Präsidentschaftswahl in Iran Ahmadinedschad erringt überwältigenden Sieg

So eindeutig hatte den Wahlausgang niemand erwartet: Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad steht vor einem klaren Sieg. Auf den Hardliner entfallen nach Auszählung von vier Fünftel der Stimmen knapp 65 Prozent - Reformer Mussawi liegt bei 32 Prozent. Beide riefen sich zum Sieger aus.

Teheran - Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad wird den Iran weitere vier Jahre regieren. Nach Auszählung von fast 80 Prozent der Stimmen entfielen auf den Hardliner knapp 65 Prozent - mehr als doppelt so viel wie für seinen aussichtsreichsten Herausforderer Mir Hossein Mussawi. Der Reformer kommt demnach auf gut 32 Prozent der Stimmen, wie das Innenministerium am Samstag mitteilte.

Beide Politiker erklärten sich kurz nach Schließung der Wahllokale bereits zum Sieger. Mussawi sprach auf einer Pressekonferenz von Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe und erklärte, er habe "definitiv die Wahl gewonnen". Dafür gebe es "Anzeichen aus dem ganzen Iran".

Kurz darauf meldete die amtliche Nachrichtenagentur IRNA, Ahmadinedschad habe die Abstimmung gewonnen. Wahlberechtigt waren 46,2 Millionen Iraner, wegen des großen Andrangs waren die Wahllokale sechs Stunden länger als geplant geöffnet und schlossen erst um Mitternacht Ortszeit. Nach Angaben des Innenministeriums lag die Wahlbeteiligung bei rund 75 Prozent. Das Innenministerium verbot alle Kundgebungen und politischen Versammlungen bis zur Bekanntgabe des Endergebnisses.

Der vierwöchige Wahlkampf wurde von harten Auseinandersetzungen der beiden aussichtsreichsten Kandidaten geprägt. Der 67-jährige Mussawi, der in den achtziger Jahren Ministerpräsident war, warf Ahmadinedschad vor, er lenke den Iran in eine Diktatur. Die Revolutionsgarde warnte das Reformlager am Mittwoch, sie werde jede "Revolution" der "grünen Bewegung" Mussawis zerschlagen.

Der Oberste geistliche Führer, Ajatollah Ali Chamenei, rief die Wähler am Freitag zur Ruhe auf. Wenn einige Spannungen schaffen wollten, dann würde dies dem Volk nur schaden, mahnte Chamenei, der offiziell keine Präferenz für einen der vier Kandidaten erkennen ließ. Der große Einfluss Chameneis begrenzt die Macht der Präsidenten.

Furcht vor Protestwelle

In der Nacht der Entscheidung war kaum jemand unterwegs auf Teherans Straßen, und das lag nicht nur am Regensturm, der die Bäume entlang der Boulevards zauste. Von der Ausgelassenheit, mit der in den vergangenen Tagen Wahlkampf betrieben wurde, ist nichts geblieben. Die Stimmung ist angespannt, fast hat man das Gefühl, dass die Stadt die Luft anhält.

Und viele Iraner stellen sich die bange Frage: Werden die Anhänger des Unterlegenen die Niederlage akzeptieren - oder steht Iran vor einer Protestwelle, die in Gewalt münden wird?

Einen Vorgeschmack darauf, was da kommen könnte, gab es schon am Freitagnachmittag. Etwa ein Dutzend Polizisten in Zivil stürmte eines der Hauptquartiere des Reformkandidaten Mussawi. Stunden nach dem Übergriff sind dessen Anhänger immer noch aufgewühlt.

Mehrere Freiwillige seien verletzt worden, berichten sie. Die Fensterscheiben im Erdgeschoss des Bürogebäudes sind zerschlagen, vor der Tür steht Polizei. "Das könnte der Auftakt sein", fürchtet Mussawis Kampagnenchef, Mohsen Aminzadeh. Die Polizei unterstehe dem noch amtierenden Präsidenten Ahmadinedschad, der Angriff sei klar politisch motiviert. "Wir sind sicher, dass Mussawi gewonnen hat. In den kommenden Tagen rechnen wir deshalb mit gewaltsamen Übergriffen." Alle Anhänger Mussawis seien aufgefordert, Ruhe zu bewahren - und nicht für Jubelfeiern auf die Straße zu gehen. "Wir sind sehr besorgt."

