Polonium-Verdächtiger Lugowoi Operation Olympia
Hamburg - Nördlich von Moskau steht ein Mann im russischen Schnee. Er lehnt neben dem Eingang zum Schießstand, in Nadelstreifen-Anzug und feinen Schuhen, aschblond, schmale Lippen, unauffällig. "Gestatten, Andrej Konstantinowitsch Lugowoi", sagt er, "ich bin der Dritte im Bunde bei der Litwinenko-Geschichte." Lugowoi lächelt verschmitzt. Der dritte Mann. Die britische Polizei sucht ihn per Haftbefehl. Scotland Yard ist überzeugt: Lugowoi hat gemeinsam mit Dmitrij Kowtun einen der spektakulärsten Morde der jüngeren Geschichte begangen. 2006, so sind die Ermittler überzeugt, vergiftete er den Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko in London mit radioaktivem Polonium.
Lugowoi schlendert gelassen in die Halle, Kämpfer in schwarzen Sturmhauben und mit Maschinenpistolen stürmen an ihm vorbei, geben sich gegenseitig Feuerschutz, feuern, laden nach, werfen sich in Deckung. Andrej Lugowoi dreht sich zu seinem kleinen Sohn und streicht ihm über das blonde Haar.
Eine Szene aus dem Februar 2008. Da war Lugowoi schon der zweite Mann bei Russlands Liberaldemokraten - hinter Wladimir Schirinowski, dem russischen Polit-Clown. Schirinowski kandidierte für das Amt des Präsidenten, und Lugowoi inszenierte für den Populisten einen Wahlkampfauftritt auf dem Schießstand seiner Sicherheitsfirma. Schirinowski, den seine Anhänger voller Ehrfurcht "Führer" nennen, ballerte lärmend herum, schlug den Abwurf einer Bombe über der Nordsee vor, um Großbritannien zu überschwemmen - und kippte, als die Kameras aus waren, einträchtig mit einem Vertreter eines britischen Fernsehkanals einen Wodka.
Bizarre Rochade des Briten-Hassers
Lugowoi, der schon öffentlich fabulierte, er wäre gern mal Präsident, bereitet nun seinen weiteren Aufstieg in der Politik vor. Er kandidiert für das Amt des Bürgermeisters von Sotschi, der Metropole an Russlands Schwarzmeer-Riviera. Ein prestigeträchtiger Posten, denn Sotschi ist 2014 Austragungsort der Olympischen Winterspiele. Eine bizarre Rochade, wie sie wohl nur in der russischen Politik denkbar ist. Kein Zufall, dass der ehemalige Mitarbeiter von KGB und Föderalem Bewachungsdienst FSO ausgerechnet in Sotschi kandidiert. Die Augen der Welt schauen auf diese Stadt - und für Schirinowski und seine Liberaldemokratische Partei (LDPR), die weder liberal, noch demokratisch ist, stellt der Urnengang ein gefundenes Fressen dar, um sich wieder einmal auf Kosten des Auslands zu profilieren. Das kommt gut an in Russland.
Lugowois Kandidatur soll und muss das Ausland provozieren. Schon bei den Präsidentschaftswahlen 2007 hatte Schirinowski Lugowoi ins Boot geholt, als Kandidat auf Listenplatz 2. "Seht her, das ist ein echter russischer Patriot", pries ihn Schirinowski damals und provozierte damit seinen Lieblingsfeind Großbritannien. Der mutmaßliche Killer, heute Millionär und erfolgreich in der Sicherheitsbranche, war der optimale Kandidat, um den drögen Wahlkampf in Russland mit anti-westlichen Parolen aufzupeppen.
Gesetzt den Fall, die Operation hätte Erfolg, Lugowoi gewänne die Wahl und hielte sich bis 2014 im Amt - wie würde das Königreich reagieren, wenn der von Scotland Yard gesuchte mutmaßliche Killer neben Russlands starkem Mann Wladimir Putin die Spiele eröffnet? Vielleicht lädt er auch, den chauvinistisch gesinnten LDPR-Wählern zur Freude, die britische Delegation ins Rathaus ein? Lugowoi würde Sportlerhände schütteln, es gäbe Einträge in das Goldene Buch der Stadt und Bilder vom Plausch des Stadtoberen mit den Athleten.
