Wut-Demo gegen Mursi Polizei räumt Protestlager auf dem Tahrir-Platz
Sie wollten eine Woche bleiben, doch nach wenigen Stunden war Schluss: Demonstranten in Kairo wurden offenbar gezwungen, ein Protestcamp gegen Präsident Mursi zu räumen. Die Sicherheitskräfte sollen mit Tränengas gegen die Menschen vorgegangen sein.
Kairo - Die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz hatten eine Mission: Sie wollten protestieren gegen den Alleingang von Präsident Mohammed Mursi, gegen seinen Plan, die Gewaltenteilung auszuhebeln, die Macht an sich zu reißen. Viele der Menschen, die vor rund einem Jahr für die Abdankung Husni Mubaraks auf die Straße gingen, empfinden das Vorgehen des neuen Präsidenten als blanken Hohn, Mursi als neuen Diktator.
An diesem Freitag richteten sie auf dem Tahrir-Platz im Zentrum Kairos ein Protestlager ein, eine Woche wollten sie bleiben, der Welt und vor allem Mursi zeigen, was sie von seinem Alleingang hielten. Mehr als 20 verschiedene Gruppen waren laut BBC beteiligt. Nach unterschiedlichen Angaben soll es Hunderte bis Tausende Teilnehmer gegeben haben. Unter den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz waren am Freitag auch der Nobelpreisträger Mohamed ElBaradei sowie die erfolglosen Präsidentschaftskandidaten Amr Mussa und Hamdin Sabahi.
Am Morgen aber waren nur wenige Demonstranten und einige weiße Zelte geblieben. In Dutzenden Twitter-Nachrichten beschweren sich Teilnehmer, sie seien gezwungen worden, den Platz zu verlassen. Die Sicherheitskräfte hätten Tränengas eingesetzt. Ein Nutzer schreibt: "Der Tahrir-Platz sollte in Tränen-Platz umbenannt werden."
"Angriff auf die Unabhängigkeit der Justizbehörden"
Am Freitagabend kam es laut BBC zudem zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten nahe des Innenministeriums. Die Beamten setzten auch dort Tränengas ein, Demonstranten warfen Molotow-Cocktails und skandierten: "Mursi ist Mubarak!" Gegner Mursis verwüsteten in vier Städten Büros der von den Muslimbrüdern gegründeten Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP). Liberale und linke Politiker warfen Mursi vor, er führe sich auf wie ein "Pharao" und respektiere das Prinzip der Gewaltenteilung nicht.
Der Vorsitzende der Berufsgenossenschaft der Richter, Ahmed al-Sind, bezeichnete die neue Verfassungserklärung des Präsidenten als "Angriff auf das Gesetz und die Unabhängigkeit der Justizbehörden". So etwas habe es noch nie gegeben. Richter in Alexandria wollen streiken, um gegen Mursis Plan zu protestieren. Laut der staatlichen ägyptischen Nachrichtenagentur wollen die Juristen in der Mittelmeerstadt ihre Arbeit erst wieder aufnehmen, wenn Mursi seine Entscheidung zurücknimmt.
International wächst die Sorge über die Entwicklungen in Ägypten
Mursi hatte sich und seiner Partei am Donnerstag durch ein Dekret weitreichende Macht gesichert. Er setzte sich über mehrere Entscheidungen der Justiz hinweg. In einem Verfassungszusatz hatte er verfügt, dass von ihm "zum Schutz der Revolution getroffene Entscheidungen" rechtlich nicht mehr angefochten werden können.
Eine Sprecherin des US-Außenministeriums sagte, Mursis Dekrete seien für viele Ägypter und die internationale Gemeinschaft ein Anlass zur Sorge. Ziel der Revolution, durch die der ägyptische Präsident Husni Mubarak im vergangenen Jahr gestürzt wurde, sei es gerade gewesen, eine solche Machtkonzentration in den Händen eines Einzelnen zu verhindern, so Victoria Nuland. Gleichzeitig rief sie die Ägypter auf, "ihre Differenzen bei diesen wichtigen Themen friedlich und durch einen demokratischen Dialog beizulegen".
Bei einer Kundgebung von Muslimbrüdern und Salafisten verteidigte Mursi die Verfassungserklärung. Vor dem Präsidentenpalast erklärte er: "Ich hatte versprochen, dass ich mich einmischen würde, um die Nation vor Gefahren zu schützen, und das habe ich nun getan."
Die aktuellen Unruhen bezeichnete er als Ergebnis einer Verschwörung von "Gegnern im Ausland und einigen Überbleibseln des alten Regimes, die nicht wollen, dass Ägypten auf die Beine kommt". Tausende von Islamisten jubelten Mursi zu. Sie riefen: "Das Volk will die Einführung der Scharia."
han/dpa/Reuters