Priester gegen Aids Rebell zwischen reiner Lehre und bitterster Not
Kapstadt - Die verspiegelte Sonnenbrille ist eine Art Markenzeichen für Stefan Hippler - ebenso wie sein herzliches, offenes Lachen. Er lacht viel, obwohl er derzeit eigentlich wenig zu Lachen hat. Der 47-Jährige, in dessen Büro ein großes und für ihn programmatisches Bild "Jesus mit Buddha" hängt, hat mit dem früheren Afrika-Korrespondenten der "Zeit" und jetzigen afrikapolitischen Berater des Bundespräsidenten, Bartholomäus Grill, ein Buch geschrieben. "Gott, Aids, Afrika". Der kleine Priester am südlichen Zipfel der Welt fordert den mächtigen Mann in Rom heraus, er wirft ihm und der hohen Geistlichkeit in einer Streitschrift Fehler, Versagen, Starrsinn, Realitätsverweigerung und mangelnde Demut vor. Seitdem liegt er mit seiner Kirche im Clinch.
Denn er verlangt nichts Geringeres als ein Umdenken Roms in der Moraltheologie. "Es darf einfach nicht sein, dass die Kirchendisziplin höher steht als das Recht auf Leben", schreibt Hippler und verlangt von seinen Oberen: "Wir müssen unserer Botschaft wieder eine menschlichere Gestalt geben."
Doch bei vielen Bischöfen und Priestern beobachte er wo ein "menschenfreundlicher Gott" gefordert sei - "Verstocktheit und Ignoranz gegenüber Aids". Dieselbe Kirche, die bei der Pflege von Aids-Kranken zur Avantgarde gehöre, verweigere ihren Seelsorgern das dringend notwendige "geistige Rüstzeug", wenn es um die alltägliche Auseinandersetzung mit der Seuche gehe, und treibe sie stattdessen in Gewissensnöte.
Hippler plädiert für eine "Aids-Theologie". Es gebe "in der gesamten moraltheologischen Geschichte der Neuzeit keine größere Tragik" als das Verdikt Pauls VI. gegen die Empfängnisverhütung. Ändern könne dies nur Benedikt XVI., der mächtige Mann in Rom. Die katholische Kirche, die "größte globale Organisation", könne "wie keine andere gegen die HIV/Aids-Pandemie kämpfen" - wenn sie nur wolle.
Hat der Papst die Kraft zu einer Umkehr?
Hipplers Furcht ist, dass der Papst die Kraft und den Mut zu einer Umkehr nicht hat, dass die Kirche weiter die Augen vor der Not der Menschen verschließen werde und in 50 Jahren "wieder ein offizielles Schuldbekenntnis ablegen" müsse. Millionen von Aids-Toten werde das dann nicht mehr helfen können, warnt der streitbare Priester vom Kap. Und er weiß, wovon er spricht. In seinem "Hope"-Projekt erfährt er täglich, wie grausam diese Seuche und das Sterben an ihr ist.
In den Slums erlebt und erleidet er den "Widerspruch zwischen der reinen Lehre und der Not der Menschen". Er muss Menschen trösten, die in ihrer Gewissensnot nicht wissen, was sie tun sollen wenn etwa ein Ehepartner infiziert ist und der andere sich nach der Lehre der Kirche nicht mit einem Kondom vor Ansteckung schützen darf. Es sei "allerhöchste Zeit", dass die höheren kirchlichen Würdenträger wieder "hinunter in den Alltag steigen", verlangt Hippler in seinem Buch, in dem er die Erfahrungen verarbeitet hat, die er gewonnen hat, seit er 1999 in Kapstadt "Hope" ins Leben gerufen hat.
Das Aids-Projekt wird von Experten als beispielhaft für Südafrika gelobt. Es stand auch auf dem Besuchsprogramm von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Südafrika-Reise. Sogar Südafrikas Ikone Nelson Mandela erwies "Hope" seine Reverenz. Nur von seiner Kirche wird es beargwöhnt. Denn Hippler betreibt aktive Aids-Aufklärung, lässt Präservative verteilen, auch Kondome für Frauen. Sogar der Kanzlerin hielt er zu deren Amüsement eins vor die Nase, als sie sein Projekt besuchte.
Doch statt sich mit Hippler, seinen Sorgen, seinen Nöten und seiner Kritik auseinanderzusetzen, versucht die Kirche, ihn seit dem Erscheinen des Buches zum Schweigen zu bringen. Eine fest geplante Lesereise musste er absagen, auf Druck der Kirche. Sein Co-Autor Grill sagte zu SPIEGEL ONLINE: "Der Maulkorb für Stefan Hippler ist ein neuer Fall in der Skandalgeschichte der katholischen Kirche." Wieder solle ein Priester, der für eine gute Sache kämpfe, mundtot gemacht werden.
