche Skepsis gegen die von den Militärs der EU-Staaten geforderte Ausweitung der Operation wider. In Brüssel hatten deutsche Diplomaten und Politiker immer wieder für enge Grenzen von möglichen Operationen an Land argumentiert. Selbst wenn die Jagd auf die Piraten ausschließlich von Helikopter aus der Luft erfolgen soll, birgt sie nach Ansicht von Experten immer ein Risiko für die eingesetzten Soldaten. Zudem sind zivile Opfer und Fehlschläge nie ganz auszuschließen. Daneben gibt es beispielsweise bei Analysten des Bundesnachrichtendienstes erhebliche Zweifel, ob die erweiterten Befugnisse überhaupt wirksam gegen die Piratenbanden sind.

Das Horror-Szenario aller Skeptiker einer Ausweitung der EU-Mission bis an den Strand Somalias kann man unter dem Stichwort "Black Hawk Down" zusammenfassen. Bis heute wirken die dramatischen Bilder von mehreren getöteten US-Soldaten nach, die nach dem Abschuss eines Kampfhubschraubers in der somalischen Hauptstadt Mogadischu im Jahr 1993 von einem wütenden Mob triumphierend durch die Straßen geschleift worden waren. Die schrecklichen Szenen von damals und nicht zuletzt der Hollywood-Film über den Vorfall haben sich nicht nur in den USA bei Militärs und Politikern eingebrannt. Seitdem sind Einsätze von Bodentruppen in Somalia tabu.

Die Führung der Operation "Atalanta" hingegen hält die Ausweitung der Möglichkeiten für die Soldaten für militärisch geboten. Admiral Duncan Potts argumentierte in den letzten Monaten hinter verschlossenen Türen bei der EU in Brüssel, jetzt sei der richtige Zeitpunkt, die Piraten durch gezielte militärische Maßnahmen auch an Land zu schwächen. Skeptikern versicherte der Offizier, er selbst werde alle Operationen steuern und größte Sorgfalt walten lassen, um Fehlschläge oder gar Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Aus seiner Sicht wird die Zerstörung von einzelnen Teilen der Infrastruktur der Piraten unter den Seeräubern für Verunsicherung sorgen. Dies wiederum werde einen Rückgang von Angriffen zu Folge haben.

Regierung will für Zustimmung in den Fraktionen werben

Doch die Opposition im Bundestag wird dem neuen Mandat wohl nicht zustimmen. Schon als SPIEGEL ONLINE Ende März über die Details für den Einsatz berichtete, signalisierten Fachpolitiker der SPD und auch der Grünen, dass ihre Fraktionen ein solches Mandat für die Bundeswehr nicht mittragen wollen. Grundsätzlich hat bisher jede Bundesregierung für alle Auslandsmandate versucht, eine breite Mehrheit im Parlament zu erreichen. Das soll seit dem ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr im Kosovo die breite Unterstützung für die Missionen zeigen.

Trotzdem will die Regierung noch einmal für ihr Mandat werben. Dem Vernehmen nach werden Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) mit einem Brief an die Fraktionsvorsitzenden um die Zustimmung der Opposition werben. Vor allem bei SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der als Außenminister 2008 den Beginn der EU-Mission mitgetragen hatte, erhofft man sich noch ein Einlenken.

Eine Minimallösung, so heißt es in Regierungskreisen, wäre statt einer Zurückweisung des Mandats durch die SPD beispielsweise eine kollektive Enthaltung. Bisher hat sich Steinmeier in der Frage auffällig zurückgehalten und auf seine Fachpolitiker verwiesen.

Derzeit hat die Bundeswehr vor Somalia rund 300 Soldaten im Einsatz. Für die kommenden zwölf Monate plant das Verteidigungsministerium für die laufende Operation mit Kosten von rund 105 Millionen Euro. Aus Regierungssicht war die Mission bisher zumindest teilweise erfolgreich. Vor allem das Kernziel, der Schutz des Transports von Hilfsgütern für Afrika, sei erfüllt worden. Zudem seien die Zahlen von erfolgreichen Piratenangriffen in dem Seegebiet seit 2008 rückläufig. Neben der Militäroperation unterstützt die Regierung weitere Projekte zum Aufbau einer staatlichen Ordnung in Somalia, die im Laufe der Jahre dann selbst gegen Piraterie vorgehen soll.

Von einem solchen eigenständigen Kampf aber, das streitet auch in Berlin niemand ab, sind die Somalis noch weit entfernt.

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