
Druck aus Budapest: Ungarn verschärft Mediengesetz
Pressefreiheit in Ungarn Premier startet neue Offensive gegen Journalisten
Berlin/Budapest - Europa ist immer für eine Attacke gut. In gewohnter Manier schimpfte Ungarns national-konservativer Regierungschef Viktor Orbán daher Ende Juni auf die EU. "Wir dulden nicht, dass andere uns sagen, wer wir sind und was wir zu tun haben", rief er den Abgeordneten des Budapester Parlamentes zu. Es war einer der Schlüsselsätze in seiner Rede, die er nur wenige Tage vor dem Ende der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli hielt.
Ganz nach Orbáns Willen entfernt sich Ungarn derzeit konsequent immer weiter von europäischen Werten und Standards. So sollen ungarische Arbeitslose laut einem Gesetzesvorhaben künftig zu gemeinnütziger Arbeit zwangsverpflichtet werden. Ist die Anfahrt zu lang, sollen sie in Arbeitslagern untergebracht werden können. Ein neues Wahlgesetz ist speziell auf den langfristigen Machterhalt von Orbán und seiner Partei Fidesz (Bund Junger Demokraten) zugeschnitten, Streikrecht und Religionsfreiheit sind ebenfalls bedroht.
Als kürzlich der chinesische Regierungschef Ungarn besuchte, lobte Orbán das chinesische Modell in den höchsten Tönen. China-kritische Kundgebungen im Land hatten die Behörden kurzerhand verboten.
Pünktlich zum Ende der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft setzen Orbán und seine Regierungspartei nun auch jene umstrittene Medienpolitik wieder fort, die bereits vor einem halben Jahr massive Kritik an Ungarn ausgelöst hatte. Diesmal geht es vor allem um Massenentlassungen in den öffentlich-rechtlichen Medien.
Das Ausmaß ist beispiellos: Knapp ein Drittel der 3400 Beschäftigten soll bis Herbst gehen. 550 Redakteure, Reporter und Techniker erhielten dieser Tage bereits ihre Kündigung, darunter ganze Abteilungen und Redaktionen wie etwa das Korps der Parlamentskorrespondenten des Staatsfernsehens MTV. Unter den Entlassenen sind nicht nur solche, die als explizit regierungskritisch gelten. Gefeuert wurden auch viele prominente und preisgekrönte Journalisten, deren innen- und außenpolitische Berichterstattung für Ausgewogenheit und Qualität stand.
Scharfe Kritik von Hillary Clinton
Geplant waren die Entlassungen schon länger. Offiziell werden sie mit dem Zwang zu Sparmaßnahmen und dem Reformbedarf eines "veralteten, verschwenderischen und intransparenten Mediensystems" begründet. Tatsächlich haben öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehsender Schuldenberge in Millionenhöhe angehäuft, Umstrukturierungen sind unausweichlich.
Doch die Opposition spricht von "systematischen politischen Säuberungen" in den öffentlich-rechtlichen Medien. "Die Regierung feuert alle, die nicht im Sinne ihrer Direktiven arbeiten", so der Chef der sozialistischen Partei MSZP, Attila Mesterházy.
Auch US-Außenministerin Hillary Clinton kritisierte zuletzt die ungarische Medienpolitik: Kurz bevor Mitte voriger Woche die Entlassungswelle begann, mahnte sie anlässlich eines Budapest-Besuchs Regierungschef Orbán, Pressefreiheit und Demokratie zu bewahren.
"Rasenmäher in den Medien"
Die Kritik dürfte ungehört verhallen. Seit fast einem Jahr lässt Orbán die magyarische Medienlandschaft radikal umkrempeln. Dabei geht es Schlag auf Schlag:
- Vergangenen Herbst wurde die mächtige, ausschließlich mit Regierungsvertretern besetzte Medienbehörde NMHH gegründet, die mit weitreichenden Befugnissen und Sanktionsmöglichkeiten in die Arbeit von öffentlich-rechtlichen und privaten Medien eingreifen kann.
