Putin-PR im Staatsfernsehen Verneigung vor dem Zarenmacher

Anatolij Sobtschak: Shootingstar der jungen russischen Demokratiebewegung
Foto: © Sergei Karpukhin / ReutersDie Sowjetunion kämpft schon ihren Todeskampf, da betritt Ende der Achtziger ein Phänomen die politische Bühne des siechen kommunistischen Imperiums. Bunte Krawatten, karierte Jacketts sind das Markenzeichen von Anatolij Sobtschak, Juraprofessor aus Russlands nördlicher Metropole Leningrad. Er trage "die Kleidung der Bourgeoisie", mokieren sich die noch herrschenden Kommunisten.
Neben Sobtschak aber sehen die bornierten Sowjetbonzen nur umso grauer aus.
Das Volk liebt ihn, er ist ein glänzender Redner und das Pult im Leningrader Obersten Sowjet ist ihm ebenso Bühne wie die Straßen und Plätze seiner Heimatstadt, die Treppenstufen an der Metrostation auf der Wassily-Insel etwa. Fast 80 Prozent wählen ihn 1991 zum Bürgermeister. Unter seiner Ägide erlangt die Stadt Lenins wieder ihren alten Namen, St. Petersburg. Sobtschak ist der Shootingstar der jungen Demokratiebewegung.
Vor allem aber ist er Entdecker, Förderer und Lehrer von Russlands neuen Herrschern. Sobtschak ist der politische Ziehvater von Russlands Präsidenten Nummer zwei und drei, Wladimir Putin und Dmitrij Medwedew.
Ein Film des russischen Staatsfernsehens erinnert nun an das wohl größte politische Talent, dass Gorbatschows Perestroika hervorbrachte, pünktlich zum zehnten Todestag Anatolij Sobtschaks. Er starb im Alter von 62 Jahren am 20. Februar 2000.
"Scheiß drauf"
Die Dokumentation zeigt Medwedew und Putin als gelehrige Schüler ihres Mentors. "Er hat mir gezeigt, dass man demokratische Überzeugungen haben kann," erzählt Premier Putin, "und gleichzeitig Patriot." Niemals wieder, schwärmt auch Medwedew, habe er einen Menschen kennengelernt, "so frei wie Anatolij Alexandrowitsch".
Medwedew ist gerade 24 Jahre alt, als Sobtschak ihn in sein Team holt. Sie haben sich auf einem Acker kennengelernt, bei der Kartoffelernte im Sowchos "Kommunar", zu der sie gemeinsam abkommandiert wurden. Wladimir Putin arbeitet an derselben Uni wie Sobtschak als Assistent. Als der ihm einen Job andienen will, antwortet er Sobtschak: "Ich würde liebend gern für sie arbeiten, denn ich teile ihre Auffassungen". Das aber sei unmöglich, er sei nämlich "aktiver Mitarbeiter des KGB". Es könne Sobtschak schaden, wenn bekannt werde, dass er sich mit einem Spitzel eingelassen habe. "Fig s nim", soll Sobtschak erwidert haben, "Scheiß drauf."
1991 putschen in Moskau sowjetische Hardliner und KGB-Kader, sie stellen den Reformer Gorbatschow unter Hausarrest. Panzer sollen auch nach Leningrad vorstoßen und den Erfolg der Verschwörung sichern, so ist der Plan. Doch in der Hauptstadt stellt sich der spätere Präsident Boris Jelzin den Verschwörern in den Weg. Das Bild von Jelzin, der einen Panzer erklommen hatte, geht um die Welt.
Sobtschak hat die Nachricht von seiner eigenen Absetzung durch die Putschisten beim Spaziergang überrascht. Dann aber organisiert er unverzüglich den Widerstand in der Fünf-Millionen-Metropole. Mehr als 100.000 Menschen versammelt Sobtschak vor dem Winterpalast in Leningrad, einst Residenz der Zaren. "Wir verteidigen unsere Stadt", ruft Sobtschak den Bürgern zu. Er überzeugt sogar General Samsonow, die Befehle der Verschwörer zu verweigern. Nicht ein Panzer rückt in Leningrad ein. Der Putsch bricht zusammen. Es ist eine Sternstunde der russischen Demokratie.
