Putin gegen Medwedew Gaddafi befeuert Machtkampf in Moskau

Russlands Premier Putin (l.), Präsident Medwedew: "Politisches Erdbeben"
Foto: POOL/ REUTERSRusslands Präsident Dmitrij Medwedew ist in eine Lederjacke geschlüpft, sie ist dunkelbraun und geschnitten wie die eines Bomberpiloten. Er will der Welt ins Gedächtnis rufen, dass er der Staatschef ist, und besonders nachdrücklich will er Premierminister Wladimir Putin, seinen politischen Ziehvater, daran erinnern. Mit dünnem, goldenen Faden ist das Wort "Oberkommandierender" in seine Jacke gestickt.
Das Staatsfernsehen hat kurz zuvor über einen Besuch von Putin in Wotkinsk berichtet. Der Premierminister hat einen symbolreichen Ort gewählt für die Attacke gegen den Westen und den Seitenhieb gegen seinen eigenen Präsidenten. Schon zu Zarenzeiten hat sich das Städtchen einen Ruf als Rüstungsschmiede erarbeitet. Heute werden hier Raketen vom Typ "Topol - Pappel", gefertigt. Sie bilden das Rückgrat von Russlands Atomstreitkräften.
Ab 2013 will Russland die Raketenproduktion verdoppeln, sagt Putin, angeblich aus Furcht vor einem Angriff US-geführter Truppen, die das Land attackieren könnten wie derzeit Libyen. "Wir sind friedliche Menschen, aber unser Panzerzug steht auf dem Reservegleis", droht der Premier. Vor allem aber sei die Uno-Resolution zu Libyen "unvollständig und nachlässig" verfasst, sie "erlaubt alles und erinnert an einen mittelalterlichen Aufruf zu einem Kreuzzug".
Das ist ein Affront gegen Präsident Medwedew, der zwischenzeitlich gar eine Zustimmung zu der Resolution erwogen hatte, letztlich aber seine Diplomaten anwies, sich bei der Abstimmung wie Deutschland zu enthalten.
Medwedew tritt noch am Abend vor die Kameras in Moskau, um seinen Regierungschef abzuwatschen. Es ist eine Premiere, er hat das noch nie zuvor so harsch in aller Öffentlichkeit getan. Medwedew verbittet sich Kritik an der Resolution, die "im Ganzen unser Verständnis des Geschehens in Libyens widerspiegelt", und die Russland bewusst nicht durch ein Veto blockiert habe. "Auf meine Anordnung", betont Medwedew. Putins Wortwahl sei geeignet zu "Zusammenstößen zwischen Zivilisationen zu führen" und "inakzeptabel".
"Spaltung im Tandem"
Die Nachrichten über den Zwist zwischen Präsident und Premier breiten sich am Abend und in der Nacht wie Schockwellen in Russland aus. Nachrichtenagenturen berichten von einem "politischen Erdbeben", die angesehene Internetzeitung "Gaseta.ru" titelt "Spaltung im Tandem". Tatsächlich ist der Konflikt der tiefste bisher erkennbare Riss zwischen Putin und seinem Nachfolger Medwedew, ein unerwarteter Kollateralschaden der Luftschläge gegen Libyen.
Russlands Enthaltung im Sicherheitsrat war ein interner Konflikt in der russischen Führung über das Abstimmungsverhalten vorhergegangen. Die Falken um Putin und Außenminister Sergej Lawrow neigten eher zu einem Veto. Russische Unternehmen wie Gazprom oder die russischen Eisenbahnen verfügen über enge Beziehungen zum Gaddafi-Regime. Zudem kaufte der selbsternannte libysche Revolutionsführer Russlands Waffenschmieden Kriegsgerät für mehrere Milliarden Dollar ab.
Präsident Medwedew dagegen ließ Sympathie für die Resolution durchblicken. Kurz vor der Abstimmung feuerte er den Gaddafi-freundlichen Botschafter in Libyen und schwächte so die Position der Veto-Fraktion.
