Kanzlerin in Portugal Zum Teufel, Frau Merkel! Vielen Dank, Frau Merkel!

Kanzlerin in Portugal: Zum Teufel, Frau Merkel! Vielen Dank, Frau Merkel!
Foto: Manuel De Almeida/ dpaSchon kurz nach ihrer Landung in Lissabon macht der Erste klar, was er von Angela Merkel hält. "Hitler go home", steht auf dem Plakat, das der Mann am Straßenrand der Fahrzeugkolonne der Bundeskanzlerin entgegenhält. Ein paar Meter weiter schwenkt jemand eine schwarze Fahne, zwei andere recken den Arm zum Hitler-Gruß.
Es ist also nicht ganz abwegig, auf die Idee zu kommen, dass der Ort für das wichtigste Treffen des Tages gut gewählt ist. Uneinnehmbar liegt das Forte de Sao Juliao da Barra mit seinen gigantischen Mauern und Gräben da, kilometerweit abgelegen von Portugals Hauptstadt auf einem Felsvorsprung mit weitem Blick über den Atlantik. Es ist die wichtigste Seefestung des Landes, heute Sitz des Verteidigungsministeriums. In diese Trutzburg hat Portugals Ministerpräsident Pedro Passos Coelho die Kanzlerin an diesem Montag eingeladen, als sie den Krisenstaat ganz im Südwesten Europas zum ersten Mal offiziell besucht.
Eigentlich residiert Passos Coehlo mitten im Zentrum Lissabons. Die portugiesische Seite betont, die räumlichen Verhältnisse seien dort sehr beengt, nur deswegen sei man in die Festung ausgewichen. Aber man darf schon davon ausgehen, dass dem Premier auch daran gelegen ist, dass sein Gast nicht zu viel Abneigung aus nächster Nähe mitbekommen soll.

Passos Coelho will lieber zeigen, wie "zufrieden und glücklich" er über den Besuch der Kanzlerin ist. "Wir geben unseren europäischen Partnern natürlich nicht die Schuld an unserer Situation", betont er bei der Pressekonferenz nach seinem Treffen mit Merkel. Dafür sei allein die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit seines Landes verantwortlich. Passos Coelho würdigt stattdessen die "konstruktive Hilfe" Merkels. Und die Demonstranten, da ist er sich sicher, hätten im Land keine Mehrheit hinter sich.
Doch auch die wenigen, versprengten Gruppen, die die Kanzlerin während ihres nur einige Stunden dauernden Aufenthalts zu Gesicht bekommt, machen ihr klar, welch "harte Zeit" die Portugiesen derzeit durchmachen, wie sie es ausdrückt. Ihr Besuch solle den Menschen "ein Stück Hoffnung" machen. Merkel lobt die "mutigen Reformen" und nennt den Weg der Konsolidierung, den das Land eingeschlagen hat, "absolut notwendig". Passos Coelho pflichtet ihr wortreich bei. Die Schwierigkeiten, den der Sparkurs mit sich bringe, seien ihm bewusst. Es sei jedoch der einzige Weg, um in Zukunft nachhaltiges Wachstum zu generieren.
"Unerwünschte" Merkel
Viele Menschen im Land sehen das anders. "Zum Teufel mit der Troika", lautet etwa das Motto einer Facebook-Initiative, die mit der linken Opposition, Gewerkschaften und Zivilbündnisse zu Protesten gegen den Merkel-Besuch aufgerufen hatte. Erst vor wenigen Tagen erklärten etliche Intellektuelle und Künstler Merkel zur "unerwünschten Person". Wie in Griechenland, wo die Kanzlerin ebenfalls von Protesten begrüßt wurde, ist Merkel auch im Krisenland Portugal für immer größer werdende Teile der Bevölkerung das Gesicht der europäischen Sparpolitik und verantwortlich für die schmerzhaften Einschnitte, die die Menschen derzeit hinnehmen müssen, als Auflage für die Hilfen der europäischen Partner.
