Sorge um Meinungsfreiheit Polnisches KZ-Gesetz geht Kritikern zu weit

Die Formulierung "polnische Konzentrationslager" ist vielen Polen ein Graus - sie suggeriere eine Mitschuld am Holocaust, heißt es. Nun stellt Warschau die Formulierung unter Strafe. Kritiker warnen vor dem Gesetz.
Polnisches Parlament (Archiv)

Polnisches Parlament (Archiv)

Foto: AGENCJA GAZETA/ REUTERS

Es gibt wenig, was das liberale und konservative Polen noch eint. Doch die Wut über die Formulierung "polnische Konzentrationslager" haben die zerstrittenen Lager gemein.

Egal, wo im Ausland irrtümlicherweise von "polnischen Konzentrationslagern" geschrieben oder gesprochen wird, so wie von Barack Obama 2012, die Empörung ist immer gleich groß. Es gibt Meldungen in der Presse, erzürnte Mails und Briefe aus Polen und seit 2008 auch Einmischung der Botschaften in den jeweiligen Ländern. 2013 benutzte das ZDF irrtümlich in einer Dokumentationsankündigung den Begriff, was für den öffentlich-rechtlichen Sender in Polen juristische Konsequenzen hatte. 2016 forderte ein Krakauer Gericht vom ZDF eine öffentliche Entschuldigung.

Hinter der Empörung verbirgt sich die Angst der Polen, dass ihnen mit der Verwendung solcher Begriffe eine Verantwortung für den Holocaust zugeschrieben wird. Im Land zirkulieren Verschwörungstheorien, laut denen etwa der BND bereits vor Jahrzehnten begonnen hat, mit einer gezielten Kampagne das deutsche Volk von seiner Schuld reinzuwaschen. Seit Jahren wird darüber debattiert, wie man dem Begriff "polnische Konzentrationslager" entgegentreten könnte.

Heftige Spannungen zwischen Polen und Israel

Eine Debatte, die mit dem Regierungsantritt der PiS an Schärfe gewonnen hat. Die Partei arbeitet schon länger an einem Gesetz, das für die Verwendung des Begriffes "polnische Konzentrationslager" eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht. Am Freitag, ausgerechnet einen Tag vor dem Internationalen Holocaust-Gedenktag, wurde das Gesetz vom polnischen Parlament verabschiedet. Dieses schließt auch die Verfolgung von Ausländern ein.

In Israel ist die Empörung über das Gesetz zum "Schutze des guten Rufs Polens" groß. "In Israel weiß man, dass nicht die Polen das KZ Auschwitz und andere Vernichtungslager gebaut haben, sondern Deutsche. Aber es ist zu befürchten, dass mit diesem Gesetz nicht die Wahrheit über die Schoah ausgesprochen werden darf", sagte am Samstag die israelische Botschafterin Anna Azari bei der offiziellen Gedenkveranstaltung in Auschwitz. Heftige Kritik kam auch vom israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und anderen Regierungsmitgliedern und Politikern, die Änderungen an dem Gesetz forderten.

Die Reaktion in Polen ließ nicht lange auf sich warten. "Wir werden nichts an dem Gesetz ändern. Wir haben genug von den Beschuldigungen Polens und der Polen für deutsche Verbrechen", verkündete Regierungssprecherin Beata Mazurek. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki schrieb auf Twitter: "Auschwitz-Birkenau ist kein polnischer Name, und 'Arbeit macht frei' ist kein polnischer Satz."

Eingriff in die Meinungsfreiheit?

Kritik an dem Gesetz gibt es aber nicht nur aus Israel, sondern auch von polnischen Wissenschaftlern. "In der jetzigen Form ist dieses Gesetz ein mächtiges Instrument, das durch seine Vieldeutigkeit und unklare Formulierung die Meinungsfreiheit stark einschränken kann", sagt der in Breslau lehrende Historiker Krzyszof Ruchniewicz dem SPIEGEL.

Das Problem: In der kritisierten Passage ist nicht die Rede von "polnischen Konzentrationslagern". Stattdessen heißt es da: "Jeder, der öffentlich der polnischen Nation oder dem polnischen Staat faktenwidrig die Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen zuschreibt, die durch das Dritte Deutsche Reich begangen wurden, unterliegt einem Bußgeld oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Dies gilt ebenso für die Zuschreibung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den Frieden sowie für Kriegsverbrechen."

Kritiker in Polen und Israel befürchten, dass dadurch auch jene Wissenschaftler, Journalisten und Zeitzeugen zum Schweigen gebracht werden sollen, die sich mit der polnischen Kollaboration während des Zweiten Weltkrieges befassen. Insgesamt 60 Pogrome soll es nach Schätzungen polnischer Historiker gegeben haben. Fälle wie in Jedwabne. In dem ostpolnischen Städtchen ermordeten nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1941 nicht die Deutschen die jüdischen Einwohner, sondern ihre polnischen Nachbarn.

Ob das umstrittene Gesetz, das auch zu Spannungen zwischen Polen und der Ukraine geführt hat, in dieser Form in Kraft tritt, ist nach dem scharfen internationalen Protest inzwischen fraglich. Ohnehin muss es noch vom Senat verabschiedet und vom Staatspräsidenten Andrzej Duda unterschrieben werden. Wie Senatsmarschall Stanislaw Karczewski in einem Interview erklärte, könnte es nach Konsultationen mit der israelischen Seite nun doch noch Änderungen geben. Auch wenn er betonte, dass er den Senat am liebsten schon am Freitag über das Gesetz abstimmen lassen würde.

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