Rauswurf des Hamas-Chefs Wie Syrien sich als neue Friedensmacht in Nahost etabliert
Beirut - Es war nur eine kleine Meldung am Rande, und doch erzählte sie eine große Geschichte: Der Chef der radikalen Palästinenser-Organisation Hamas will angeblich sein Exil in Syrien aufgeben und sich im Sudan niederlassen, meldete die israelische Zeitung "Haaretz" unter Berufung auf das kuwaitische Blatt "Al-Rai". Syrien und die Hamas-Führung hätten sich darauf geeinigt, dass Chalid Meschal Damaskus verlasse, wo ihm das syrische Regime seit Jahren Asyl gewährt.
Dass Meschal sich freiwillig zum Umzug nach Afrika entschlossen hat, dürfte dabei mehr als unwahrscheinlich sein. Vielmehr scheint es, als sei er ein weiteres Bauernopfer, dass Syriens Staatschef Baschar al-Assad zu bringen bereit ist, um seine Beziehungen zum Westen zu verbessern. Der Rauswurf der Hamas würde Israel und den Westen gut schmecken und Syrien hätte einen Gefallen gut, den es im Machtpoker in Nahost demnächst dann gewinnbringend einsetzen könnte.
Betrachtet man die syrische Politik der vergangenen Monate, drängt sich der Eindruck auf, dass da jemand versucht, sich unentbehrlich zu machen. Damaskus als gut verdrahteter Mittler zwischen Iran und dem Westen - das könnte eine der Rollen sein, in denen sich Assad Junior sieht. Gefälligkeiten wie die mögliche Ausweisung der Hamas sind die Währung, mit der sich Assad in den Part einzukaufen versucht.
Es hat lange gebraucht, bis der junge Assad aus dem Schatten seines verstorbenen Vaters getreten ist. Hafis al-Assad hatte Syrien jahrzehntelang mit eiserner Hand geführt. Als der Diktator 2000 starb, erbte sein Sohn Baschar Macht und Amt. Kaum einer traute dem gelernten Augenarzt zu, sich gegen die Hardliner-Clique seines Vaters durchsetzen zu können.
Tatsächlich verhedderte sich der Neuling anfangs in den Fallstricken des nahöstlichen Polit-Geschäfts. Dringend notwendige Wirtschaftsreformen wurden halbherzig ausgeführt, die Nähe zu Iran und irakischen Aufständischen bescherte Assad und seinem Land einen Platz auf Washingtons "Achse des Bösen". Der Mord am ehemaligen libanesischen Premierminister Rafik Hariri führte zur Einsetzung einer Uno-Untersuchungskommission, deren Ergebnisse Syrien fürchten muss.
Spagat zwischen zwei politischen Lagern
Doch so holprig sein anfänglich eingeschlagener Kurs war, so erstaunlicher ist die Kehrtwende, die Assad in den vergangenen Monaten hingelegt hat. Seit dem Frühjahr spricht Syrien indirekt mit Israel über einen möglichen Frieden, die Türkei hat die Vermittlerrolle übernommen. Dass Damaskus in dieser Sache nun auch auf direkte Gespräche drängt, zeugt von dem neu gefundenen Selbstbewusstsein des Regimes.
Souverän gibt sich Syrien neuerdings auch im Umgang mit dem Libanon. Damaskus hat zugestimmt, diplomatische Beziehungen mit dem Nachbarland aufzunehmen. Noch vor wenigen Monaten wäre das undenkbar gewesen: Syrien sah den Zedernstaat als Vasallen, nicht als seinesgleichen.
Das Kunststück, dass Assad zu vollbringen versucht, ist der Spagat zwischen zwei politischen Lagern, die sich feindlich gegenüberstehen. Einerseits sucht er neuerdings die Nähe des Westens, andererseits kann und will er alte Verbündete wie Iran nicht düpieren. So ist jeder Schritt in Richtung Westen von einer Respektbezeugung nach Teheran begleitet, wo er jüngst zu Besuch war.
Im Georgien-Konflikt zeigte er sich mit Moskau solidarisch, auch das ist ein wohl überlegter Schritt. Syrien bezieht viele seiner Waffen von Russland. Ganz oben auf dem Wunschzettel stehen Flugabwehrraketen, die eine Gefahr, die Damaskus durch Israel droht, schmälern könnten.
Assads zweigleisige Politik dürfte vor allem von dessen Wunsch nach Machterhalt geleitet werden. Syrien ist ähnlich wie der Irak ein Land, in dem verschiedene, teils verfeindete Religionsgruppen zusammenleben. Dass das bislang meist friedlich geschah, ist eins der Verdienste des totalitären syrischen Regimes, das Widerspruch nicht duldet.
Europa weiß: ohne Syrien kein Frieden im Nahen Osten
In Syrien herrscht Friedhofsruhe, aber eben Ruhe. Der Bruderkrieg im Nachbarland Irak hat die Elite in ihrem Glauben bestärkt, dass das Land nur mit harter Hand zu führen ist. Ein Regimewechsel, wie ihn die USA zwischenzeitlich propagierte, könnte das fragile Gleichgewicht zwischen den Volksgruppen stören und das Land ins Chaos stürzen - eine Überlegung die auch im Westen Adepten gefunden hat, die nun den Wandel durch Annäherung propagieren.
Heute kann Assad die Früchte seines neu gefundenen diplomatischen Geschicks ernten: Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy ist am Mittwoch zu einem zweitägigen Staatsbesuch in Damaskus eingetroffen. Nachdem Assad bereits im Juli bei der Pariser Mittelmeerkonferenz von Sarkozy hofiert wurde, ist es nun der erste Besuch eines westlichen Staatsoberhaupts seit fünf Jahren, mit dem Assad von dem Franzosen beehrt wird.
Und auch wenn Sarkozy seine eigenen Gründe haben dürfte, sich wieder einmal als Krisendiplomat darzustellen, vertritt er mit seiner Reise in jedem Fall die neue Linie Europas: Syrien soll zurück ins Boot geholt werden, weil ohne Syrien nichts geht im Nahen Osten. Ohne Damaskus gibt es keinen Frieden im Irak, keine Einigung mit Iran in der Atomfrage, kein Nebeneinander zwischen Israel und dem zu gründenden Staat Palästina - diese Erkenntnis hat sich nicht nur im Westen durchgesetzt.
Bei einem für Donnerstag in Damaskus geplanten Vierertreffen sitzen deshalb auch der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan und der Emir von Katar, Scheich Hamad Ben Khalifa al-Thani, mit am Tisch. Katar trug der Schlüsselrolle Syriens Rechnung, als es im Mai einen Kompromiss im Libanon vermittelte.
Dort waren die prowestlichen Regierungsanhänger von der prosyrischen Opposition per Waffengewalt in die Enge getrieben worden, wollten aber trotzdem ihren Machtanspruch nicht aufgeben. Erst ein Machtwort aus Katar überzeugte die prowestlichen Gruppen, dass die Schlacht verloren war. Die Opposition unter Führung der prosyrischen Hisbollah konnte sich durchsetzen: Noch einer der vielen Siege, die Assad in letzter Zeit einheimsen konnte.