Präsidentschaftswahl in Argentinien Mit Dylan aus der Endloskrise

Wahlplakat des aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten Alberto Fernández
Foto: Spencer Platt/ Getty ImagesDer Mann, den Argentinier am Sonntag aller Voraussicht nach zu ihrem neuen Präsidenten wählen, ist ein glühender Bob-Dylan-Fan. Seit er 16 ist, spielt Alberto Fernández die Lieder des amerikanischen Singer-Songwriters auf der Gitarre. Manchmal zitiert er ihn in seinen Reden. Vor allem aber ist Fernández Besitzer eines Collie-Rüden namens Dylan, dem in den sozialen Netzwerken inzwischen Zehntausende Argentinier folgen. Dylan macht dort Wahlkampf. "Que hombre!", was für ein Mann, twitterte er kürzlich unter einem Foto seines Herrchens.
Man muss das erwähnen, weil ansonsten nicht so viel bekannt ist über den Peronisten Alberto Fernández, der in den meisten Wahlprognosen mit rund 20 Prozent Vorsprung vor dem Amtsinhaber Mauricio Macri führt.
Fernández, der Strafrecht an der Nationalen Universität Buenos Aires lehrt, hatte sich in den vergangenen Jahren weitgehend aus der Politik zurückgezogen. Zwischen 2003 und 2007 war er mal Stabschef des damaligen Präsidenten Nestor Kirchner. Auch unter Kirchners Frau Cristina behielt Fernández diesen Posten, ehe er sich mit der Präsidentin überwarf und zu einem scharfen Kritiker ihrer populistischen Wirtschaftspolitik wurde.
Viele Argentinier waren deshalb überrascht, als sie Anfang des Jahres davon erfuhren, dass Kirchner und Fernández wieder miteinander reden würden. Noch überraschter aber waren sie, als Kirchner im Frühjahr per Videobotschaft mitteilte, dass sie auf eine eigene Kandidatur verzichte und stattdessen als Fernández' Vizepräsidentin antreten wolle. Möglich, dass dies der entscheidende Zug gewesen ist. Anders als Kirchner gilt Fernández, dessen Markenzeichen ein buschiger Schnauzer ist, als moderater Mann des Dialogs, dem viele Argentinier am ehesten zutrauen, Lösungen zu finden für die vielfältigen, komplexen Probleme ihres tief gespaltenen Landes.

Herausforderer Fernández bei einer Wahlkampfveranstaltung in Mar del Plata
Foto: Spencer Platt/ Getty ImagesAllein in diesem Jahr sind in der drittgrößten Wirtschaft Lateinamerikas drei Millionen Menschen in die Armut abgerutscht. Tausende Industriebetriebe haben dichtgemacht oder massenweise ihre Angestellten vor die Tür gesetzt. Die Inflation hat sich eingependelt bei 50 Prozent. Geld, das täglich seinen Wert verliert, Wohnungen und Lebensmittel, die unerschwinglich werden, es ist eine Lage, die bei vielen Argentiniern traumatische Erinnerungen an das Krisenjahr 2001 weckt, als der damalige Präsident Fernando de la Rúa kurz vor der letzten großen Staatspleite Konten einfrieren ließ und 39 Menschen bei blutigen Protesten starben.
Verantwortlich für die Krise heute ist in den Augen der meisten Argentinier der aktuelle Präsident. Mauricio Macri, der aus einer der reichsten Familien des Landes stammt, war 2015 angetreten mit dem Versprechen, die Armut auf null zu reduzieren. Mithilfe neoliberaler Reformen wollte Macri das Land zurück an die Finanzmärkte bringen, er hoffte darauf, dass Investoren kommen würden, aber seine Rechnung ging nicht auf.

Präsident Mauricio Macri
Foto: Carlos Garcia Rawlins/ REUTERSAls er die von Kirchner eingeführten Devisenkontrollen abschaffte, legten viele Argentinier, die ihrer eigenen Wirtschaft nicht vertrauen, ihre Ersparnisse wieder im Ausland an. Als Macri die subventionierten Festpreise auf Strom und Gas lockerte, um die Staatsausgaben zu senken, waren Preisanstiege die Folge. Rechnungen, die bald nicht mehr zu bezahlen waren. Angesichts schwindender Reserven wandte sich Macri an den Internationalen Währungsfonds, der ihm einen Rekordkredit in Höhe von 57 Milliarden Dollar gewährte. Aber auch dieses Geld, das vor allem dazu diente, die Währung einigermaßen stabil zu halten und die hohen Risikozinsen auf Staatsanleihen zu zahlen, ist heute so gut wie aufgebraucht.
Viele seiner Maßnahmen hat Macri in den Wochen vor der Wahl wieder zurückgenommen. Als er zuletzt im Wahlkampf durch das Land tourte, beklagte er immer wieder, dass ihm die Zeit fehle, die Irrtümer von Jahrzehnten zu korrigieren.
Es gibt ein Sprichwort, das viele Argentinier in diesen Tagen häufiger zitieren. Wenn man nach dreißig Tagen in ihr Land zurückkehre, heißt es, erkenne man nichts mehr wieder. Kehre man aber nach dreißig Jahren zurück, sei alles unverändert.
Alberto Fernández wird nun wohl also der nächste sein, der sich daran versucht, das Land aus seiner Endloskrise herauszuführen. Aber die Zeit drängt. Im kommenden Jahr werden die ersten Rückzahlungen an den Internationalen Währungsfonds fällig. Um einen neuerlichen Bankrott zu vermeiden, wird Fernández versuchen müssen, mit seinen Gläubigern über eine Umstrukturierung der Schulden zu verhandeln. Fernández weiß, dass von ihm gefordert wird, die Ausgaben des Staates zu reduzieren. Im Wahlkampf aber hat er immer wieder darauf hingewiesen, dass Menschen, die nichts zu essen haben, keine Schulden zahlen. In einem Fernsehinterview mit dem Nachrichtenkanal TN sagte er in dieser Woche, dass die Sparvorgaben "wie Excel-Tabellen" seien. Sie funktionierten in der Theorie. In der Wirklichkeit sehe es aber so aus wie im Nachbarland Chile, wo in den vergangenen Wochen Dutzende Menschen bei Protesten gegen die neoliberale Sparpolitik ihrer Regierung ums Leben kamen.
Fernández steht im Ruf, ein durchaus geschickter Verhandler zu sein. Die Frage, die sich allerdings nicht nur die Argentinier stellen, ist, wie unabhängig er sein Amt in Zukunft führen wird. Bei ihren wenigen gemeinsamen Auftritten im Wahlkampf erklärte er mit Blick auf seine Stellvertreterin Kirchner, dass sie über alles reden würden. Am Ende aber entscheide er. Wie es am Ende kommt?
The answer my friend...