Protest gegen Sparkurs Polizei verteidigt Parlament gegen wütende Griechen
Athen - Die Polizei ist vor dem Parlament in Athen aufmarschiert, Wasserwerfer stehen bereit, Tränengaspatronen fliegen in die Menschenmenge, um den Abgeordneten in ihren Dienstlimousinen Zugang zum Parlament zu ermöglichen. Der Wagen von Ministerpräsident Giorgos Papandreou wird von einem Hagel Orangen getroffen.
Sperrzäune sollen die aufgebrachten Demonstranten davon abhalten, weiter vorzudringen: In Griechenlands Hauptstadt ist die Atmosphäre beim Massenprotest gegen den radikalen Sparkurs der Regierung angespannt. Auf Fernsehbildern ist zu sehen, wie wütende Bürger gestikulierend vor den Absperrungen stehen, erste Wurfgeschosse fliegen durch die Straßen, Steine und Joghurtbecher treffen die Sicherheitsbeamten. Augenzeugen zufolge wurden bereits erste Demonstranten in Gewahrsam genommen.
Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge attackierten Demonstranten auch das Finanzministerium, demnach wurden Molotowcocktails auf das Gebäude geworfen. Bisher wurden bei den Ausschreitungen mindestens sieben Personen verletzt, darunter laut griechischem Fernsehen auch ein Polizist.

Proteste in Athen: Wütende Massen vor dem Parlament
"Diebe, Verräter", skandierten Demonstranten vor dem Abgeordnetenhaus. "Ich bin wütend und angewidert", sagte die 45-jährige Staatsangestellte Maria Georgila. "Das sind sehr harte Maßnahmen und sie werden uns nicht aus der Krise führen. Ich glaube nicht, dass sie keine Alternative haben."
Dutzende vermummte Autonome und Rechtsextremisten lieferten sich Schlägereien im Zentrum der griechischen Hauptstadt. Die beiden Gruppen gingen mit Latten und Schlagstöcken aufeinander los. Zuvor hatten linksextreme Autonome die Polizei angegriffen, berichtete das Fernsehen.
Im griechischen Parlament ist für Mittwochnachmittag eine Debatte über das neue Milliarden-Sparprogramm angesetzt. Und Gewerkschaften und Bürgervereinigungen wollen ihren Unmut zum Ausdruck bringen: Massendemonstrationen und ein Generalstreik, das ist ihre Antwort.
Wegen der Streiks fallen Zugverbindungen, Fähren und die Athener Vorstadtbahn aus. Ministerien und staatliche Unternehmen sowie viele Banken bleiben geschlossen. Um die Mittagszeit wollten auch die Händler für drei Stunden ihre Läden schließen. Die Tourismusbranche soll darunter nicht direkt leiden, die Fluglotsen nehmen nicht am Streik teil.
Papandreu plant zusätzliche Steuererhöhungen
Die hauptsächlich über das Internet organisierte Bewegung der "Empörten Bürger" organisiert seit mehr als 20 Tagen täglich Demonstrationen vor dem Parlament. Die Demonstrationen sollen bis zum Tag der Abstimmung über das Sparprogramm im Parlament am 30. Juni andauern.
Dem griechischen Journalistenverband zufolge wurde der Streik der Journalisten in Fernsehen und Rundfunk, der zunächst 24 Stunden dauern sollte, abgebrochen, um die Berichterstattung wieder aufzunehmen.
Die Pläne von Ministerpräsident Giorgos Papandreou für das hoch verschuldete Land sehen zusätzliche Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen vor, um den Haushalt um weitere 6,5 Milliarden Euro zu entlasten. Damit will die Regierung die Auszahlung der nächsten Kredittranche aus dem Hilfspaket von Europäischer Union, Internationalem Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank sichern, ohne das die Zahlungsunfähigkeit droht.
