Putin vor der Wahl Der entzauberte Zar
Russlands bekanntester Kabarettist Michail Sadornow ist berühmt für seine Pointen, die ebenso beißend sind wie treffend. "Die jetzigen Wahldebatten erinnern mich an einen Swinger-Club", ließ der Satiriker die 400.000 Fans wissen, die seine Twitter-Nachrichten abonniert haben. "Jeder weiß, wie der Abend enden wird, aber vorneweg muss man so oder so ein wenig Small Talk betreiben."
Russland wählt am Sonntag einen neuen Staatschef. Das Rennen um den Posten im Kreml aber ist schon entschieden, seit Noch-Präsident Dmitrij Medwedew Wladimir Putin die Präsidentschaft andiente. Putin darf sogar auf einen Sieg im ersten Wahlgang hoffen, letzte Umfragen sehen ihn bei 55 bis 65 Prozent.
Am nächsten könnte ihm noch Gennadij Sjuganow kommen, der seltsam verzagt agierende Chef der Kommunisten. Er könnte ähnlich gut abschneiden wie seine Partei bei den Parlamentswahlen. Damals errang die KP 20 Prozent der Stimmen. Erreicht daneben einer der anderen drei Kandidaten ein zweistelliges Ergebnis, wäre schon das eine kleine Sensation. Gefährlich werden kann Wladimir Putin keiner von ihnen. Die dem Kreml hörige Wahlkommission hat sie nur zugelassen, damit sie Spalier stehen bei Putins Rückkehr.
"Putin ist ein Zar, und er sieht sich selbst wie ein Zar", sagt der deutsche Russland-Experte Alexander Rahr. Am Sonntag schreibt Putin Geschichte. Noch nie ist einem russischen Herrscher in der sechs Jahrhunderte langen Geschichte des Moskauer Kreml gelungen, was Putin nun glückt: eine triumphale Rückkehr ins Zentrum russischer Macht. Ob Romanow-Zaren oder Sowjetfürsten, Putins Vorgänger verließen den Kreml nur, wenn sie starben oder stürzten. Oder wie Boris Jelzin, der 1999 zugunsten von Putin abdankte.
Mit aggressivem Wahlkampf den Graben vertieft
Doch die Art und Weise, wie er seine Rückkehr inszeniert, wird ihm eine Bürde werden. Mit seinem aggressiven Wahlkampf hat er den Graben zu seinen Kritikern vertieft. Er hat nicht nur ihre Führer beschimpft, sondern auch ihre Anhänger. Die Weißen Bänder, die sich Tausende bei Demonstrationen als Zeichen des Protests gegen Wahlfälschungen an die Kleidung geheftet hatten, hätten ihn an Kondome erinnert, spottete er im Dezember vor einem Millionenpublikum im Staatsfernsehen.

Russland-Wahl: Aus Premier Putin wird Präsident Putin
Mitte der Woche dann legte er nach: Seine Gegner planten ein Mordkomplott. Seine Gegner suchten ein "sakrales Opfer" unter den eigenen Leuten, um es dann "selbst umzunieten und die Schuld der Staatsmacht in die Schuhe zu schieben", sagte Putin. Und die Opposition hecke Pläne für "irgendwelche Zusammenstöße" nach der Wahl aus.
Gerade einmal drei Tage war es da her, dass sich rund 30.000 Putin-Gegner entlang der Ringstraße mit Luftballons und Pfannkuchen postierten, um mit einer Menschenkette friedlich für freie und faire Wahlen zu demonstrieren.
Putin hat seinen Adlatus Dmitrij Medwedew die Amtszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre verlängern lassen. Im Machtkalkül des ehemaligen Geheimdienstobersts macht das Sinn: Er kann dann Russland bis 2018 regieren - und, sollte er dann erneut antreten, sogar bis 2024. In Demokratien wirken regelmäßige Wahlen als Ventil für enttäuschte Bürger, um Dampf abzulassen. Zwei Jahre mehr bis zu den nächsten Wahlen bedeuten auch zwei Jahre weiter wachsenden Druck.
Proteste jagten der Staatsmacht einen Schrecken ein
Als sich im Dezember zum ersten Mal seit Jahren Zehntausende Putin-Gegner in Blickweite des Kreml sammelten, jagten sie der Staatsmacht einen Schrecken ein. Dmitrij Medwedew, der so wankelmütige Präsident, versprach plötzlich die Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Gouverneurswahlen, von denen er noch vor zwei Jahren sagte, es werde sie "weder jetzt geben, noch in hundert Jahren". Und Putins Sprecher Dmitrij Peskow annoncierte "Putin 2.0", so als habe sein Dienstherr die Bedenken der Bürger erhört und werde sich von nun an ganz anders präsentieren. "Die Menschen erwarten eine Erneuerung", sagte Peskow. "Er hat innere Reserven für die Verbesserung der Lage."
Der Wahlkampf aber hat den vermeintlichen politischen Tausendsassa Putin entzaubert. Der 59-Jährige hat sich nicht erneuert. Er hat wie vor vier Jahren noch einmal seine Anhänger mit markigen Sprüchen und Spitzen gegen angebliche Feinde im Westen mobilisiert. Er hat ein Feuerwerk von Wahlversprechen abgebrannt: Er hat den Benzinpreis einfrieren lassen, Renten erhöht und Fußballfans Freiflüge zur EM 2012 versprochen. Setzt er allein seine Ausgabenpläne im Sozialbereich um, dürfte das Russland in den kommenden Jahren rund 120 Milliarden Euro kosten, haben Ökonomen der staatlichen Sberbank ausgerechnet. Hinzu kommen 500 Milliarden Euro für neue Waffensysteme für Flotte, Heer und Luftwaffe bis 2020.
Der Westen, den Putin derzeit so gerne kritisiert, muss Hunderte Milliarden Euro für die Rettung von Banken und überschuldeten Staaten aufwenden. Im Unterschied zu Russland verfügen Deutschland, Frankreich oder die USA aber über breit aufgestellte Volkswirtschaften. Russlands Schicksal dagegen hängt am Öl. Aus Berechnungen der Citi-Bank geht hervor, dass Moskau einen Ölpreis von 150 Dollar brauchen wird, um seine Versprechen einzuhalten. Derzeit reicht noch ein Preis von rund hundert Dollar, um das Budget zu decken.
Der Sieg am Sonntag ist Putin nicht zu nehmen. Groß ist die Zahl der Russen, die ihm danken, dass er ihrem Land in den neunziger Jahren Ruhe und bescheidenen Wohlstand beschert hat. Doch auch bei den Pro-Putin-Kundgebungen konnte man neben den "Für Putin, für die Stabilität"-Plakaten auch Transparente sehen, auf denen "Für Putin, für Wandel" stand.
Schlägt Putin nicht den Weg der Reformen ein, wird sich ein Teil der Russen, die ihn am Sonntag in den Kreml wählen, von ihm abwenden.