Portugal wirbt um Rückkehrer "Wir brauchen euch"

José Luis Carneiro
Portugal war immer schon ein Auswanderungsland. Mittlerweile lebt mehr als ein Fünftel der Bevölkerung im Ausland. Auch die Geburtenrate ist in kaum einem anderen EU-Land so niedrig. Das wird zunehmend zum Problem. Um den Erhalt der portugiesischen Sozialsysteme zu garantieren, muss der Bevölkerungsrückgang gestoppt werden.
Die Regierung bemüht sich daher verstärkt, Menschen ins Land zu holen. Das zeigt sich beispielsweise an der Migrationspolitik: Während andere EU-Staaten sich zunehmend abschotten, wirbt Portugal um Flüchtlinge. Die ausgeprägte Willkommenskultur geht einher mit Integrationsprogrammen, die dafür sorgen sollen, dass Geflüchtete im Land bleiben und sich dort eine Zukunft aufbauen.
Auch gibt es zunehmend Bemühungen, um einen Teil der Auslandsportugiesen zu einer Rückkehr in die Heimat zu bewegen. Die Regierung versucht, die Emigranten mit verschiedenen Vergünstigungen zu locken. Verantwortlich dafür ist auch Staatssekretär José Luis Carneiro im portugiesischen Außenministerium.
SPIEGEL: Portugal stand vor dem Staatsbankrott und musste 2011 mit europäischen Kreditgarantien über 78 Milliarden Euro gerettet werden. Wie viele Portugiesen haben in den Jahren der Wirtschaftskrise ihre Heimat verlassen?
José Luis Carneiro: Wir schätzen, dass eine halbe Million unserer Bürger zwischen 2010 und 2015 auf Arbeitssuche ins Ausland gegangen sind. Insgesamt leben bis zu 5,7 Millionen Portugiesen und Menschen portugiesischer Abstammung außerhalb des Landes. Diese Zahl umfasst in Portugal geborene Auswanderer, Bürger, die im Ausland geboren sind und die portugiesische Staatsangehörigkeit haben, und Nachkommen von Portugiesen mit portugiesischer Staatsangehörigkeit sowie andere, die jederzeit diese Staatsangehörigkeit annehmen könnten. Portugal hat 10,3 Millionen Einwohner.
SPIEGEL: Wohin sind die meisten ausgewandert?
Carneiro: Die meisten Emigranten gingen nach Europa: nach Spanien, Deutschland, in die Schweiz, nach Luxemburg und Großbritannien, Belgien und die Niederlande. Die ehemaligen portugiesischen Kolonien wie Angola und Mozambik kommen als Ziele erst an neunter und zehnter Stelle.
SPIEGEL: In den vergangenen vier Jahren ist es in Ihrem Land wirtschaftlich bergauf gegangen. Bleiben wieder mehr Menschen in Portugal?
Carneiro: Seit 2015 nimmt die Auswanderungsbewegung ab. 2016 kamen 15.000 Zuwanderer weniger, zwischen 2016 und 2017 haben wir wieder einen Rückgang der Emigrantenzahl um 15.000 verzeichnet. Und fast zwei Drittel dieser Leute kehren spätestens nach einem Jahr zurück.
SPIEGEL: Die Arbeitslosigkeit war auf 18 Prozent angeschwollen. Hat sich also inzwischen die Arbeitsmarktsituation verbessert?
Carneiro: Der Entschluss, die Heimat zu verlassen oder wieder zurückzukehren, basiert auf gründlichen Überlegungen. Da spielen ganz unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Natürlich ist das höchste Wirtschaftswachstum und die niedrigste Arbeitslosenrate seit der Jahrtausendwende wichtig. Erstmals haben wir 30.000 freie Stellen anzubieten. Und auch die Lebensbedingungen generell haben sich in Portugal so verbessert, dass sie mit anderen europäischen Ländern vergleichbar sind.
SPIEGEL: Nun hat die portugiesische Regierung ein Programm aufgelegt, das Landsleute zurücklocken soll. Es tritt dieser Tage in Kraft. Was wird da angeboten?