"Und all diese Zeit war neben Sobtschak Putin", weiß der Sprecher im Film zu berichten. "Damals habe ich eine Wahl getroffen", erklärt Premier Putin im Interview. Er reichte seine Demission beim KGB ein.
"Sobtschak - Zehn Jahre danach" ist auch deswegen ein bemerkenswertes Werk, weil in den vergangenen Wochen Spekulationen Nahrung erhielten, zwischen Putin und Medwedew bahne sich ein Machtkampf an. Vor drei Wochen gingen in Kaliningrad 12.000 Menschen auf die Straße, sie demonstrierten gegen die Erhöhung von Kfz-Steuern und gegen Putin. Aber auf keinem der Plakate forderten sie den Rücktritt von Präsident Medwedew.
Deutlich betont Russlands Doppelspitze jetzt Zusammengehörigkeit, preisen Medwedew und Putin ihre gemeinsamen Wurzeln. Ihr TV-Bekenntnis zu Sobtschak, einer Ikone der Demokraten, soll auch Zweifel zerstreuen, Medwedew meine es mit seiner liberalen Agenda nicht ernst, sagt der Moskauer Politologe Alexej Muchin. Überraschend fix gewährten denn auch Kreml und Weißes Haus, Putins Amtssitz, dem Regisseur Alexander Gabnis die gewünschten Interviews. "Wir haben den ganzen Film in Rekordzeit gedreht, innerhalb von nur drei Wochen", berichtet Gabnis stolz.
Ein "autoritärer Modernisierer"?
Dass Sobtschak unter Korruptionsverdacht stand, findet in dem Werk allerdings keine Erwähnung. 1996 wurde der Volksheld in St. Petersburg abgewählt, bald wurden Vorwürfe laut, Sobtschak habe von windigen Immobiliendeals profitiert. Das sind auch die Ergebnisse einer Untersuchungskommission von St. Petersburger Parlamentariern. Der unter Federführung der Deputierten Marina Salje erstellte Abschlussbericht belastete Sobtschak schwer. Es ging um Tauschgeschäfte Anfang der neunziger Jahre. Damals verramschte die Stadt an der Newa Altmetalle und andere Rohstoffe an westliche Unternehmer, um im Gegenzug dringend benötigte Lebensmittel nach St. Petersburg einführen zu können.
"Aber die Stadt hat keine Produkte bekommen und rund 92 Millionen Dollar verloren", berichtete Salje. Damals leitete ein Sobtschak-Vize das Komitee für Außenbeziehungen: Wladimir Putin. Die Vorwürfe wurden jedoch nie bewiesen. Es kam zu keinem Prozess. Sobtschak selbst vermutete eine Kampagne gegen ihn, hinter der Auftraggeber aus der Hauptstadt stünden, die ihm seine Popularität missgönnten. In St. Petersburg erzähle man sich einen traurigen Scherz, sagte seine Frau Ludmilla. "Alles Geld ist in Moskau. Alle Korruption dagegen in St. Petersburg."
Marina Salje, die noch im Jahr 2000 gegen Putins Wahl zum Präsidenten protestierte, ist von der politischen Bildfläche verschwunden. Sie soll in ein kleines Dorf gezogen sein. "Vanity Fair" berichtete, sie habe eine Drohung per Telegramm bekommen, angeblich von Putin. Er wünsche ihr eine Gesundheit, schrieb das Magazin, "und genug Gelegenheiten, sie auch zu nutzen". Gabnis' Film spricht dagegen nur wage von einer "Hetzjagd" der Feinde Sobtschaks.
"Er war für das ganze Land ein Lichtstrahl", sagt Medwedew. Der Demokrat Sobtschak als nationale Ikone, so soll ihn Russland heute sehen. Aber was würde er wohl über die Demokratie in seiner Heimat sagen, wenn er könnte?
"Russland wird nicht länger den Anspruch erheben, eine Supermacht zu sein", schrieb Sobtschak kurz vor seinem Tod. Niemand müsse fürchten, dass sein Zögling Putin ein "autoritärer Modernisierer" werde. Sobald dieser die demokratischen Institutionen Russlands gestärkt habe, würden die Vorbehalte gegen Putin verschwinden.
"Ich würde ihn so gern noch einmal sehen können", sagt Putin heute. "Es gibt Fragen, in denen ich ihn gern um seinen Rat fragen würde."