Hippler selbst schweigt eisern zu seinem "Fall". Der wortgewaltige Priester wird nicht müde, über sein "Hope"-Projekt und über seine Arbeit in der Gemeinde zu sprechen. Er erzählt, dass er gerade von einer Konferenz der deutschsprchigen Auslandsseelsorger in Johannesburg zurückgekommen sei. Dass er am vergangenen Wochenende in Durban, das zu seinem Sprengel gehört, einen 20-jährigen Zivildienstleistenden aus Deutschland gefirmt habe, dass Anfang Mai wieder der alljährliche "Ball of Hope" stattfinden werde, der Jahr für Jahr eine beträchtliche Spendensumme für sein Aids-Projekt einbringt. Aber er verliert kein Wort über das, was im November in Bonn geschehen ist, als er von der Bischofskonferenz vorgeladen wurde. Jede Frage nach seinem Buch, nach den Reaktionen der Kirche, nach den Folgen für ihn selbst beantwortet er stereotyp mit dem Satz: "Kein Kommentar!"
"Uns geht es nicht um ein Stück Gummi, sondern um die biblische Botschaft"
Auch die Amtskirche will sich zum Fall Hippler nicht äußern. Bei der Deutschen Bischofskonferenz heißt es lapidar, zur "Angelegenheit eines internen Dienstverhältnisses" könne man sich öffentlich nicht äußern. Der Einzige aus der Kirchenhierarchie, der dies bisher getan hat, ist der Hauptgeschäftsführer von "Misereor", Josef Sayer. Er verfährt mit Hippler in der bewährten Weise, in der die katholische Kirche Kritiker häufig mundtot macht. "In seiner Art" sei der Pfarrer vom Kap "ein charismatischer Typ", sagt Sayer Anfang Februar in einem Zeitungsinterview gönnerisch-herablassend um Hippler gleich darauf umso verletzender niederzumachen. Hippler setze die "riesengroße Arbeit" seiner Kirche herab und reduziere das Problem auf eine "oberflächliche Kondomdebatte".
Dabei ist genau das Gegenteil richtig: Co-Autor Grill, der zum Sprachrohr Hipplers geworden ist, weil dieser sich nicht mehr dazu zu äußern traut, sagt: "Uns geht es nicht um ein Stück Gummi. Wir wollen, dass die katholische Kirche angesichts der Pandemie offen darüber diskutiert, ob ihre Lehrmeinung der Wirklichkeit noch standhält, ob die biblische Botschaft mit der gelebten kirchlichen Realität noch vereinbar ist." Doch Sayers Verdikt über Hippler ist eisern: "Herumziehen und die Bischöfe schlechtmachen, das geht nicht."
Unbequem ist Stefan Hippler, der nicht Revolutionär, sondern Reformer sein will, für seine Kirche schon immer gewesen, seit er 1986 zum Priester geweiht wurde. Als junger Kaplan in Münster-Sarmsheim, seiner ersten Pfarrstelle, engagiert er sich in der Friedensbewegung, nimmt an Sitzblockaden vor amerikanischen Atomwaffendepots teil und wird gemeinsam mit der Urgrünen Petra Kelly und ihrem Lebensgefährten Gert Bastian - weggetragen . Die Kirchenoberen erfahren davon aus den Fernsehnachrichten.
Kaum ist Hippler Vikar in Andernach, wird seine Gemeinde zum "Hort des spirituellen Widerstands" gegen den ersten Golfkrieg. Hipplers Vorgesetze sind genervt von dem jungen rebellischen Priester. Der lässt sich beurlauben, brät Hamburger bei McDonalds, erntet Mandeln auf einer spanischen Finca, arbeitet als Pflegehelfer mit Krebskranken im finalen Stadium, betreut Flüchtlinge in Kroatien, kümmert sich als Sozialarbeiter am Frankfurter Flughafen um gestrandete Asylsuchende, kämpft einen erbitterten Kampf gegen den damaligen Innenminister Manfred Kanther und dessen inhumane Abschiebepraxis, lässt per Gerichtsentscheid sogar Flugzeuge umkehren, die schon auf dem Rollfeld sind.
"Hippler muss um seinen Job fürchten"
Doch erst in Südafrika, bei der Begegnung mit der Todesseuche Aids, als er in den Townships an den Betten sterbender Kinder sitzt, erfährt er die Herausforderung seines Lebens. Er baut das "Hope"-Projekt auf, wird geehrt, gelobt und bewundert und von seiner Kirche isoliert, verfehmt und seit dem Erscheinen des Buches nach Ansicht seines Co-Autors Grill auch noch gemobbt.
Die katholische Kirche ist in ihrer 2000-jährigen Geschichte oft genug nach der Devise verfahren: Wer aufmuckt, wird weggebissen. Das mussten deutsche Theologen wie Eugen Drewermann und Hans Küng ebenso erfahren wie die Anhänger der Befreiungstheologie in Lateinamerika von Leonardo Boff bis zu Jon Sobrino und den vielen Priestern, die zwangsversetzt und geschuriegelt wurden.
Fast scheint es, als ob der Mann, der so furchtlos gegen den einsamen, schrecklichen Tod durch das HI-Virus ankämpft, der so eindrucksvoll über Gott und seine Liebe für alle Menschen zu predigen weiß, jetzt für sich selbst fürchten muss. Grill: "Wir hatten auf eine offene Diskussion gehofft. Stattdessen muss Hippler jetzt um seinen Job fürchten und sieht sich auch noch dem Mobbing durch seine Kirche ausgesetzt." Grill jedenfalls stellt aus Protest gegen den Umgang der Kirche mit Hippler bei jeder Lesung einen leeren Stuhl mit aufs Podium, der symbolisch an Hippler erinnern soll.