Polizeigewalt in Istanbul: Mit Knüppeln gegen die Wutbürger vom Gezi Park
Foto: BULENT KILIC/ AFPIstanbul - Der Ort, der in den vergangenen Stunden zum Symbol wurde für den Aufstand der türkischen Zivilgesellschaft gegen staatlichen Despotismus und Polizeigewalt, ist nicht sehr viel größer als ein Fußballfeld. Breite Verkehrsstraßen und Hotels umschließen den Gezi Park am Taksim-Platz, mitten in Istanbul, fast vollständig. In der Vergangenheit trafen sich hier Männer, um Tee zu trinken, Verliebte knutschten auf Parkbänken.
Doch nun ist der Park Schauplatz für einen der heftigsten Zusammenstöße zwischen Staatsmacht und Bürgern, den die Türkei in den vergangenen Jahren erlebt hat. Seit einigen Tagen protestieren Naturschützer, Studenten, Menschenrechtsaktivisten gegen die Abholzung der Bäume. Der Park soll nach dem Wunsch der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan einem Einkaufszentrum weichen. Zunächst gingen dagegen nur einige hundert Menschen auf die Straße, inzwischen sind es Tausende und für heute Abend werden rund um den Gezi Park Zehntausende Demonstranten erwartet.
Dabei geht es längst nicht mehr nur um den Erhalt einiger hundert Bäume in Istanbul. Die Revolte richtet sich zunehmend gegen den autoritären Stil der Regierung Erdogan, die unliebsame Journalisten verfolgt, und Oppositionelle verhaften lässt.
Der Staat geht mit großer Härte gegen den Protest vor
Der Staat reagiert mit aller Härte auf "Occupy-Gezi". Die Polizei geht mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen die Demonstranten vor, Beamte knüppeln Bürger nieder. Übers Internet verbreiteten sich in den vergangenen Stunden hässliche Bilder: Menschen liegen blutüberströmt am Boden, die Straßen sind von Tränengas vernebelt, Verwundete werden vom Ort des Geschehens geschleppt. Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen haben das Vorgehen der Sicherheitskräfte bereits verurteilt. Premier Erdogan hingegen glaubt offensichtlich, die Proteste auf diese Weise ruhigstellen zu können. Die Abrissarbeiten im Park würden fortgesetzt, egal, was die Demonstranten tun, sagte er bereits vor einigen Tagen.
In der Vergangenheit war er mit dieser kompromisslosen Strategie meist erfolgreich. Studenten, die gegen Studiengebühren protestieren, wurden verhaftet, Journalisten, die die Regierung kritisierten, unter Terrorverdacht gestellt. In kaum einem anderen Land der Welt sitzen mehr Journalisten im Gefängnis als in der Türkei. In Istanbul wurden ganze Stadtteile plattgemacht, um sie kommerziell zu nutzen. Vor kurzem hat das Parlament überdies beschlossen, Alkohol quasi zu verbannen. Für Kritiker Erdogans ein weiteres Indiz für eine fortschreitende Islamisierung der Türkei.
Bei der Opposition hat sich viel Wut angestaut
Der Beliebtheit des Ministerpräsidenten hat dies nicht geschadet. Erdogan wird dafür verehrt, dass er das Land modernisiert hat. Die Wirtschaft wächst, die Türkei ist als Regionalmacht international anerkannt und selbst der Konflikt mit den Kurden, der über Jahrzehnte hinweg mehrere zehntausend Tote gekostet hat, steht kurz vor dem Ende.
Doch unter Oppositionellen, Liberalen, Linken und Säkularen hat sich Wut angestaut. Sie sind unzufrieden, mit der Richtung, in die sich das Land entwickelt. Sie wenden sich gegen eine Regierung, die zwar die Wirtschaft fördert, aber Menschenrechte ignoriert.
Die Wut entlädt sich nun rund um den Gezi Park. "Mögen all die Einkaufshäuser einstürzen und Tayyip unter ihrem Schutt begraben werden", heißt es auf einem der Banner.
Der Gezi-Aufstand könnte die Regierung Erdogan erstmals seit langem ernsthaft in Bedrängnis bringen. Am Abend sprang der Protest über auf andere Städte. Selbst in Berlin versammeln sich Menschen zu Solidaritätskundgebungen. In Ankara soll die Polizei Meldungen zufolge mit Tränengas gegen Demonstranten vorgegangen sein, unter ihnen viele Anhänger der größten Oppositionspartei. Sie marschierten in Richtung AKP-Zentrale und riefen: "Der Widerstand ist überall!"
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Eskalation auf der Einkaufsstraße Istiklal: Die türkische Polizei hat in Istanbul friedliche Proteste von Umweltschützern brutal niedergeschlagen. Die Demonstration richtete sich gegen den Wunsch der Regierung, dass die Bäume im Gezi Park einem Einkaufszentrum weichen sollen.
Demonstranten halten am Freitag auf dem Taksim Platz einem Einsatzwagen mit Wasserwerfern eine türkische Flagge entgegen.
Doch der Staat reagiert mit aller Härte auf "Occupy-Gezi" und geht mit Wasserwerfern und Pfefferspray gegen die Demonstranten vor.
Menschen liegen blutüberströmt am Boden, die Straßen sind von Tränengas vernebelt, Verwundete werden vom Ort des Geschehens in Sicherheit geschleppt.
Erste Hilfe für Tränengas-Opfer: Bei den Protesten geht es längst nicht mehr nur um den Erhalt einiger hundert Bäume in Istanbul. Die Revolte richtet sich zunehmend gegen den autoritären Stil der Regierung Erdogan, die unliebsame Journalisten verfolgt, und Oppositionelle verhaften lässt.
Einsatzkräfte legen eine verletzte Frau am Taksim Platz auf eine Liege: Zunächst gingen in Istanbul nur einige hundert Menschen auf die Straße, inzwischen sind es Tausende und für Freitagabend werden rund um den Gezi Park Zehntausende Demonstranten erwartet
Proteste auf dem Taksim Platz: Unter Liberalen, Linken und Säkularen hat sich Wut angestaut.
Demonstrant mit Guy-Fawkes-Maske: Die Oppositionellen sind unzufrieden mit der Richtung, in die sich das Land entwickelt.
Gewaltsame Zusammenstöße: Der Gezi-Aufstand könnte die Regierung Erdogan erstmals seit langem ernsthaft in Bedrängnis bringen.
Ein Demonstrant in Istanbul wirft einen Behälter mit Tränengas zurück Richtung Polizei: Am Abend sprang der Protest über auf andere Städte. Selbst in Berlin versammeln sich Menschen zu Solidaritätskundgebungen.
Flucht vor den Wasserwerfern: Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen haben das Vorgehen der Sicherheitskräfte bereits verurteilt
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