Hardliner gegen Liberale
Ein Jahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl 2012 stellt der Streit zwischen Präsident und Premier nun eine Zäsur da: Niemals zuvor in den vergangenen drei Jahren haben sich Medwedew und Putin einen ähnlich hitzigen Schlagabtausch in aller Öffentlichkeit geliefert.
Die Spannungen zwischen den Hardlinern in der Umgebung Putins und dem liberaler gesinnten Lager um Präsident Medwedew wachsen seit Wochen. Während Putin im Dezember zur besten Sendezeit im Fernsehen eine Verurteilung des Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski forderte, verlangte Medwedew von Regierungsmitgliedern öffentliche Zurückhaltung in dem Fall.
Als Wladimir Putin sich dann Anfang Februar damit brüstete, der Terroranschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo sei "im Großen und Ganzen aufgeklärt", kanzelte Medwedew den Premierminister ab. Die Regierung sollte lieber "arbeiten, als PR in eigener Sache zu machen."
In Moskau kursieren nun drei mögliche Lesarten des Konflikts:
- Wahlkampf mit harten Bandagen: Ein Jahr vor der Wahl versucht Medwedew seine letzte Chance auf eine zweite Amtszeit als Präsident zu wahren. Er sucht den offenen Konflikt - und das Bündnis mit Europa und den USA. Am Dienstag will er in Moskau mit US-Verteidigungsminister Robert Gates zusammentreffen. Der Pentagon-Chef hat bereits angeregt, der Kreml solle doch über eine aktivere Rolle im Rahmen der Anti-Gaddafi-Koalition nachdenken. Liberale Kreise sähen es gern, wenn sich der Präsident von Putin emanzipieren würde. So schlägt das "Institut für moderne Entwicklung", ein liberaler Moskauer Think Tank, Medwedew eine Reform der Sicherheitsdienste vor, die als Putin-treu gelten, und drängt ihn zu einer Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2012.
- Rückzugsgefecht des Präsidenten: Angesichts des großen Rückhalts von Putin hält es die Mehrheit der Moskauer Beobachter für unwahrscheinlich, dass die breite Machtbasis des Premiers unter Beamten und in wichtigen Sicherheitsorganen wie den Geheimdiensten ernsthaft gelitten hat. Sucht Medwedew die Auseinandersetzung mit Putin, gilt ihnen dies als verzweifeltes Rückzugsgefecht eines gescheiterten Liberalen. Chancen auf eine zweite Präsidentschaft hat Medwedew laut Szenario nur, wenn er die Vorherrschaft von Putin und dessen Verbündeten anerkennt.
- Szenario "Good Cop, Bad Cop": Der Chef des Moskauer Zentrums für politische Information, Alexej Muchin, glaubt dagegen, dass Putin und Medwedew ihren Konflikt nur inszeniert haben. Putin soll demnach mit seinem anti-westlichen Kurs die Hardliner besänftigen, während Medwedew als kooperationsbereiter Partner US-Präsident Barack Obama und die EU umgarnt.
Noch am Montag nach dem Präsidentenrüffel machte Putin öffentlich einen Rückzieher. Der Premier habe lediglich seine private Meinung zu dem Thema kundgetan, sagte Putin-Sprecher Dmitrij Peskow. Die Außenpolitik bestimme natürlich der Präsident. Die angesehene Wirtschaftszeitung "Wedomosti" berichtet gleichwohl unter Berufung auf namentlich nicht genannte Quellen in Putins Regierungsapparat, Russlands Position in der Libyen-Frage bedürfe weiter einer Korrektur. Putin, so die Drohung, habe sich nicht zum letzten Mal in der Causa geäußert.
Premier und Präsident hätten bis dato "sehr gekonnt vierhändig Klavier gespielt", sagt der Kreml-nahe Politologe Gleb Pawlowski. "Es wäre schade, wenn sie diese Fähigkeit verlören."