Angst vor einer "Schockwelle"
Papandreou bekommt auch Gegenwind aus den eigenen Reihen zu spüren. Aus Protest gegen die Pläne erklärte ein Abgeordneter am Dienstag seinen Austritt aus der Fraktion der Sozialisten. Damit bleibt der Regierungspartei Pasok mit 155 Mandaten noch eine Parlamentsmehrheit von fünf Sitzen. Allerdings drohte bereits ein weiterer Abgeordneter an, die Sparpläne abzulehnen. Das Parlament soll Ende des Monats über die neue Sparrunde abstimmen.
Ein neues Rettungspaket für Griechenland ist weiterhin in der Schwebe. Die Finanzminister der EU konnten in Gesprächen am Dienstagabend in Brüssel kein Ergebnis erzielen. Knackpunkt ist eine Beteiligung der Finanzwirtschaft an weiteren Hilfen.
Die österreichische Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) warnte jetzt vor den Folgen einer Pleite Griechenlands für andere schuldengeplagte Länder in Europa. "Würden die europäischen Länder schockartig Griechenland in die Pleite schicken, würde diese Schockwelle eine Ansteckungsgefahr bedeuten und auch andere Länder in große Schwierigkeiten bringen", sagte Fekter am Mittwoch in einer von der Oppositionspartei BZÖ angestoßenen Diskussion über die Hilfen im österreichischen Parlament. Welches Land in einem solchen Fall als nächstes von einer Pleite bedroht werde, sei nicht absehbar. "Daher ist ein sorgsam kontrollierter, auf Reformen bedachter Schuldenabbau allemal der klügere Weg", sagte Fekter.
Der Streit um die Beteiligung privater Investoren an der Sanierung Griechenlands schürte am Mittwoch die Furcht der Anleger vor einer Pleite des Mittelmeer-Anrainers weiter. Die Versicherung eines zehn Millionen Euro schweren Kredits mittels Credit Default Swaps (CDS) kostete die Rekordsumme von 1,651 Millionen Euro, 61.000 Euro mehr als am Vortag, teilte der Datenanbieter Markit mit. Die Ausfallversicherung für einen entsprechenden Kredit an Portugal, das ebenfalls von Hilfen der EU und des IWF abhängig ist, verteuerte sich um 21.000 auf 770.000 Euro.
Gabriel will harten Schuldenschnitt, FDP-Generalsekretär Lindner dagegen
In Deutschland geht die innenpolitische Debatte um den richtigen Weg in der Griechenland-Krise weiter. Dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel gehen die Pläne der Bundesregierung nicht weit genug. "Es reicht jetzt nicht aus, nur die Laufzeiten der Staatsanleihen ein wenig zu verlängern, wie die Kanzlerin es vorschlägt. Wenn wir Akzeptanz schaffen wollen, müssen wir einen harten Schuldenschnitt machen, bei dem die Gläubiger auf einen beträchtlichen Teil ihrer Forderungen verzichten", sagte er in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der "Zeit". Parallel hierzu müsse ein "nicht unerheblicher Teil der Kredite" in sogenannte Euro-Bonds, für die die Euro-Staaten gemeinsam bürgen würden, umgewandelt werden.
Dem widersprach der FDP-Generalsekretär Christian Lindner auf SPIEGEL ONLINE: "Die Vorschläge von Gabriel sind brandgefährlich." Einerseits rede Gabriel mit seiner Forderung nach einem harten Schuldenschnitt eine für Steuerzahler, Arbeitsplätze, Sparguthaben und Lebensversicherungen unvorhersehbare Lage herbei. "Andererseits will er auch noch die Vergemeinschaftung der Schulden in Europa durch Eurobonds. Dadurch würde den Regierungen in Athen und anderswo der Reformdruck genommen. Bei der SPD passt nichts zusammen", so Lindner.
Lindner verteidigte den Kurs der Bundesregierung. Die Koalition habe ihren Griechenland-Kurs besser austariert, um den Euro hart und die Ersparnisse der Bürger sicher zu halten. "Die Kombination aus einem verbindlichen Defizitsenkungsprogramm in Griechenland und dem eingeforderten Entgegenkommen der privaten Gläubiger hat weniger Risiken und mehr Chancen für Deutschland als Gabriels Harakiri", so der FDP-Generalsekretär.