Präsidentenwahl in Russland Wie der Kreml eine Kommunisten-Hochburg schleifen ließ
Iwanowo - Als er auf den "jungen, energischen Bürgermeister" zu sprechen kommt, gerät Anatolij Joffe, ein inzwischen pensionierter, aber politisch engagierter Hochschullehrer, richtig ins Schwärmen. Alexander Fomin habe in Iwanowo, einer 400.000-Einwohnerstadt 300 Kilometer nordöstlich von Moskau, für bessere Straßen, saubere Plätze und für neue Entbindungskliniken und Kindergärten gesorgt.
Der so gelobte und in Iwanowo durchaus beliebte Fomin ist nicht nur Bürgermeister, sondern steht praktischerweise auch der Kreml-Partei "Einiges Russland" vor, für die er schon bei den Parlamentswahlen im Dezember 59 Prozent der Stimmen einfuhr. Nun macht er Wahlkampf für sich selbst, denn in Iwanowo stehen am Sonntag auch Kommunalwahlen an. Natürlich wirbt er zudem für den Mann, den Wladimir Putin in Hinterzimmergesprächen zu seinem Nachfolger auserkoren hat: Dmitrij Medwedew.
Bei einem Auftritt in einer Schule spricht der Bürgermeister Klartext und erklärt, woher der Aufschwung in Iwanowo kommt. "Geht am Sonntag zur Wahl, davon hängt viel ab, nicht nur für mich, sondern auch für euch. Wir wollen doch in das föderale Programm zur Sanierung von Wohnungen aufgenommen werden", ruft er. "Da sage ich euch doch nichts Neues."
Natürlich wird auch der Hochschullehrer Joffe für Bürgermeister Fomin und Kronprinz Medwedew stimmen. "Denn früher, vor fünf Jahren noch, war die Stadt in einem schrecklichen Zustand, nichts wurde gebaut", erklärt er. Damals hatte die Kommunistische Partei (KPRF) noch Stadt und Region Iwanowo unter ihrer Kontrolle. In den neunziger Jahren war die Textilwirtschaft unter dem Druck billiger Konkurrenz aus dem Ausland und wegen der allgemeinen Wirtschafts- und Finanzkrise zusammengebrochen. An diese Zeit erinnert sich die Textilingeneurin Nadeschda Simakowa nicht gern: "Wir saßen im Werk und hatten praktisch keine Arbeit. Und wenn, dann bekamen wir dafür kein Geld. Heute arbeiten wir mehr oder weniger stabil".
Diejenigen, die in den mageren Jahren alles falsch gemacht haben sollen, sitzen im Stockwerk über dem Billardcafé "Revolution". An einem Computer haut ein alter Mann mit Hornbrille langsam auf die Tastatur. Das Haupthaar ist fast verschwunden, stattdessen wachsen ihm grau-schwarze Haare aus den Ohrhöhlen heraus. In der Ecke lesen zwei Rentnerinnen in alten Büchern. Lenin, übermannsgroß in Öl porträtiert, hängt an der Wand und wacht über das Büro der Kommunistischen Partei Russlands (KPRF). Natürlich habe der Ex-Gouverneur im Kreml immer wieder um Unterstützung bei der Sanierung der Textilfabriken gebeten, sagt die 70-jährige Parteisekretärin Valentina Puschkowa. "Nichts haben die damals für Iwanowo gemacht, einfach weil der Gouverneur in der falschen Partei war." Als er 2005 von Putin vom Thron gestoßen wurde, trat der KPRF-Mann zur Kreml-Partei "Gerechtes Russland" über. "Er wollte weiter Karriere machen", sagt Puschkowa trocken. Und das funktioniert in Russland nur im Windschatten des Kremls.
Moskauer Milliarden angezapft
Seit die Kreml-Partei "Einiges Russland" in Iwanowo an der Macht ist, läuft es wieder rund. So kommt wenigstens ein Teil des russischen Wirtschaftswachstums in einer Industrieregion wie Iwanowo an aber nur, weil die Regionalpolitiker nach der Pfeife des Präsidenten tanzen. So auch Gouverneur Michail Men, ein stämmiger Politiker mit väterlich-strengem Blick, auf dessen riesigem Schreibtisch genug Platz für ein großes Aquarium mit wohlgenährten Fischen ist.
Vor zweieinhalb Jahren wurde Men von Putin als Aufräumer nach Iwanowo geschickt. Dort stellte er sich vor die Bevölkerung, versprach weniger Arbeitslosigkeit und ein wirtschaftliches Comeback. Anders als der kommunistische Amtsvorgänger kommt Men an die Moskauer Milliarden ran. Deshalb betont er stets seine Nähe zum Kreml: "Nachdem ich Präsident Putin auf der Januar-Audienz die Situation der Textilindustrie erklärt hatte, beauftragte er seine Ministerien mit der Errichtung eines Textilclusters in der Region Iwanowo", gibt er gegenüber SPIEGEL ONLINE in typischem Bürokraten-Russisch zu Protokoll. Schon tüfteln sie in Iwanowo an einem Masterplan, wie man die Produktion im "Cluster" auf die lukrativere synthetische Produktion konzentrieren kann. Also auf Autositze, Dämmstoffe und Kraftstofffilter, bei denen Qualität wichtiger ist als der Preis und die Russen gegen die Billigkonkurrenz aus China noch eine Chance haben.
Das alles dürfte die Kreml-Oberen eher am Rande interessieren. Wichtiger ist, dass die Menschen in Iwanowo den Gouverneur Men als Retter der Region feiern und die alte kommunistische Bastion zu den Präsidentschaftswahlen auf Kreml-Kurs gebracht wurde.
Denn noch vor wenigen Jahren war Iwanowo eine scheinbar uneinnehmbare Bastion der Kommunisten. Sie stellten Bürgermeister und Gouverneur, bei den nationalen Wahlen stimmten ungewöhnlich viele Wähler für die Partei der kommunistischen Vergangenheit und damit eindeutig gegen Präsident Wladimir Putin. In der Sowjetunion war Iwanowo das Zentrum der Textilindustrie, ein "russisches Manchester". Fast 90 Prozent der Beschäftigten in Stadt und Region arbeiteten in dem Gewerbe, das Stoff für jeden Wimpel und jede Fahne im Arbeiter- und Bauernstaat herstellte. Staatsgründer Lenin gar pries Iwanowo als dritte proletarische Hauptstadt nach Moskau und Petrograd, das spätere Leningrad, das heute wieder St. Petersburg heißt.
In ihrer Glanzzeit zog die Textilstadt Näherinnen aus dem ganzen Land an, was Iwanowo den Ehrentitel "Stadt der Bräute" einbrachte. Junggesellen liebten es, dort auf Brautschau zu gehen. Nun hat sich gleich die ganze Stadt dem fernen Moskauer Mäzen an den Hals geworfen. Die Ergebnisse der Wahl am Sonntag werden es bestätigen. Von einer Liebesheirat aber muss man dennoch nicht sprechen.