Pressefreiheit in der Ukraine Oligarchen voll auf Sendung

Journalisten werden an den Pranger gestellt, Oligarchen kontrollieren das TV - die Pressefreiheit in der Ukraine leidet. Trotzdem sieht Reporter ohne Grenzen das Land "auf einem guten Weg".
Kamera im ukrainischen Parlament

Kamera im ukrainischen Parlament

Foto: Sergei Chuzavkov/ AP

Im April 2015 gab der ukrainische Präsident Petro Poroschenko den Startschuss für eine medienpolitische Revolution: Aus dem ehemaligen Staatskanal Perschij Nazionalnij - bislang devoter Diener wechselnder Präsidenten - sollte ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk werden. Finanziert durch öffentliche Gelder, aber unabhängig von politischen Entscheidungsträgern. "Das ist der Preis, den die Staatsmacht für die Demokratie entrichten muss!", verkündete der Präsident damals.

Die Zahlungsmoral des Staates lässt ein gutes Jahr später allerdings zu wünschen übrig. Obwohl dem neuen Sender 34 Millionen Euro zustünden, wurde 2015 nur etwas mehr als die Hälfte der Summe ausgezahlt. "Die Regierung und der Präsident sind nicht interessiert an einem öffentlich-rechtlichen Sender", so wird Perschij-Generaldirektor Surab Alasania in einem Bericht von Reporter ohne Grenzen zur Lage der Pressefreiheit in der Ukraine zitiert.

Zwei Jahre nach der Maidan-Revolution fällt die Bilanz zur Lage der Pressefreiheit in der Ukraine zwiespältig aus. So sei die Medienlandschaft in der Ukraine im Vergleich zum Nachbarland Russland "von ganz anderen journalistischen Freiheiten geprägt. Eine staatliche Zensur findet nicht statt, es gibt eine pluralistische Medienlandschaft". Deshalb fällt das Fazit von Reporter ohne Grenzen auch - vorsichtig - optimistisch aus. Die Ukraine sei "trotz tiefgreifender Probleme auf einem guten Weg".

Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit hat sich das Land um 22 Plätze verbessert, der größte Sprung nach Tunesien und Sri Lanka. Trotzdem rangiert die Ukraine immer noch nur auf Platz 107. Der Grund: Die ukrainische Medienlandschaft ist zwar anders als in Russland nicht einem staatlichen Machtzentrum unterworfen, dafür aber geprägt von extremen wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Journalisten sind angewiesen auf Zuwendungen zweifelhafter Eigentümer und fragwürdige Geschäftsmodelle.

Die ungebrochene Macht der Oligarchen

Die großen Fernsehsender - für 88 Prozent der Bevölkerung die wichtigste Informationsquelle - befinden sich weiter in der Hand der Oligarchen. Die nutzen die Kanäle als "PR-Abteilungen" für Auseinandersetzungen mit Geschäftsrivalen oder politischen Gegnern.

Die Berichterstattung der Sender wird maßgeblich davon geprägt, wer ihn kontrolliert. So schnitt etwa der Kanal 1+1 an Silvester einen Teil des Vorspanns der Neujahrsansprache von Präsident Poroschenko heraus, in dem es um die Entlassung des Milliardärs Igor Kolomoiskij als Gouverneur der Region Dnipropetrowsk ging. In der Ukraine war dies eines der wichtigsten politischen Ereignisse des Jahres 2015. Der Haken: Kolomoiskij ist Besitzer von 1+1.

Kritisch bewerten Reporter ohne Grenzen auch das sogenannte "Jeansa"-Phänomen. Gemeint ist bezahlte PR im Auftrag von Unternehmen und Politikern, die aber nicht als solche kenntlich gemacht wird. Der Begriff "Jeansa" soll aus sowjetischen Zeiten stammen, als eine westliche Jeansfirma offiziell keine Werbung platzieren durfte, sich stattdessen aber freundliche Berichte erkaufte.

Der Staat nimmt nach Einschätzung von Reporter ohne Grenzen kaum Einfluss auf die Berichterstattung in der Ukraine. Befürchtungen, das neu geschaffene Informationsminsterium könnte zu einem Propaganda-Apparat werden, hätten sich nicht bewahrheitet. "Jetzt übt der Staat keinen Druck mehr auf uns aus und wir fühlen uns in unserer journalistischen Arbeit frei", berichtet etwa Stefan Kupril, Herausgeber einer Zeitung in Lemberg. Frühere Präsidenten dagegen hätten ihm schon mal "die Druckerei überfallen" und "die Steuerpolizei auf den Hals geschickt".

Falsch verstandener Patriotismus

Eine drastische Ausnahme bedeutet für viele Reporter allerdings der Krieg in der Ostukraine. Der Konflikt hat die Öffentlichkeit polarisiert - und auch in vielen Medien herrscht die Einstellung vor: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Lesen Sie mehr zu dem Thema in unserer Reportage "Helden und Verräter".

Wer kritisch über Regierung, Behörden oder Armee berichtet "wird hier leicht zum Paria", so Surab Alsania vom TV-Sender "Perschij Nationalnij". Die Ukraine hat zahlreiche Einreiseverbote verhängt, gegen russische Reporter, aber auch gegen westliche Journalisten.

Für Empörung sorgte die Veröffentlichung persönlicher Daten von knapp 5000 in- und ausländischen Journalisten, die aus dem Kriegsgebiet Ostukraine berichtet und die dafür notwendige Akkreditierung bei den selbsternannten "Volksrepubliken" eingeholt hatten. Auf der ukrainischen Webseite "Mirotworez" ("Friedensstifter") wurden sie pauschal als Kollaborateure diffamiert, ihre Telefonnummern und Mail-Adressen veröffentlicht.

Die Webseite steht einem Funktionär des Innenministeriums nahe. Auch Innenminister Arsen Awakow lobte das Portal ausdrücklich und wütete gegen "latente Separatisten". Andere Teile der Führung in Kiew sehen das Vorgehen gleichwohl kritisch. So verurteilte Informationsminister Jurij Stez die Veröffentlichung.

Echter Wandel werde sich wohl erst mit einer neuen Generation von Entscheidungsträgern durchsetzen, glaubt der Journalist Denis Trubezkoy. Bis dahin herrsche in Medien und Politik ein Kampf zwischen altem und neuem Denken.


Zusammengefasst: Reporter ohne Grenzen hat die Lage der Pressefreiheit in der Ukraine analysiert - und kommt zu einem gemischten Ergebnis. Einerseits können Journalisten in vielen Bereichen frei von staatlichen Zwängen arbeiten. Andererseits haben die Wirtschaftsbosse weiter erheblichen Einfluss auf die Berichterstattung, gerade im so wichtigen Fernsehen. Kritische Berichte über die Lage in der Ostukraine können für in- wie ausländische Reporter empfindliche Folgen haben.

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