Im Mai 2011 ist das Land unter den Rettungsschirm geschlüpft. Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds gewährte Portugal einen Notkredit in Höhe von 78 Milliarden Euro. Die inzwischen um ein Jahr gestreckten Programmziele sehen vor, das Staatsdefizit nächstes Jahr auf 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken, 2014 soll es dann wieder unter der EU-Obergrenze von drei Prozent liegen. Im September 2013 wollen sich die Portugiesen wieder selbst an den Märkten finanzieren können.
Lange galten die Portugiesen als Sanierungs-Musterschüler, doch inzwischen glauben Fachleute, dass das Land noch länger am Tropf der Geldgeber hängen muss. Die diagnostizierten zuletzt gewisse Ermüdungserscheinungen bei den Reformen. Angesichts der schweren Rezession ist das kaum verwunderlich, die Wirtschaft schrumpft in diesem Jahr um drei Prozent, die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 16 Prozent, Tendenz steigend. Von den jungen Menschen unter 24 haben sogar mehr als ein Drittel keinen Job.
Trotzdem will die bürgerlich-konservative Regierung die Sparschraube noch einmal anziehen. Der Haushalt für das kommende Jahr sieht Einsparungen von 5,3 Milliarden Euro vor, das entspricht 5,5 Prozent des portugiesischen BIP. Sie sollen vor allem durch drastische Steuererhöhungen zusammenkommen. Portugiesische Medien haben ausgerechnet, dass durch geplante Anhebung der Einkommensteuer für viele ein Monatslohn verloren sein könnte. Zudem sind Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe und der Rente vorgesehen, massiv gespart werden soll auch im Bildungs- und Gesundheitsbereich.
Generalstreik für Mittwoch geplant
Die Portugiesen aber haben allmählich die Nase voll von immer neuen Entbehrungen. Die Wut wächst, der soziale Frieden ist erschüttert, wie Portugals Botschafter in Berlin vor Merkels Besuch einräumte. Die sozialistische Opposition will die neuerlichen Kürzungen und die geplanten Reformen nicht mehr mittragen. Sie wirft der Regierung vor, sich blind "Merkels Sparwahn" zu beugen. Selbst Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva hat sich zuletzt von der Regierung distanziert. Auch ihn traf Merkel am Montag zu einem kurzen Gespräch. Sie wollte ihn bitten, Passos Coelho bei seinem schwierigen Weg weiter zu unterstützen.
Dass der diesen Weg weitergehen will, daran lässt er an diesem Tag keinen Zweifel. "Krankhaft" nennt er die Debatten, die sich allein auf die Risiken, nicht aber auf die Chancen dieser Politik konzentrierten. Auch Merkel beschwört die Kritiker: "Wir glauben an das, was wir tun", sagt sie, "wir halten zusammen." Als sie ganz allgemein gefragt wird, was sie von den Portugiesen halte, gibt sie sogar ein Versprechen ab. Sie finde das Land so schön, dass sie auf jeden Fall hier Urlaub machen wolle - wenn sie nicht mehr Bundeskanzlerin ist.
Kurz darauf verlässt der Tross der Kanzlerin die Festung wieder, bleibt aber in sicherer Distanz zu größeren Protestkundgebungen. Im Stadtteil Belem nehmen Merkel und Passos Coelho im Kulturzentrum an einem deutsch-portugiesischen Unternehmertreffen teil, um Chancen für Investitionen auszuloten. Wieder sind an der Straße vereinzelt Demonstranten zu sehen, "Merkel raus" skandieren manche.
Die Kanzlerin lassen diese Proteste zwar nicht kalt, zumal sie dabei auch persönlich scharf angegriffen wird. Doch sie erträgt die Antipathie wie schon in Griechenland mit einer Mischung aus Gleichmut und Verständnis. Sie hofft darauf, dass die Krisenkonzepte der Troika aufgehen werden und die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt. Dann, so das Kalkül, werden die Töne schnell wieder versöhnlicher werden.
Solange aber die Erfolge noch auf sich warten lassen, gehen die Demonstrationen weiter. Für Mittwoch haben die Opposition und zahlreiche Bündnisse in Portugal zum gemeinsamen Generalstreik mit Spanien, Griechenland und Italien aufgerufen. Und auch hier wird sich die Wut wieder vor allem gegen Merkel richten.