
Italien: Das Duell Letta-Berlusconi
Italiens Premier Letta Berlusconis Bezwinger
Rom - Enrico Letta ist niemand, den man in einer Heldengeschichte erwarten würde. Italiens bescheidener Premier bleibt stets leise, aus den täglichen Polemiken in Rom hält er sich heraus, ein großer Redner ist er auch nicht. Eigentlich ist er ein bisschen zu langweilig für Italiens schrille Politik.
Auch die wohl wichtigste Rede seiner Karriere liest der 47-jährige Jurist vom Papier ab. Doch was er sagt, hat es in sich. "Jetzt ist der richtige Moment, basta zu sagen", gibt er den Senatoren am Mittwochvormittag mit. Basta - es reicht. Schluss mit den Erpressungen Silvio Berlusconis, mit seinen Spielchen, mit der Politik aus Schützengräben. So sagt es Letta ganz offen. Dem "Cavaliere" schleudert er entgegen: "In einer Demokratie akzeptiert man Urteile!"
Letta, bislang ein Premier vor Berlusconis Gnaden, hat den Showdown mit seinem Gegenentwurf gesucht, dem charismatischen, lauten, launischen "Cavaliere". Die Vertrauensfrage im Parlament sollte das Duell am Mittwochabend entscheiden. Berlusconi wollte das Ende der Regierung, doch dann knickte er ein. Letta, der bis Dienstag noch wie das nächste sichere Opfer Berlusconis aussah, hat gewonnen.
Er hat die Vertrauensfrage souverän überstanden - erst stimmte der Senat mehrheitlich für ihn, am späten Mittwochabend dann auch das Abgeordnetenhaus. Zwar geht es nun weiter mit derselben Koalition, denselben Problemen. Das Regieren wird also nicht viel einfacher. Doch wichtiger könnte langfristig sein, dass er zeigt: Berlusconis Erpressungsversuch ist ins Leere gelaufen - unvorstellbar für viele, die Italiens Politik in den vergangenen 20 Jahren miterlebt haben. Deshalb ist Letta für manche Italiener nun doch ein Held.
Berlusconi entgleitet seine Partei
Der zurückhaltende Letta ging in die Offensive, zog Abtrünnige aus dem Berlusconi-Lager auf seine Seite. Er rief sie auf, beim Votum mutig zu sein. Es wurden tiefe Risse im Berlusconi-Block deutlich. Dass Berlusconis Ziehsohn Angelino Alfano und weitere Minister dem "Cavaliere" die Gefolgschaft verweigern - eigentlich undenkbar in der sonst so treu ergebenen Partei. Das ist auch das Verdienst Lettas, der sich weigerte, die von Berlusconi angeordneten Rücktritte anzunehmen. Bei seiner Rede im Senat saß dann Alfano weiter als amtierender Minister an der Seite Lettas - ein starkes Symbol.
Danach vollzog Berlusconi die Kehrtwende. Seine Partei war ihm entglitten, Letta hatte schon genügend Stimmen im Lager des "Cavaliere" gesammelt. Beobachter in Rom beschreiben ihn als nervenstark - nun hat er es gezeigt. Am Nachmittag twitterte der nüchterne Letta dann an einen Journalisten: ":-))))"
Dass Letta Moderate umwerben kann, hat auch mit seiner Biografie zu tun. Er leitet seit April die erste Große Koalition seit Jahrzehnten, die seiner Sozialdemokraten mit Berlusconis Volk der Freiheit, und gilt als jemand, der die Spaltung zwischen Links und Rechts, die Berlusconi ausschlachtet, überwinden kann.
Letta ist ein Konservativer in der linken Partei, seine politische Heimat liegt im progressiven Katholizismus. Er war Chef in der Jugendbewegung der Christdemokraten, bevor er ins Mitte-links-Bündnis wechselte. Unter Romani Prodi diente er als Büroleiter und löste damit seinen Onkel Gianni Letta ab, den Staatssekretär Berlusconis und einen der Einflüsterer des "Cavaliere".
Letta und der Onkel von der anderen Seite
In Rom wird immer wieder gemunkelt, Enrico verdanke seinen Aufstieg vor allem seinem Onkel von der anderen Seite; eine linke Karriere vor Gnaden des Berlusconi-Zirkels. Doch der Premier hat selbst eine Laufbahn hingelegt. Mit 33 wurde er Europaminister, ist international durch seine Zeit im EU-Parlament und beim Aspen-Institut bestens vernetzt. Seit langem war er Kontaktmann zur Berlusconi-Partei - er gilt als einer der wenigen Spitzenpolitiker, der es schafft, inhaltliche Kompromisse zu schmieden.
Die Fähigkeit wurde auf eine harte Probe gestellt. In der Koalition forderte, beschwichtigte, drohte der "Cavaliere" immer wieder, erst recht, seit er Anfang August rechtskräftig als Steuerbetrüger verurteilt wurde. Letta, in zweiter Ehe mit einer Journalistin verheiratet, blieb stets gelassen. "Nicht um jeden Preis" wolle er regieren, sagte er oft in seinen Monaten als Regierungschef. Jetzt suchte er den Befreiungsschlag.
Am Freitag das nächste Drama?
Seine Regierung, deren Bilanz er in seiner Rede nun ausgiebig lobte, hat in Wahrheit wenig hinbekommen. Von den Zielen, die er bei seinem Antritt formulierte, konnte er nichts durchsetzen: Bürokratieabbau, ein überfälliges neues Wahlrecht, Wachstum und "neue Lebenskraft für Italien". Stattdessen schlug er sich wochenlang mit einem Milliarden-Wahlgeschenk Berlusconis herum, der Abschaffung der Immobiliensteuer.
Doch in seiner mutigen Rede bot er eine klare Botschaft: kein Drama, feste Ziele, es geht nicht um Einzelpersonen. Er kann nun versuchen, doch noch die seit Jahren aufgeschobene Reform des Wahlgesetzes anzugehen. Es erschwert seit Jahren stabile Mehrheiten.
Doch schon am Freitag wartet das nächste Drama, wenn ein Senatskomitee über den Ausschluss Berlusconis entscheiden soll. Wegen dieser Frage hatte der "Cavaliere" die Regierung an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Es bleibt also gefährlich.
Allerdings hat Letta den Politikern und seinem Land jetzt gezeigt, woran viele nicht mehr glaubten: Es geht auch ohne Berlusconi.