Carneiro: Seit Januar ist schon eine Steuervergünstigung in Kraft: Portugiesen, die mehr als drei Jahre im Ausland gearbeitet haben und bis Ende 2020 zurückkehren, zahlen fünf Jahre lang nur die Hälfte ihrer Einkommensteuer. Dazu kommt eine Beihilfe zum Umzug für diejenigen, die einen festen Arbeitsvertrag oder eine Zusage für eine Stelle in Portugal haben. Das sind maximal 6500 Euro pro Familie, beispielsweise für Flugtickets, den Transport des Hausstands oder für Übersetzung und Beglaubigung von Zeugnissen. Schließlich planen wir, Kredite für diejenigen zur Verfügung zu stellen, die sich selbstständig machen wollen. Das bereitet das Wirtschaftsministerium gerade vor, basierend auf den Erfahrungen, die wir mit solch einer Investitionsförderung für die Rückkehrer aus Venezuela gesammelt haben.
SPIEGEL: Warum macht Ihre Regierung das? Dient es der Profilierung vor der Parlamentswahl im Oktober?
Carneiro: Wir setzen ein klares Zeichen: Portugal nimmt euch mit offenen Armen auf. Denn wir brauchen euch. Das war immer die Botschaft an unsere Diaspora. Darüber hinaus haben wir seit 2017 schon die Zahl der Büros zur Unterstützung von Emigranten von 100 auf 157 erhöht und ein Programm entwickelt, mit dem wir portugiesischstämmige Studenten für Universitäten in Portugal gewinnen wollen. Natürlich können wir nicht die Löhne und Gehälter zahlen, die man beispielsweise in Deutschland verdient. Aber hier kostet auch der Lebensunterhalt weniger als in Hamburg oder London. Besonders außerhalb unserer Metropolen Lissabon und Porto kann man für wenig Geld zur Miete wohnen, im Restaurant für weniger als zehn Euro Mittag essen. Die sozialen Unterschiede sind nicht so groß bei uns, das schafft einen besseren gesellschaftlichen Zusammenhalt.
SPIEGEL: Schafft der Tourismusboom Arbeitsmöglichkeiten in der Heimat für junge Portugiesen, die Erfahrungen im Ausland gesammelt haben?
Carneiro: Viele gut ausgebildete junge Portugiesen bringen in der Landwirtschaft den ökologischen Anbau von Lebensmitteln und Wein voran. Das dient nicht nur der Verbesserung des Exports. Einige bieten Quartiere an, beliefern Restaurants oder kochen selbst kreativ. Aber wir brauchen auch Hochqualifizierte für innovative Industriezweige, beispielsweise für erneuerbare Energie oder neue Technologien, etwa um unsere Verwaltung zu digitalisieren. In Portugal haben wir den digitalen Pass zuerst entwickelt und auch Systeme zur Kontrolle von Flughäfen. In der Aeronautik arbeiten wir mit anderen europäischen Ländern zusammen. Und ausländische Firmen, die in Portugal produzieren, benötigen neben ungelernten Arbeitern auch Hochqualifizierte.
SPIEGEL: Zusätzlich strömen diejenigen zurück, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren, zum Teil noch während der Diktatur die Heimat verlassen haben, weil sie jetzt in Rente gehen.
Carneiro: Ja, einige teilen ihr Leben zwischen Portugal und ihrem Gastland auf, wo sie Kinder und Enkel zurückgelassen haben. Viele Portugiesen oder portugiesisch Stämmige kommen aus Brasilien, weil dort die Lebenskosten angestiegen sind. Und in Portugal fühlen sie sich sicher. Der Brexit macht selbst den jungen Leuten Sorgen, immer weniger ziehen nach Großbritannien. Dazu kommen schon eine halbe Million Ausländer, die sich in Portugal niederlassen. Seit zwei Jahren wächst am meisten der Zustrom von Franzosen und Italienern. Wer den Alterswohnsitz nach Portugal verlegt, zahlt zehn Jahre keine Steuern auf die Rente.