Propagandakrieg Abu Tolpatsch al-Sarkawi

Der Kampf gegen den Terror wird zur Propagandaschlacht: Erst präsentierte sich der irakische Qaida-Chef Sarkawi als unerbittlicher Kämpfer. Jetzt kontert die US-Armee: Der Jordanier könne gar nicht schießen.
Von Yassin Musharbash

Berlin - Der Propaganda-Schachzug blieb nicht unbemerkt, die beabsichtigte Wirkung war aber nicht nachzuweisen: "Der letzte amerikanische Witz: Abu Musab kann nicht schießen!", lautete ein Kommentar in einem dschihadistischen Internet-Diskussionforum, das viele Anhänger von Abu Musab al-Sarkawi, dem Chef der irakischen Qaida-Filiale, regelmäßig aufsuchen. "Sagen die 25 Millionen US-Dollar, die auf seinen Kopf ausgesetzt sind, nicht genug über ihn?", fragte ein zweiter Sympathisant. Von Zweifeln war nicht viel zu spüren, höchstens die Authentizität des Materials wurde in Frage gestellt: "Brüder, woher hat die US-Armee diese Ausschnitte?"

Was war geschehen? Vergangene Woche hatte Sarkawi, einer der meistgesuchten Männer der Welt und verantwortlich für hunderte Anschläge im Irak, erstmals ein Propagandavideo veröffentlicht. Auf 34 Minuten war zu sehen, wie sich der Statthalter  Bin Ladens mit seinen Regionalkommandeuren im Schneidersitz über Landkarten beugt und Anschläge plant, eine Rede war auch dabei. 15 Minuten lang erklärte Sarkawi seine Position: Demokratie sei des Teufels, die irakischen Sicherheitsbehörden würden weiterhin bekämpft, die US-Armee aus dem Land vertrieben. Und schließlich war gleich mehrfach zu sehen, wie der untersetzte Jordanier mit einem schweren Maschinengewehr minutenlang in die menschenleere Wüste ballert. Das wirkte obszön und sollte Macht und Virilität Abu Musabs illustrieren.

Die Antwort der US-Armee folgte prompt: Bei einer Razzia im Irak, verkündete sie gestern, habe man das ungeschnittene Rohmaterial des Films von Sarkawi gefunden. General Rick Lynch führte Journalisten Auszüge vor, die geeignet waren, das Rambo-Image des "Schlächters von Bagdad" anzukratzen: Da sieht man zum Beispiel, dass Sarkawi die Schießorgie nicht im ersten Anlauf gelang. Nur einzelne Schüsse kommen aus seinem MG, ein Kampfgefährte muss den Hebel umstellen, bevor der Topterrorist, wie gewünscht, automatisch losballern kann. Auf diese Veröffentlichungen, die heute auch den Weg ins dschihadistische Internet fanden, beziehen sich Äußerungen der Sympathisanten.

"Keine Stille nach Anschlägen!"

Die US-Armee, vertreten durch General Lynch, versuchte naturgemäß, das meiste aus den beschlagnahmten "Cut-Outs" zu machen: Nicht nur, dass er nicht schießen könne, zudem trage der Qaida-Terrorist auch noch weiße Tennisschuhe zur schwarzen Kampfmontur, betonte der General mehrmals. Und auch die "vertrauten Top-Berater" verstünden offensichtlich ebenfalls nicht allzu viel von Waffen: Einer von ihnen fasse an die noch heiße Mündung des MG und ziehe erschrocken die Finger zurück.

Al-Qaida, ein Haufen von Trotteln? Abu Tolpatsch al-Sarkawi? Die US-Armee versucht seit Wochen, der gut funktionierenden Propaganda der Terroristen etwas entgegen zu setzen. So heißt es immer wieder aus ihrem Umfeld, die Rolle der Jordaniers werde überbewertet. Das hat Methode.

Die US-Armee ist besorgt über die Art und Weise, wie die irakischen Terror- und Widerstandsgruppen sich - vor allem mit Hilfe des Internets - als siegreich und überlegen präsentieren. Die Qaida-Filiale unterhält schon lange eine eigene "Medien-Abteilung", die täglich Bekennerschreiben und Kommuniques veröffentlicht. Sarkawis Truppe publiziert seit 2005 auch ein Online-Magazin. "Nach einem Anschlag soll keine Stille herrschen. Es muss eine Erläuterung der Gründe erfolgen", heißt es dort.

"Radio ist wichtiger als Bomben"

Bin Ladens Terrornetzwerk hatte immer schon ein Gespür für die Bedeutung von PR. Ein Radiosender sei mächtiger als eine Atombombe, hieß es in al-Qaida-Kreisen bereits 1994. Seit dem Beginn des irakischen Aufstandes im Frühjahr 2003 wurden die Methoden ausgefeilter. Die US-Armee geriet angesichts der überall präsenten Statements von Sarkawi und anderen Terrorführern in die Defensive.

Im Herbst 2005 wich die mächtigste Armee der Welt aus diesem Grund sogar erstmals seit dem Vietnamkrieg von der Regel ab, der zu Folge die Verluste feindlicher Truppen nicht veröffentlicht werden. Der "Washington Post" gegenüber bestätigten Militärsprecher, dieser Schritt diene dazu, feindlicher Propaganda zu begegnen.

Öffentlichkeitsarbeit und Propaganda sind so längst zu essentiellen Bestandteilen des Kampfes gegen den Terrorismus geworden. Man kann es sich schlicht nicht leisten, nur die Terroristen zu Wort kommen zu lassen und nicht mit teils genauso manipulativen Methoden zu antworten - denn die Verbreitung gesteuerter Informationen prägt die öffentliche Meinung - auch in der arabischen Welt, und von der wiederum hängt die Unterstützung für al-Qaida & Co. ab. Die finanzielle Unterstützung US-freundlicher Berichterstattung im Irak durch die US-Armee ist ebenso ein Beispiel dafür wie der Aufbau des arabisch-sprachigen Satellitensenders "al-Hurra" (Die Freiheit) mit US-Geldern.

US-Armee wollte Sarkawi-Image demontieren

Dass der US-Armee nur wenige Tage nach Veröffentlichung des Sarkawi-Videos das Originalmaterial in die Hände fiel, war deshalb ein Glücksfall. Mit dem Material hätte man allerdings auch demonstrieren können, dass man Sarkawi und seinen Leuten dicht auf den Fersen ist. Stattdessen entschied sich die US-Armee aber dafür, die Demontage des Kriegers Sarkawi in den Vordergrund zu stellen.

Vielleicht fiel diese Entscheidung mit Blick darauf, dass in der arabischen Welt solche peinlichen Szenen besonders wirksam seien, wie in deutschen Sicherheitskreisen vermutet wird. Für sie ändert das neue Material indes nichts an ihrer Einschätzung der Bedrohung durch den Qaida-Statthalter.

Die Bedienung von Maschinengewehren dürfte Sarkawi gut vertraut sein, schließlich hat er gut zwei Jahre lang ein militärisches Ausbildungslager in Afghanistan betrieben. Weil seine Sympathisanten das wissen, verfing die US-Gegenpropaganda nicht. Ein Aspekt allerdings wurde in den Foren durchaus diskutiert: In der US-Version des Videos, soll Sarkawi angeblich sagen, er hoffe, in drei Wochen sei alles so weit vorbereitet, dass man ein islamisches Emirat ausrufen könne. In der von den Terroristen ausgestrahlten Version sei das nicht zu hören. Die Propagandaspirale hat sich also schon wieder weitergedreht.

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