Olympiastadt Sotschi als Wahlkampfarena
Schon gibt es Boykott-Rufe aus London, vor allem von Marina Litwinenko, der Witwe des ermordeten Kreml-Kritikers. Lugowois Kandidatur sei "ein Affront für alle Menschen, die sich auf die Winterspiele 2014 freuen", klagt Litwinenko. Den Kandidaten ficht das nicht an. Falls es ihm als Bürgermeister nicht möglich sei, nach London zu fahren um dort die Vorbereitungen auf die Sommerspiele 2012 zu studieren, dann reise er halt nach China, sagte Lugowoi. Lernen könne er dort sicher auch.
Doch die Chancen, dass dieses Szenario eintritt, sind eher gering. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die LDPR und Lugowoi dem Kandidaten der Partei "Einiges Russland", dem Amtsinhaber Nikolai Pachomow, ernsthaft Konkurrenz machen wollen. Zwar geriert sich Schirinowski gern als scharfer Kritiker der Mächtigen, als Wortführer des empörten Volkes. Tatsächlich beugen sich der Nationalist und seine Partei bei wichtigen Abstimmungen regelmäßig dem Willen des Kreml. Statt sich mit den Herrschenden anzulegen, balgt sich Schirinowski stattdessen immer wieder hingebungsvoll mit den oppositionellen Demokraten und Kommunisten.
Schirinowski hat nun Lugowoi in den Süden abkommandiert, um eine alte Rechnung zu begleichen. Denn auch Boris Nemzow, einst jugendlicher Gouverneur der Stadt Nischni Nowgorod und später als Boris Jelzins Zögling im Amt des Vizepremiers, will Bürgermeister der Olympiastadt werden. Nemzow, der den Kreml bei den Präsidentschaftswahlen 2008 harsch angegriffen hatte, kandidiert als Vertreter der Oppositionsbewegung "Solidarität". Nemzow ist Schirinowskis Intimfeind: Immer wieder rasseln die beiden Politiker aneinander. Ein Duell im Fernsehen endete sogar handgreiflich - Schirinowski schleuderte Nemzow den Inhalt seines Wasserglases ins Gesicht. Nemzow, der sich selbst gern als zupackenden Macher inszeniert, griff kurzerhand zum eigenen Becher und revanchierte sich.
Das Kandidatenfeld in der Olympiametropole komplettiert eine weitere schillernde Figur: Auch Oligarch Alexander Lebedew hat seinen Hut in den Ring geworfen - und auch er hat wie Lugowoi eine ganz besondere Beziehung zu Großbritannien: Der steinreiche Unternehmer war einst KGB-Mann in London. Gleichwohl tut sich Lebedew in jüngster Zeit mir unverhohlener Kritik am Kreml hevor. Zudem ist er Eigentümer der Moskauer Zeitung "Nowaja Gaseta" - und unterstützt damit ausgerechnet jenes Blatt, dass Russlands Mächtige am heftigsten kritisiert.
Drohungen gegen den Nachbarn
Klare Gegner und garantierte mediale Aufmerksamkeit: Sotschi ist für Schirinowski und seine LDPR die ideale Arena, um sich einmal mehr als aufrechte Verteidiger Russlands inszenieren zu können. Mit dieser Masche kanalisiert der Politiker, den die "Bild" einst "Russen-Hitler" titulierte, seit Jahrzehnten das große Wählerpotential am rechten Rand.
Zudem ist Sotschi fast schon Frontstadt. Sie liegt nur wenige Kilometer von der Grenze zu Georgien entfernt, und dort herrscht Michail Saakaschwili. Georgiens Präsident ist der russischen Bevölkerung zutiefst verhasst, nicht erst seit dem Krieg um die abtrünnige georgische Provinz Südossetien. Der sonst eher unscheinbare Lugowoi läuft sich bereits seit Monaten warm für den Wahlkampf. So gewährte er der spanischen Zeitung "El Pais" schon im Dezember ein Interview. Lugowoi bestritt vehement, am Tod von Litwinenko schuld zu sein - gleichwohl forderte er im gleichen Atemzug, Moskau müsse gegen seine Feinde vorgehen. Wer Russland schade, müsse ausgeschaltet werden. Dann stieß er eine unverhohlene Drohung gegen das Staatsoberhaupt Georgiens aus: "Wenn ich Präsident wäre, dann würde ich beispielsweise befehlen, Saakaschwili zu vernichten."