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Wahlkampf in Polen: Endspurt mit Engeln und antideutschen Parolen

Foto: ALIK KEPLICZ/ AP

Polen im Wahlkampf Engel, Hooligans und antideutsche Parolen

Wahlkampf-Endspurt mit Frauen und Ängsten: Der erzkonservative Jaroslaw Kaczynski macht Boden gut gegen Polens Ministerpräsident Donald Tusk. Der 62-jährige Junggeselle schmückt sich mit hübschen Mädchen, unterstellt den Deutschen Großmachtträume - und lobt polnische Hooligans als "Patrioten".

Das Lager von Polens Ministerpräsident Donald Tusk ist nervös. Noch vor einem halben Jahr sah alles gut aus für seine liberalkonservative Bürgerplattform (PO). Die Umfragen sprachen von einem satten Vorsprung von 20 Prozentpunkten vor Jaroslaw Kaczynski und seiner nationalkonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Tusks Wiederwahl schien eine sichere Sache, es wäre die erste eines polnischen Regierungschefs seit der Wende 1989. Dementsprechend lau war der Wahlkampf bisher, Kaczynski schien ohne Chance.

Doch je näher die Wahl am Sonntag rückt, desto stärker holt Widersacher Kaczynski auf. Wenige Tage vor der Abstimmung am 9. Oktober liegt Tusks Bürgerplattform laut einer Umfrage im Auftrag des polnischen Rundfunks zwar immer noch mit 32 Prozent Wählerzustimmung auf Platz eins der Umfragewerte. Aber der Vorsprung zu seinem Amtsvorgänger Kaczynski ist zusammengeschrumpft, auch wenn die Zahlen immer wieder stark schwanken: Mal wollen nach Einschätzung der Meinungsforscher 29 Prozent der Wähler der PiS ihre Stimme geben, mal nur 18.

Zudem beherrscht nicht der beliebte Premier, sondern Janusz Palikot die Schlagzeilen - ein Pöbler, den Tusk wegen Krawall-Aktionen aus der Bürgerplattform verstieß. Seine neue "Bewegung zur Unterstützung Palikots" (RPP) wird es aus dem Stand wohl ins polnische Parlament, den Sejm, schaffen. Der 46-Jährige will viel: mehr Mietwohnungen, weniger Einfluss der Kirche, freien Zugang zu Internet und Empfängnisverhütung. Wie er das finanzieren will, sagt Palikot nicht, bei den Wählern kommen seine Parolen trotzdem an.

Ochsentour im Tuskobus

Tusk kämpft - es geht nun um jede Stimme, er spricht von einer "Schlacht", die "erbittert" sein und bis zum letzten Tag dauern werde. Bis zu 300 Milliarden Zloty (rund 67,5 Milliarden Euro) Brüsseler Fördergelder will er Polen sichern, sie sollen das Land weiter auf Wachstums- und Modernisierungskurs bringen, verspricht Tusk.

Seit Mitte September setzt sich der Premier regelmäßig in sein Wahlkampfmobil, den "Tuskobus", und klappert jeden Tag zwei, drei Städte ab. Eine Ochsentour, bei der Tusk nicht immer mit seiner charmanten Art punkten kann. Radikale Fußballfans nutzen seine Tour, um gegen die Null-Toleranz-Politik des Ministerpräsidenten zu protestieren, mit der dieser gegen die Gewalt in den Stadien vorgeht. Polen ist 2012 Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft.

Für Kaczynski hingegen sind die Fußballfans potentielle Wähler, der 62-Jährige bezeichnet sie als "Patrioten". Tusk kontert im Endspurt mit einem Angst-Wahlkampf. Unterlegt mit dramatischer Musik zeigt ein jüngster PO-Wahlspot wütende und hasserfüllte Menschen, die vor dem Präsidentenpalast demonstrieren, dann kahlköpfige Hooligans: "Diese Leute gehen wählen - und du?", heißt es am Ende. Die Botschaft ist klar: Wenn normale Leute nicht wählen gehen, gewinnt die PiS-Partei, und Kaczynski wird Ministerpräsident. Auf seiner Seite stehen natürlich auch die Verschwörungstheoretiker. Sie glauben noch immer, dass der Absturz des Flugzeugs von Kaczynskis Zwillingsbruder Lech ein Anschlag gewesen sei und feiern Jaroslaw wie einen Helden.

