Präsidentenwahl Russlands Nichtwähler fürchten Repressalien

Dmitrij Medwedew wird heute zum russischen Präsidenten gewählt. Doch die Stimmen seiner Wähler gelten eigentlich einem anderen: Wladimir Putin. Die russischen Behörden wollen eine hohe Wahlbeteiligung erreichen - um jeden Preis.

"Die Wahlen sind so langweilig", ätzt Konstantin Mironow, "auf der Arbeit haben wir uns schon Gedanken gemacht, wie wir die ein bisschen aufpeppen können." Der 23-jährige Ingenieur und seine Kollegen haben Wetten abgeschlossen - ausgerechnet auf eine Wahl, die seit Wochen entschieden ist. "Wir setzen auf die Höhe des Ergebnisses für Medwedew. Ich tippe, er schafft mehr als 60 Prozent, aber nicht mehr als Putins Partei 'Einiges Russland' bei den Parlamentswahlen bekommen hat", erklärt Mironow. Am Vorabend der Wahl hockt er an der Bar des "Solotaja Woblja", einem verrauchten Moskauer Schuppen mit Live-Musik. An der Decke dreht sich eine einsame Diskokugel, die Gäste feiern ausgelassen fertiggestellte Diplomarbeiten und Geburtstage.

Mironow zecht; ob er seine Stimme abgeben wird - wer weiß. "Wenn ich sonst nichts anderes zu tun habe, vielleicht. Ich sehe darin keinen besonderen Sinn. Die da oben haben längst entschieden, dass 'Dimka' Medwedew gewinnt. Meine Stimme beeinflusst überhaupt nichts." Weiter vorn, auf einer kleinen Bühne spielt eine leidlich begabte Thekenband die Lieder der legendären russischen Gruppe "Kino". Sie singen von einem Päckchen Kippen in der Tasche, und dass alles gar nicht so schlimm sei. Mironow fummelt eine Zigarette aus seiner Jacke. "Es ist ja auch nicht alles so schlecht. Das Wichtigste ist, dass es ruhig bleibt im Land und die Wirtschaft läuft."

Wählen lohnt sich

Die Nachtschwärmer schlafen noch, als am Morgen Wahllokal 1224 seine Pforten öffnet, eine Schule in der mit Fahnen beflaggten Moskauer Malenkowskaja Straße. Das Treppenhaus schmücken bunte Luftballons. "Die Leute sollen gute Laune haben. Es ist doch ein Fest", erklärt Wahlleiterin Elena Mischnewa. Pragmatischer veranlagte Wähler lockt Einkaufskomfort, im Erdgeschoss werden Tischdeckchen und Porzellan, Spielzeug und Bücher feilgeboten. Wählen lohnt sich: Das Kilogramm Apfelsinen kostet hier nur 45 Rubel, rund ein Drittel weniger als im Supermarkt um die Ecke.

Eine hohe Wahlbeteiligung ist wichtig für den kommenden Herrn des Kreml, es geht um Medwedews Legitimation. Er wird gewinnen, doch nachdem das Feld seiner Gegner bis auf drei harmlose Kandidaten gesäubert wurde, benötigt er - mehr noch als einen klaren Sieg - eine breite Zustimmung der 109 Millionen Wähler. Russlands oberster Wahlleiter Wladimir Tschurow hat deshalb als Marschbefehl ausgegeben, die 63 Prozent Wahlbeteiligung bei den letzten Duma-Wahlen noch zu toppen - offenbar um jeden Preis.

Druck auf Staatsbedienstete

Die Kreml-kritische Tageszeitung "Nowaja Gaseta" berichtet, dass in St. Petersburg Staatsbedienstete Anweisungen bekämen, wen sie wählen sollen. In der Poliklinik Nr. 14 habe sich das Personal widersetzt. "Deshalb hat man uns unsere Prämienzahlungen gestrichen", zitiert das Blatt die Ärztin Tatjana Schipkowa.

Wer die Wahl für eine Farce hält und sie boykottiert, befürchtet Repressionen. Deshalb mag Michail Gordejew* seinen tatsächlichen Namen nicht nennen. "Erst wollte ich meinen Wahlzettel zerreißen, damit niemand anderes für mich abstimmt", sagt der 23-Jährige. "Aber das ist sinnlos, weil so meine Stimme nirgendwo auftaucht. Ich werde für Sjuganow stimmen, so sieht man meinen Protest wenigstens." Der junge russische Manager eines deutschen Unternehmens in Moskau wählt den alternden Kommunistenchef Gennadij Sjuganow - doch nicht aus Überzeugung, sondern aus Mangel an Alternativen. "Es ist ekelhaft. Es gibt nichts zu wählen. Aber ich will nicht still sitzen und schweigen", klagt Gordejew.

Kandidat Bogdanow: Wählerstimmen aus Mitleid

Rosa Terentewa aus St. Petersburg geht gar nicht zur Wahl. "Es ist egal, wen man wählt, es wird sowieso Medwedew", sagt die 26-Jährige resigniert. "Ich fühle mich auch einfach sehr schlecht über die Wahlen und die Politik informiert - es gibt immer nur diesen Quatsch bei uns im Fernsehen."

In den Morgenstunden sind es vor allem Pensionäre, die den Weg zum Wahllokal in der Moskauer Malenkowskaja Straße finden. Alexander Prokofjew, 61, stapft gemeinsam mit Ehefrau und Sohn durch den Schneematsch: "Wir stimmen für Putins Partei 'Einiges Russland'. Sie hat Perspektiven, ihr gehört die Zukunft. Und sie versteht die Sorgen der Menschen." Dmitrij Medwedew wurde von "Einiges Russland" mit Putins Segen als Kandidat aufgestellt.

Schmunzelnd rückt Hochschuldozent Valentin Akopjan seine dunkelbraune Schirmmütze zurecht - als er das Wahllokal betrat, hatte sich der 66-Jährige noch nicht entschieden, wem er seine Stimme gibt. "Ich hab dann Bogdanow gewählt. Der tut mir Leid. Er bekommt bestimmt nicht viele Stimmen", feixt Akopjan.

Wenjamin Grosse, 70, tritt nervös von einem Bein auf das andere. "Ich - ich gehe immer so früh wählen. Ich lasse das nie aus. Wir Rentner, wir sind da sehr pflichtbewusst." Er zündet sich eine Zigarette an, schaut sich unsicher um. Er mag nicht verraten, für wen er gestimmt hat. Resolut packt ihn da seine Frau Nadjeschda am Arm: "Wir haben gegen alle gestimmt." Beide haben ihre Wahlzettel ungültig gemacht. "Putin und seine Leute wollen uns weismachen, uns ginge es besser. Dabei geht es nur denen selbst immer besser und ihren Konten", zetert die alte Dame.

Es ist der scheidende Staatschef, der polarisiert. Dmitrij Medwedew, kommender Präsident, bald Regent des größten Flächenstaates der Erde, er wird von den Wählern der Malenkowskaja Straße kaum als eigenständige Person wahrgenommen. Für sie ist er der Diener seines Herrn - im Schlechten, wie im Guten. "Wir haben in Russland in der Vergangenheit deutliche Fortschritte gemacht", lobt die 69-jährige Lidia Zwetowna den Kurs des Kreml. "Es geht voran. Da ist es doch ganz klar, wen ich wählen werde: Wladimir Putin natürlich."

*Name von der Redaktion geändert

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