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Kaschmir: Die fatalen Folgen der Unruhen

Foto: TAUSEEF MUSTAFA/ AFP

Polizeigewalt in Kaschmir "Sie schießen auf den Körper, in die Gesichter"

1800 Verletzte in knapp zwei Wochen - in der indischen Region Kaschmir eskalieren propakistanische Proteste. Die Polizei feuert mit Streumunition. Ein Arzt erklärt, warum das so fatal ist.

Rote, angeschwollene Augen, dazu Dutzende kleine, aber tiefe Verletzungen im Gesicht. So kam auch die 14-jährige Insha Mushtaq in ein Krankenhaus nahe der indischen Unruheregion Kaschmir. Ihr Zustand ist ernst, berichtet die britische BBC , ein dicker Verband liegt über der oberen Hälfte ihres Gesichts. Ob sie noch sehen kann, wenn der Verband irgendwann abgenommen werden kann, ist nicht klar.

In vielen Krankenhäusern der Region sind ähnliche Fälle eingetroffen. Menschen mit Dutzenden Wunden in Gesicht und Körper müssen dort behandelt werden. Grund ist das Vorgehen der Polizei bei den aktuellen propakistanischen Protesten. Die Tötung des islamistischen Rebellenführers Burhan Muzaffar Wani hatte vor zwei Wochen zu Aufständen geführt, Demonstranten griffen Polizeiwachen und Militäreinrichtungen an. 32 Menschen starben, mehr als 1800 wurden bislang verletzt.

Die Beamten ihrerseits griffen zu einer Waffe, die sonst auf der Jagd nach Tieren eingesetzt wird: Sie schießen mit "pellet guns", die Streumunition abfeuern, auf die Protestierenden. Die kleinen Kugeln bohren sich durch das Fleisch, hinein in die Atemwege, in die Augen, sagt der indische Arzt Farooq Ahmed Kalloo. Er koordiniert die medizinische Versorgung der Protestierenden durch ehrenamtliche Organisationen vor Ort - und glaubt nicht an ein Ende der Gewalt.


SPIEGEL ONLINE: Herr Kalloo, führt der Einsatz der "pellet guns" zu einer neuen Zuspitzung des Konflikts?

Farooq Ahmed Kalloo: Die Waffen werden als "nicht-tödlich" eingestuft, aber das ist absurd! Jeden Tag kommen Hunderte Menschen mit den typischen kleinen Einschüssen zu uns in die Krankenhäuser. Mehr als hundert sich schon daran erblindet, weil sie eine Kugel ins Auge bekommen haben. Wenn die Projektile in die Atemwege geraten, ist es lebensgefährlich. Bislang können wir aber noch nicht nachweisen, dass die Menschen an den Verletzungen sterben. Einige verbluten auf dem Weg zum Krankenhaus oder haben noch andere Verletzungen, die auch zum Tod hätten führen können.

SPIEGEL ONLINE: Warum werden die "pellet guns" überhaupt eingesetzt?

Kalloo: Sie werden verwendet, um die Zahl der Todesopfer gering zu halten. Die Polizei weiß sich nicht anders gegen die Aufstände zur Wehr zu setzen. Sie haben aber die Anweisung, nur unterhalb der Knie damit zu zielen. Viele Polizisten halten sich jedoch nicht daran. Die meisten Verletzungen, die ich bei Patienten gesehen habe, sind deutlich über dem Knie - sie schießen auf den Körper, in die Gesichter. Das muss nicht einmal Absicht gewesen sein. Die Sicherheitskräfte sind gar nicht geübt darin, mit diesen Waffen zu schießen.

SPIEGEL ONLINE: Ist es das erste Mal, dass "pellet guns" eingesetzt werden?

Kalloo: Nein, sie wurden schon bei Aufständen vor sechs Jahren verwendet. Damals gab es einen großen Aufschrei, Menschenrechts-organisationen haben den Einsatz der "pellet guns" scharf verurteilt. Passiert ist seitdem aber nichts. Nun werden sie noch exzessiver verwendet als zuvor.

SPIEGEL ONLINE: Wie ist die Situation in Kaschmir gerade?

Kalloo: In den letzten Tagen herrscht Totenstille hier. Das wird aber nicht von langer Dauer sein. Die letzten Aufstände haben drei Monate gedauert. Ich bin mir sicher, dass die Proteste hier auch weitergehen werden. Es ist einfach ein Teufelskreis - die Gewalt der Polizei sorgt für noch mehr Gewalt auf der Seite der Aufständischen, und so geht es immer weiter.

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