Erdogan nach dem Putschversuch Noch härter, noch unberechenbarer

Der Putsch in der Türkei ist gescheitert, Präsident Erdogan ruft die Stunde der Rache aus. Die Sorge in Berlin und Brüssel ist groß: Was wird aus dem Flüchtlingsdeal?
Türkischer Präsident Recep Tayyip Erdogan

Türkischer Präsident Recep Tayyip Erdogan

Foto: YAGIS KARAHAN/ REUTERS

Der Mann, um den es geht, wird möglichst nicht erwähnt. Die Bundeskanzlerin zum Beispiel spricht am Samstag mehr als drei Minuten über die Ereignisse in der Türkei, sie verurteilt den Putschversuch "auf das Schärfste", drückt ihre Unterstützung für den "gewählten Präsidenten" und die "gewählte Regierung" aus - den Namen Recep Tayyip Erdogan nimmt Angela Merkel allerdings nicht einmal in den Mund. Genauso hält es die Europäische Union in der offiziellen Reaktion ihrer Spitzenvertreter.

Die Erdogan-Vermeidungsstrategie zeigt, wie sehr man in Berlin und Brüssel mit sich ringt. Keine Frage, ein Militärcoup als Instrument politischer Veränderung ist inakzeptabel. Aber es fällt schwer, ausgerechnet den autoritären Präsidenten der Türkei nun zu denjenigen zu zählen, "die die Demokratie und den Rechtsstaat verteidigen", von denen Merkel spricht. Mehr noch, es fällt schwer zu glauben, dass die Türkei mit Erdogan und seiner Partei AKP an der Spitze nach diesen dramatischen Stunden und Tagen bald wieder ein verlässlicher und stabiler Partner Deutschlands und Europas sein kann.

Im Gegenteil, die Sorge ist groß, dass der aufgeputschte Präsident sein Land jetzt mit noch härterer Hand regieren wird. Mancher in Berlin ist sich da sogar schon ziemlich sicher. "Präsident Erdogan missbraucht den gescheiterten Putsch als Vorwand, um den türkischen Staatsapparat von Gegnern der AKP zu säubern", sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann SPIEGEL ONLINE.

Welche Folgen hat Erdogans Anti-Rechtsstaats-Kurs?

Erdogans Anti-Rechtsstaats-Kurs wiederum könnte unabsehbare Folgen haben für die Zusammenarbeit zwischen der EU und der türkischen Regierung. Vor allem eine Frage stellt sich: Was wird aus dem von Merkel vorangetriebenen Flüchtlingsdeal mit der Türkei?

Die optimistische Antwort ist: Kein Grund zur Sorge, es bleibt alles beim Alten, schließlich sind weiterhin jene im Amt, mit denen die Vereinbarung getroffen wurde. Doch so einfach ist es nicht, das ist auch allen in der Bundesregierung bewusst.

Schon bisher war die Kritik groß, dass sich Merkel und die EU in der Flüchtlingskrise in die Abhängigkeit eines Mannes begeben haben, der es mit Menschenrechten, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit nicht so genau nimmt.

Jetzt, nach dem versuchten Aufstand, sind sich alle Beobachter sicher: Erdogan wird kaum versuchen, das Land zu versöhnen, nur weil die Opposition den Putsch genauso abgelehnt hat. Die Spaltung der Gesellschaft dürfte zunehmen, die Sicherheitslage womöglich noch fragiler werden. Und der Staatschef wird die Gelegenheit nutzen, seine Macht auszubauen.

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Türkei: Der Putschversuch in Bildern

Foto: Gokhan Tan/ Getty Images

Tatsächlich hat die Jagd auf seine Gegner längst begonnen, Erdogan nennt den Putsch gar ein "Geschenk Gottes": Der Staatsapparat, das Militär und die Justiz werden "gesäubert", rund 6000 Menschen sollen bereits festgenommen worden sein. Dazu gehen grausame Bilder um die Welt, die offenbar zeigen sollen, wie Erdogan-Anhänger auf offener Straße blutige Rache an Putschisten nehmen.

Die Mahnungen, auch aus Deutschland, verhallen offenbar ungehört. Merkel hatte bereits am Samstag an Ankara appelliert, dass sich der Rechtsstaat "gerade im Umgang mit den Verantwortlichen für die tragischen Ereignisse" beweisen müsse. Justizminister Heiko Maas (SPD) warnte:

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Noch deutlicher wurde am Sonntag sein Parteifreund Oppermann. "Wenn Tausende Richter und Staatsanwälte, die offensichtlich nichts mit dem Putsch zu tun hatten, abgesetzt werden, ist das ein Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat", sagt der SPD-Fraktionschef. Und die sozialdemokratische Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, mahnt die "Wahrung rechtstaatlicher Prinzipien" in der "Neuen Passauer Presse" an.

EU-Ratspräsident Donald Tusk warnt, für die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei sei auch entscheidend, wie Ankara mit der Krise umgehe:

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Die Probleme, die sich daraus ergeben, könnten schon bald sehr konkret werden. Denn als Gegenleistung dafür, dass die Türkei hilft, die Flüchtlingsströme Richtung Europa zu unterbinden, pocht Erdogan auf eine Visa-Liberalisierung für türkische Staatsbürger.

Die EU hat diese schon vor langer Zeit in Aussicht gestellt, besteht ihrerseits aber darauf, dass die Türkei vorher ihre scharfen Anti-Terror-Gesetze ändert. Diese, so die Befürchtung der Europäer, seien dazu gedacht, im Namen der Terrorbekämpfung auch gegen unliebsame Journalisten und Oppositionelle vorzugehen.

Erdogan wird im Anti-Terror-Kampf nicht nachgeben

Schon bisher hat Erdogan Härte demonstriert und die Forderungen brüsk zurückgewiesen. Nach dem Putschversuch aber wird er erst recht den Teufel tun, die strengen Gesetze aufzuweichen. Im Gegenteil: Der gescheiterte Aufstand wird ihm als Beleg dafür dienen, wie notwendig die Regeln sind.

Hoffnungen, Erdogan werde sich schon auf Zugeständnisse einlassen, weil er die Visa-Freiheit als großen innenpolitischen Erfolg verbuchen kann, dürften sich also erst einmal zerschlagen. Zumal kein westlicher Staats- oder Regierungschef in Sicht ist, der jetzt mäßigend auf den türkischen Präsidenten einwirken könnte. Die Kanzlerin etwa, als treibende Kraft des Flüchtlingsdeals, hatte nie ein gutes Verhältnis zum impulsiven Machtmenschen Erdogan. Seit der Armenien-Resolution des Bundestags lässt er sich erst recht nichts mehr von ihr sagen.

Auf der anderen Seite können es sich Merkel und die EU kaum erlauben, von ihren Bedingungen abzurücken. Die Europäer dürften sich nicht "Komplizen der autoritären Machtansprüche" Erdogans machen, warnte CDU-Außenexperte Norbert Röttgen. "Das ist die klare rote Linie."

Markige Worte. Aber aus ihnen spricht auch Ratlosigkeit, wie es nun weitergehen soll. Sicher ist vorerst nur: Der schwierige Partner Türkei wird künftig noch schwieriger werden.

Erdogan-Anhänger im Freudentaumel:

SPIEGEL ONLINE
Mitarbeit: Florian Gathmann
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