Mussawi bereitet das Feld für Wahlanfechtung

Besorgt ist auch Präsidentschaftsanwärter Mussawi selbst, als er am Abend in einem Privathaus im Norden Teherans vor die eilig zusammengetrommelte Presse tritt. Zwar ruft er sich schon mal zum definitiven Sieger der Wahl aus, seiner Sache sicher scheint er jedoch nicht: Er zählt eine Reihe von angeblich beobachteten Wahlmanipulationen auf - und bereitet damit das Feld, ein negatives Endresultat anzufechten. In etwa jedem fünften Wahllokal in Teheran habe es entgegen der Regeln keinen Wahlbeobachter seiner Partei gegeben, beklagt Mussawi. Nicht nur in Teheran, auch den anderen Millionenstädten Irans habe es viel zu wenig Wahlzettel gegeben: Die städtische Bevölkerung gilt in der Mehrheit als reformorientiert, sollte sie mangels Zettel nicht wählen können, käme das dem amtierenden Präsidenten zugute.

Ahmadinedschad selbst erklärt sich, Minuten nach Mussawi, ebenfalls zum Sieger.

Vor dem Haus, in dem Mussawi spricht, hat sich am Freitagabend eine Menschenmenge versammelt. Als sich herumspricht, dass Mussawi Wahlbetrug anprangert, schlägt Siegesgewissheit in Resignation um. "Es ist alles sehr traurig", lässt ein junger Mann alle Hoffnung fahren. Eine junge Frau faucht Kameraleute vom staatlichen Fernsehen an: "Ihr sollt die ganze Wahrheit berichten, warum zeigt ihr nicht, was hier los ist?" Die Journalisten im Staatsdienst hatten sich über Mussawis angeblichen Sieg lustig gemacht.

Gerüchte machen die Runde: In der Provinz Lorestan hätten Tausende Mussawi-Leute nicht wählen können, weil es auch dort zu wenig Wahlscheine gegeben hätte. Ein Mann erzählt, seine Frau sei von Aufsehern nicht in das Wahllokal gelassen worden. Schließlich, als sich die Menge schon auflöst, kommt eine SMS: Eine Nachrichtenagentur meldet, nach Angaben der Wahlkommission hat Ahmadinedschad nach ersten Auszählungen eine deutliche Mehrheit. Entgeisterung, Entsetzen, Angst machen sich breit: "Mein Gott", sagt eine Mussawi-Anhängerin. "Ich will am Samstag nicht auf die Straße gehen."

Schlechte Zeiten für Annäherung an den Westen

Ahmadinedschad wird jetzt das Land weitere vier Jahre regieren. Und damit muss sich auch der Westen arrangieren: Vor den Wahlen sagte der Präsident, dass es im Atomstreit keine weiteren Gespräche mit den fünf Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland geben werde. Er würde den Weltmächten lediglich ein Paket übergeben, dass sich hauptsächlich mit seiner Vision eines Weltfriedens und der weltweiten atomaren Abrüstung befasst. "Daran werden wir kein großes Interesse haben, solange das Thema Iran und Atomwaffen nicht vom Tisch ist", sagte ein Diplomat in Teheran. Mit Mussawi als Präsident hatten beide Seiten auf mehr diplomatische Flexibilität gehofft.

Auch die Hoffnung, dass Teheran und Washington nach drei Jahrzehnten wieder Gespräche aufnehmen würden, ist verblasst. Die Haltung des alten und neuen Präsidenten gegenüber Israel ist bekannt. "Die vom Iran erwartete konstruktive Rolle in der Nahost-Krise hätte auch unter Mussawi nicht geklappt, geschweige denn unter Ahmadinedschad", sagte ein arabischer Diplomat in Teheran.

Ahmadinedschad wird es jedoch in der zweiten Amtsperiode auch innenpolitisch nicht leicht haben. Mussawi wird ihn nicht so einfach in Ruhe lassen. "Ich habe nichts als die Unterstützung des Volkes, aber mit dieser Unterstützung werde ich bis zum Ende gehen", sagte der Verlierer in der Wahlnacht.

Republik Iran

Irans Atomprogramm

Mit Material von AP und dpa
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