Nach Putschversuch Amnesty prangert Umgang mit Gefangenen in der Türkei an

Polizisten mit türkischen Soldaten, die am Putschversuch beteiligt gewesen sein sollen
Foto: STRINGER / REUTERS19.000 Menschen wurden nach dem Putschversuch gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan festgenommen. Gegen mehr als 10.100 von ihnen ergingen Haftbefehle. So lauten jedenfalls die offiziellen Zahlen.
Doch wo genau werden sie festgehalten? Das ist unklar, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Eine offiziell zugängliche Liste, aus der hervorgehe, wo wer untergebracht werde, gebe es nicht. Vor allem der Verbleib der mutmaßlichen Rädelsführer des Putschversuches sei nicht bekannt.
Viele Festgenommene seien aus Kapazitätsgründen überall im Land in Sporthallen oder Reitställen unter teils menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht, sagte der Türkei-Experte der Organisation, Andrew Gardner. "Die Festgenommenen müssen mit ihren Familien kommunizieren können und Zugang zu ihren Anwälten haben", forderte er.
Ausländische Beobachter lässt die Türkei bisher nicht zu den Gefangenen oder wenigstens in die großen Sammelstellen für mutmaßliche Putschisten vor. Mehrere internationale Diplomaten hatten in den vergangenen Tagen versucht, sich in Ankara ein Bild von der Lage zu machen. Aufnahmen von mit Kabelbindern gefesselten Soldaten, die am Boden einer Reithalle knien mussten, hatten die internationalen Gesandten aufgeschreckt. Trotz Diplomatenausweisen wurden sie sowohl an der Halle des örtlichen Reitclubs als auch an der Sporthalle der Polizeiakademie in Ankara schroff abgewiesen, berichtete ein westlicher Botschafter SPIEGEL ONLINE.

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Amnesty hatte in der vergangenen Woche in einem Bericht bereits auf mögliche Folter in Polizeigewahrsam hingewiesen.
Die türkische Regierung streitet die Vorwürfe vehement ab. Staatschef Erdogan hatte am Dienstag gesagt, es könne sein, dass Soldaten "während der Tumulte Tritte und Schläge abbekommen haben". Für Folter gebe es jedoch null Toleranz. Amnesty-Experte Gardner hält solch ein Dementi für "nicht glaubhaft".
Nach dem Putschversuch von Teilen des Militärs am 15. und 16. Juli, bei dem 300 Menschen starben, hat Präsident Erdogan einen 90-tägigen Ausnahmezustand verhängt. In dem Land läuft eine "Säuberungswelle" im Militär und bei der Polizei, in den Medien, der Justiz und im Bildungsbereich.
Ministerpräsident Binali Yildirim sagte am Dienstag, es seien mehr als 58.600 Staatsbedienstete suspendiert und fast 3500 dauerhaft entlassen worden. Die EU und die Bundesregierung zeigten sich besorgt über die hohe Zahl an Festnahmen und Suspendierungen.
Erdogan macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen und dessen Anhänger für den Putschversuch verantwortlich (eine Reportage zu dem Besuch bei Gülen lesen Sie hier). Kritik am harten Vorgehen gegen mutmaßliche Verschwörer wies er zurück.

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