Polit-Skandal in Moskau Die Knöpfchendrücker aus der Duma

Polit-Skandal in Moskau: Die Knöpfchendrücker aus der Duma
Foto: Sergey Ponomarev/ APRussland hat ein diszipliniertes Parlament. 233 der 234 von der Regierung eingebrachten Gesetzesinitiativen haben die Abgeordneten der Staatsduma in dieser Legislaturperiode abgenickt. "Einiges Russland", die von Premierminister Wladimir Putin geführte Partei, verfügt mit 70 Prozent der Sitze schließlich über eine satte Mehrheit.
Auch die Opposition gibt sich gern kremlzahm. So auch letzte Woche, als das Parlament eine Gesetzesänderung annahm, die Präsident Dmitrij Medwedew ein besonderes Anliegen ist: Die Einführung der 0,0 Promille-Grenze beim Autofahren. 99,8 Prozent der Volksvertreter stimmten zu, oder anders gesagt: 449 von 450.
Dumm nur, dass in Wahrheit bei der Stimmabgabe nur 88 Abgeordnete im Saal waren - und ein Kamera-Team des Fernsehsenders Ren-TV ans Licht brachte, wie die Mehrheit tatsächlich zustande kam.
"Viele Medien haben berichtet, dass die Staatsduma verboten hat, am Steuer zu trinken und damit die vorher geltende 0,3-Promille-Erlaubnis rückgängig gemacht hat", kommentierte Reporter Walentin Truschnin süffisant, "doch das ist nicht ganz präzise. Eine solche Entscheidung gibt es wirklich, allerdings wurde sie nicht von der Staatsduma getroffen, sondern von dem, was von ihr nach dem Mittagessen übrig war."
"Ein fitter Abgeordneter schafft es, neun Knöpfe zu drücken"
Danach zeigt Ren-TV Aufnahmen verwaister Sitzreihen in Russlands Parlament - und einige zumeist jüngere Abgeordnete, die an die leeren Plätze eilen - und für ihre abwesenden Kollegen eifrig die Abstimmungsknöpfe drücken. "So sieht eine wirklich aktive Gesetzgebungstätigkeit aus", spöttelt TV-Mann Truschnin, "ein fitter Abgeordneter schafft es, während der einer Abstimmung neun Knöpfe zu drücken. Ältere Abgeordnete verantworten kleinere Sektoren." 20 Sekunden bleiben Zeit, danach ist die Abstimmung beendet.
Russland muss sich nun mit einem Parlamentsskandal auseinandersetzen. "Man könnte das als Clownerie auffassen", ärgert sich der Anwalt und Korruptionsbekämpfer Alexej Navalny, "wenn sie nicht alle ihr Gehalt aus unseren Geldbeutel bekommen würden."
Präsenzprobleme während der Debatten gibt es auch in anderen Ländern. Im Deutschen Bundestag bleiben regelmäßig viele Plätze leer. Zuletzt mühte sich die SPD um mehr Disziplin in ihren Sitzreihen. Gleichwohl gilt im Reichstag: Nur wer auch im Saal persönlich anwesend ist, darf auch abstimmen, ob namentlich oder per Handzeichen.
In Russland dagegen - das bringt nun der Skandal ans Licht - bestimmen die Fraktionen "diensthabende Deputierte", die vor den Wahlgängen die Stimmkarten der Schwänzer einsammeln - und sie als anwesend und damit stimmberechtigt anmelden. Das ist auch in Russland untersagt. Laut Artikel 85 der Geschäftsordnung der Staatsduma hat jeder Abgeordnete sein Stimmrecht persönlich auszuüben.
Medwedew kritisiert "geringes Interesse" der Abgeordneten
Dennoch haben Abstimmung im "Einer-für-Alle"-Modus in Russland offenbar Methode. Normalerweise, beichtet Sergej Mironow, Parteichef von "Gerechtes Russland", würden die Abstimmungen ja immer ganz am Schluss der Sitzungen stattfinden, wenn "die Kameras schon weg sind und auch keine Journalisten mehr im Saal".
Dabei hatte Staatsoberhaupt Medwedew selbst erst im April wissen lassen, er sei "verwundert" über das geringe Interesse vieler Abgeordneter am eigenen Parlament. "Letztlich", sagte Medwedew, "ist das eine Beleidigung für jene, die die Parteien gewählt haben." Doch allem Unmut zum Trotz - Konsequenzen für die abstimmungsfaulen Abgeordnete gibt es bisher nicht.
Vielleicht zieht der Herr des Kremls nach dem Skandal nun ja ernsthaft einen Vorschlag in Betracht, den der Parlamentarier Wladimir Schirinowski bereits Anfang des Jahres ins Gespräch brachte. Der Rechtspopulist und Chef der Liberaldemokratischen Partei hatte sich im Januar beschwert, die Abgeordneten säßen eh nur "das ganze Jahr nur herum und drückten Knöpfchen". Der Präsident solle lieber gleich die Zahl der Abgeordneten reduzieren, denn als Stimmvieh, so der Politiker, "reichen auch 200".