- Im November wurden nahezu alle Angestellten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens sowie der Nachrichtenagentur MTI in eine Mammutorganisation namens "Mediendienstleistungs- und Vermögensfonds" (MTVA) eingegliedert. Formal soll sie den öffentlich-rechtlichen Programmen zuarbeiten. Der tatsächliche Hintergrund war jedoch der Plan, massive Entlassungen zu ermöglichen.
- Im Dezember schließlich verabschiedete das Parlament ein neues Mediengesetz , dessen Vorschriften die Arbeit von Journalisten in öffentlich-rechtlichen, aber auch privaten Medien massiv beeinflussen. Nach scharfer Kritik der EU-Kommission wurde das Gesetz im Februar zwar in einigen Punkten geändert, doch vor allem Journalisten der öffentlich-rechtlichen Medien können mit einer Reihe von Gummiparagrafen weiterhin gegängelt werden. Sie sind beispielsweise verpflichtet, ausgewogen zu berichten und an der "Stärkung der nationalen Identität" mitzuwirken.
- Am Montag dieser Woche nun verabschiedete das Parlament noch einmal Zusatzbestimmungen zum Mediengesetz. Dadurch kann etwa privaten Radio- und Fernsehsendern leichter die Lizenz entzogen werden.
Dass die national-konservative Orbán-Regierung jetzt wieder den "Rasenmäher in den Medien einschaltet", wie das Internetportal index.hu kommentierte, überrascht kaum einen der Betroffenen. "Sie haben das Ende der EU-Ratspräsidentschaft abgewartet", sagt Zsolt Bogár, ehemaliger Nachrichtenredakteur beim Sender Kossuth Rádió. "Jetzt bringen sie ihre Klientel in den Medien unter. Wer nicht dazugehört, muss gehen."
Große Furcht vor dem Jobverlust
Zur Klientel gehört beispielsweise der Rundfunkjournalist Dániel Papp. Der 32-Jährige arbeitete unter anderem bei einem ultrarechten, Fidesz-nahen Fernsehsender. Im April hatte Papp den Europaabgeordneten Daniel Cohn-Bendit in einem Bericht für das öffentlich-rechtliche Fernsehen als Pädophilen dargestellt und zu diesem Zweck Filmmaterial einer Pressekonferenz Cohn-Bendits in Budapest gefälscht. Cohn-Bendit hatte sich dabei kritisch über Ungarns neue Verfassung geäußert. Zum Dank wurde Papp inzwischen zum mächtigen Chefredakteur der Nachrichten- und Hintergrundredaktion im Mediendienstleistungs- und Vermögensfonds MTVA befördert.
Zsolt Bogár gehörte nicht zur Klientel - er erhielt seine Kündigung Mitte letzter Woche. Der 37-Jährige wurde vergangenes Jahr durch eine Protestaktion gegen das Mediengesetz bekannt, die er zusammen mit seinem Kollegen Attila Mong gestartet hatte. Am Tag nach der Verabschiedung des Mediengesetzes schalteten die beiden in der morgendlichen Nachrichtensendung von Kossuth Rádió eine Schweigeminute und wurden daraufhin vom Dienst suspendiert. Das Disziplinarverfahren gegen die beiden dauerte fast ein halbes Jahr, Mong arbeitet inzwischen bei einem privaten Internetportal, Bogár ist nach seiner Kündigung noch auf Jobsuche.
Der Protest der beiden Journalisten war bisher nahezu der einzig nennenswerte der Branche - der ungarische Medienmarkt ist klein, entsprechend groß die Furcht unter Journalisten vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Das könnte sich jetzt ändern: Ungarische Journalisten wollen in Budapest einen Dauerprotest gegen die Entlassungswelle in den öffentlich-rechtlichen Medien starten, geplant sind Mahnwachen und regelmäßige Kundgebungen.
Beeindrucken dürfte das den ungarischen Regierungschef vorerst wenig. "Gegen alles und jeden" werde man für die nationalen Interessen einstehen, versprach Orbán vor wenigen Tagen auf dem Fidesz-Parteitag, der ihn mit 99,7 Prozent zum Parteichef wiederwählte. Er gab sich entschlossen: "Wir lassen uns von niemandem reinreden und belehren."