Buhlen um junge Wähler

Die Bürgerplattform hofft, dass ihre Strategie aufgeht - wie bereits 2007, als gerade junge Polen für Tusks Partei stimmten, weil sie Kaczynski verhindern wollten. Sie hatten den erzkonservativen, den europa- und deutschlandfeindlichen Kurs der Zwillinge satt. Ihre Parolen waren ihnen zu verbohrt, ihre Hexenjagd auf Homosexuelle, Andersdenkende und angebliche Stasi-Mitarbeiter peinlich.

Vier Jahre später hat es der Premier Tusk bei den jüngeren Wählern allerdings schwerer: Für sie hat er viele der versprochenen Reformen nicht umgesetzt. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Akademikern ist nach wie vor hoch.

Kaczynski spricht dagegen von langfristiger Krisenvorsorge. Tusks Liberalkonservative würden mit den geplanten Privatisierungen Polens Volksvermögen verschleudern - das sei kurzsichtig, die Unternehmen müssten in Staatsbesitz bleiben. Eine alte Botschaft, die in Zeiten der Verunsicherung ankommt, auch bei den jüngeren Wählern, die Kaczynskis Strategen verstärkt zu mobilisieren versuchen.

Sie haben der PiS ein jüngeres Image verpasst. "Cool" und "jazzy" soll die Partei wirken. Statt die grimmig dreinblickende frühere Außenministerin Anna Fotyga oder Kaczynski zu zeigen, posieren hübsche Kandidatinnen auf Wahlplakaten - alle unbekannt, dafür jung und imstande, auf Abruf zu lächeln. Gemeinsam locken sie auf Plakaten: "Kommt mit uns!"

"Engelchen" nennen die polnischen Medien die PiS-Mädchentruppe. Besonderer Liebling unter den Engeln ist Sylwia Lugowska, 23 Jahre, aus der zentralpolnischen Stadt Lodz, braunes langes Haar, schmale Taille und große volle Lippen, derentwegen sie die polnische Boulevardpresse "Angelina Jolie der PiS" nennt.

Kaczynski schürt Angst vor Deutschen

Lugowska tritt nun mit Kaczynski im Wahlkampf gemeinsam auf - eine Rolle, die dem oft recht hölzern wirkenden PiS-Chef, der unverheiratet bis vor kurzem noch mit seiner Mutter zusammenlebte, nicht immer zu liegen scheint. Es ist ein Spagat, den er da wagt. Schließlich hat er bei seinen Stammwählern einen Ruf als aufrechter Konservativer zu verlieren.

Deshalb griff er zu altbewährten Mitteln. Wenige Tage vor der Abstimmung machte er mit antideutschen Tönen Schlagzeilen: Kanzlerin Angela Merkel betreibe in der EU eine imperialistische Politik. Sie wolle eine "weiche Unterordnung" Polens unter deutsche Großmachtinteressen, sagte Kaczynski. In seinem pünktlich zur Wahl erschienenen Buch greift er sie gar persönlich an: "Ich glaube nicht, dass die Kanzlerschaft Angela Merkels das Ergebnis reinen Zufalls war", schreibt er. Was genau er damit meint, will er bisher nicht verraten. Kommentatoren werten die Passage als Hinweis auf die mögliche Unterstützung der Kanzlerin durch angebliche Stasi-Verbindungen.

Seit Tusks Regierungszeit hat sich das deutsch-polnische Verhältnis allerdings verbessert. Der Premier pflegt einen guten Kontakt zu Merkel, die in Polen viel Sympathie genießt. Zudem kann sich die Leistungsbilanz des Premiers sehen lassen: Er hat sein Land wieder zu einem respektierten EU-Partner gemacht, es unbeschadet durch die Weltwirtschaftskrise geführt. EU-weit hat einzig Polen keine Rezession zu verzeichnen. Die Wirtschaft wächst: Im Jahr 2008 waren es 5,1 Prozent, im Jahr darauf 1,6 Prozent, im vergangenen Jahr 3,8 Prozent.

Fehlender Koalitionspartner

PiS-Chef Kaczynski hat zudem einen klaren Nachteil gegenüber Tusk, trotz Aufholjagd: Ihm fehlt es derzeit an einem Koalitionspartner. Zwei der drei kleinen Parteien, die den Sprung in den Sejm schaffen dürften, haben eine Zusammenarbeit mit der PiS kategorisch ausgeschlossen. Deswegen dürfte er - wie bei den Parlamentswahlen - am Ende allenfalls einen Achtungserfolg erzielen.

Allerdings wissen viele Polen bisher nicht, ob sie am Sonntag überhaupt wählen gehen. Laut Umfragen könnte die Wahlbeteiligung deutlich unter die knapp 54 Prozent von 2007 fallen. Manche Soziologen befürchten sogar enttäuschende 40 Prozent.

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