
Oben-ohne-Protest in Tunis: Deutsche Femen-Aktivistin vor Gericht
Femen-Prozess in Tunis Verrannt im "Oben-ohne-Dschihad"
Hamburg/Tunis - Gleich zum Prozessauftakt sind die Islamisten gekommen. Mehrere konservative Glaubensgruppen schickten ihre Anwälte in den Justizpalast in Tunis. Sie wollen es als Nebenkläger mit den drei Femen-Frauen aufnehmen, die seit einem Oben-ohne-Protest im Gefängnis sitzen.
Auch vor dem Gebäude demonstrierten ein paar Dutzend gegen die zwei Französinnen Pauline und Marguerite und gegen die 19-jährige Josephine aus Hamburg. Die Frage ist, ob die Femen-Frauen ahnen, was sie mit ihrem Protest in Tunesien ausgelöst haben.
Seit einer Woche sitzt die deutsche Aktivistin im Gefängnis. Ihr und zwei Mitstreiterinnen aus Frankreich werden Erregung öffentlichen Ärgernisses und unzüchtiges Verhalten vorgeworfen. Es drohen bis zu sechs Monate Haft.
Vergangenen Mittwoch protestierten sie vor eben jenem Justizpalast oben ohne für die Freilassung der tunesischen Femen-Aktivistin Amina. Die 18-Jährige sitzt seit zwei Wochen in Haft, weil sie gegen eine Versammlung von Salafisten protestiert und auf eine Mauer nahe einem Friedhof das Wort "Femen" gesprüht hatte. Nun sitzen Josephine und die Französinnen selbst im Gefängnis. Sich öffentlich auszuziehen hat in Tunesien eben nicht nur einen Schockeffekt, sondern ist auch eine Straftat.
Wer ist die deutsche Aktivistin? Josephine Witt kommt aus Hamburg und studiert im zweiten Semester Philosophie. Seit Anfang des Jahres ist sie bei Femen aktiv, hat oben ohne in Berlin bereits gegen die NPD protestiert und stürmte in Hannover mit "Fuck Putin"-Spruch auf den Brüsten auf Russlands Präsidenten los. Da musste sie auf der Polizeiwache ihre Personalien abgeben und konnte gehen. Nun sitzt sie im Militärgefängnis Bouchoucha in Tunis.
"Vielleicht hat Josephine Angst"
"Josephine war sich des Risikos bewusst", sagt ihre Hamburger Mitstreiterin Irina Khanova. Und tatsächlich: Wer Witt vor ihrer Reise traf, erlebte eine Aktivistin, die für ihre 19 Jahre ziemlich abgeklärt ist, nie um eine Erklärung verlegen - und in Nebensätzen unbekümmert mit dem etablierten Feminismus abrechnet: "Man muss sich fragen, was die bitteschön erreicht haben."
Auch an Femens sogenanntem Oben-ohne-Dschihad zweifelte sie bei einem Treffen im April nicht: "Die muslimischen Frauen haben die gleichen Rechte wie wir." Dafür müsse man als aufrechte Feministin nun mal kämpfen. Damals nach dem Putin-Protest sagte sie auch: "Meine Mutter macht sich Sorgen."
Im tunesischen Gefängnis besuchte sie ein Vertreter der deutschen Botschaft und teilte Eltern und Femen mit, Josephine gehe es gut. Ihr Anwalt lässt auf NDR Info ausrichten: "Die Haftbedingungen sind in Ordnung. Vielleicht hat Josephine Angst, aber das lässt sie sich nicht anmerken."
Der Geheimdienst kommt ins Hotel Pascha
Wegen der Inhaftierung herrscht bei Femen große Aufregung: Das Gesicht der Bewegung, die Ukrainerin Alexandra Schewtschenko, reiste nach Tunis, um den Prozess zu beobachten. Nach ihren Angaben geschah dann Folgendes: Der tunesische Geheimdienst holte sie aus ihrem Hotel namens Pascha ab, entzog ihr den Pass und setzte sie in einen Flieger nach Paris. Femen reagierte prompt: Man verkündete, "dass nun tunesische Politiker und Beamte ebenso nicht willkommene Personen in der zivilisierten Welt" seien. Nach Angaben der Behörden wurden sogar drei Aktivistinnen des Landes verwiesen - mit der Begründung, man befürchte einen weiteren Nacktprotest.
In Tunesien tobt gut zwei Jahre nach der Revolution, die den Arabischen Frühling auslöste, eine heftige Debatte über die Rolle der Islamisten im Staat. Da kommen die barbusigen Damen aus dem Westen, die den "Frühling der Frauen" verkünden, zur Unzeit.
Die Geschichte von Tunis zeigt einen Grundkonflikt der kleinen, lauten Bewegung: Sie will mit denselben Methoden, die ihr in Europa Aufmerksamkeit verschafft haben, auch in der muslimischen Welt für die Rechte der Frauen kämpfen. Das hat seine Tücken. So haben die Frauen schon in Berlin in Sachen Amina protestiert - ausgerechnet vor der Moschee einer verfolgten Minderheit.
Vorwürfe an Femen: Rassismus, Islamophobie, Imperialismus
Es hagelt heftige Kritik. 10.000 versammelten sich in der Facebook-Gruppe "Muslim Women against Femen", Autoren werfen den Aktivistinnen Rassismus, Islamophobie, Kulturimperialismus vor. Mit anderen Worten: Was bildet ihr euch ein, euch da einzumischen?
Und auch die neueste Solidaritätsaktion für Amina - ein Nacktgebet vor der tunesischen Botschaft am Mittwoch in Paris ("Amina ist groß") - sorgte für Wut unter Moslems, die sich unmittelbar in sozialen Netzwerken Bann brach.
Femen ficht das nicht an - man sieht in der Religion eine Stütze des Partriarchats. Für Witt ist klar, dass Menschenrechte überall gelten. Und ihre Hamburger Mitstreiterin Khanova sagt: "Unser Weg ist richtig, egal wo wir ihn gehen. Wir im Westen dürfen nicht einfach zuschauen, wir müssen für die Freiheit aller kämpfen."
Josephines Einsatz habe sich jetzt schon gelohnt, "weil wir damit die Gesellschaft erschüttern". Doch gilt das immer? Was in einem Land staunend zur Kenntnis genommen wird, verärgert woanders womöglich einen Großteil der Bevölkerung.
Vielleicht überschätzen sich die selbsternannten Sextremistinnen. Oder aber sie kalkulieren genau mit dieser Eskalation. In Europa sind ihnen Coups gelungen, doch bald dürfte der Abnutzungseffekt eintreten. In arabischen Ländern hingegen scheint das Schockpotential noch groß.
Wie die Strategie für Femen und ihre Aktivistinnen ausgeht, kann heute noch niemand sagen. Der Prozess in Tunis ist zumindest um eine Woche vertagt - die Feministinnen bleiben so lange in Haft.