Massive Kritik an Regierung in Polen Asselborn fordert EU-Kommission auf, Polen vorzuladen

PiS-Parteichef Kaczynski, Premierministerin Szydlo im Sejm: Applaus nach der Abstimmung über die Neuordnung des Verfassungsgerichts
Foto: AP/dpaLuxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat die Politik der rechtskonservativen Regierung in Polen kritisiert: "Die Entwicklung in Warschau erinnert leider an den Kurs, den auch diktatorische Regime gegangen sind", sagte der Sozialdemokrat im Reuters-Interview. "Wenn das oberste Gericht als Kontrollinstanz faktisch entmachtet wird, dann drohen auch normale Gerichte anschließend die Unabhängigkeit zu verlieren."
Auch Einschränkungen der Meinungsfreiheit seien zu erwarten, so Asselborn. Wenn sich die Regierung der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) noch Kritik als "Einmischung von außen" verbitte, sei dies genau der Weg, den Regime wie früher die Sowjetunion auch gegangen seien. "Wer sagt, dass Kritik der europäischen Partner nicht angemessen sei, der hat Europa nicht verstanden", sagte der Luxemburger.
Die PiS-Mehrheit im Sejm, dem Unterhaus des polnischen Parlaments, hatte am späten Dienstagabend nach hitziger Debatte eine Reform des Verfassungsgerichts beschlossen. Es legt veränderte Verfahrensregeln für die Kammer fest, die nach Einschätzung des Gerichts dessen Unabhängigkeit beendet.
Die Richter sollen ihre Entscheidung künftig nur noch mit Zweidrittelmehrheit treffen können statt wie bisher mit einfacher Mehrheit. Da zwei Drittel der Richterstimmen in den meisten Fällen als nicht erreichbar gelten, fiele das Gericht nach Meinung der Kritiker wie dem "Komitee zum Schutz der Demokratie" (KOD) als Kontrollinstanz der Regierung weitgehend aus.
"Was in Warschau passiert, ist so, als ob man in Deutschland das Bundesverfassungsgericht in Karlruhe mundtot machen wollte." Europa habe bereits den Fehler gemacht, die Einschränkung der Gewaltenteilung im EU-Land Ungarn vor einigen Jahren hinzunehmen, sagte Asselborn. "Aber wenn wir das bei einem großen EU-Land wie Polen zulassen, dann können wir uns von der EU als Wertegemeinschaft verabschieden."
Die EU-Kommission müsse die polnische Regierung Anfang des neuen Jahres vorladen und die Vorgänge genau prüfen. Notfalls müsse die EU auch Sanktionen verhängen, wenn die Regierung in Warschau ihren Kurs nicht korrigiere.
"Das Gesetz zerstört endgültig das Verfassungsgericht"
Lech Walesa will neu wählen lassen in Polen - die derzeitige nationalkonservative Regierung der Partei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS, will der ehemalige Präsident ablösen, denn sie sei eine Gefahr für die Demokratie. "Diese Regierung handelt gegen Polen, gegen das, was wir erreicht haben, Freiheit, Demokratie, ganz zu schweigen davon, dass sie uns in der ganzen Welt lächerlich macht", sagte Walesa dem Radiosender Zet am Mittwoch. Der frühere Solidarnosc-Chef sprach sich für ein Referendum über die Abhaltung von Neuwahlen aus.
Die Opposition fürchtet zudem, dass das Verfassungsgericht künftig sehr viel langsamer arbeiten werde und dass von den Nationalkonservativen gewählte Richter Beschlüsse blockieren könnten.
Tomasz Siemoniak, ehemaliger Verteidigungsminister und Abgeordneter der liberalkonservativen Bürgerplattform, kurz PO, sagte: "Das ist ein Tsunami für die polnische Demokratie." Sein Parteikollege und Fraktionschef Slawomir Neumann sagte: "Das Gesetz zerstört endgültig das Verfassungsgericht." Auch Borys Budka von der Bürgerplattform warf der PiS von Parteichef Jaroslaw Kaczynski vor, das Verfassungsgericht als unabhängiges Organ zerstören zu wollen, es störe die Nationalkonservativen nicht einmal, dass sie damit die Verfassung Polens brechen würden. Budka sprach von einem "Angriff auf die Demokratie" und "die Erfüllung eines kranken Plans von Kaczynski und dem ihn unterstellten Funktionäre".
Die PiS wies die Kritik zurück: Justizminister Zbigniew Ziobro sagte, dass das Verfassungsgericht "die letzte Hochburg der Bürgerplattform" gewesen sei, nun aber die Aufgabe aller Polen erfüllen werde. Er sagte: "Wir wollen nicht nur den fetten Katzen was geben, sondern auch normalen Polen."
Präsident Duda weist Staatsstreich-Vorwurf zurück
Die Nationalkonservativen hatten bei der Parlamentswahl im Oktober die absolute Mehrheit gewonnen und bauen seither das politische System des Landes um (Lesen Sie hier mehr zu den Hintergründen). Kaczynski will einen starken Staat, der möglichst viele Bereiche kontrolliert, aber seinen Bürgern dafür Fürsorge des Staates wie etwa höheres Kindergeld verspricht. Die PiS-Abgeordnete Krystyna Pawlowicz kündigte nach der Abstimmung über die Verfassungsgerichts-Reform am Mittwoch an: "Jetzt ist die Zeit für ein Mediengesetz. Wir gehen nach vorne!"
Im Interview mit dem SPIEGEL verteidigte Präsident Andrzej Duda, Gefolgsmann Kaczynskis, den Kurs der PiS-Regierung. In Polen finde kein "Staatsstreich" statt, wie der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, nahegelegt habe: "Nicht nur ich, sondern auch viele Polen empfinden das, was Herr Schulz gesagt hat, als grobe Übertreibung, ja sogar als beleidigend", sagte Duda. (Lesen Sie hier mehr) "In Polen gibt es einen politischen Streit, aber auf keinen Fall ist die Demokratie in Gefahr."