
Reaktionen auf Revolte in Ägypten: Obama versucht den Drahtseilakt
Reaktion auf Unruhen in Ägypten Amerikas schwieriger Abschied von Mubarak
Unruhen in den Straßen von Kairo
Es ist einer dieser Tage, die man früher "CNN-Tage" genannt hätte, als der Nachrichtensender noch fast im Alleingang die globale Agenda vorgab. Im Minutentakt starren die Mitarbeiter des Weißen Hauses auf die TV-Bildschirme und verfolgen die . Die Lagebesprechungen des Präsidenten widmen sich nur einem Thema: den Bildern aus Ägypten.
Spät am Abend schmeißt noch seinen Terminkalender um und tritt im "State Dining Room" des Weißen Hauses vor die Presse. Er hat kurz zuvor mit telefoniert, eine halbe Stunde lang. "Als Präsident Mubarak zum ägyptischen Volk sprach", sagt Obama, "hat er mehr Demokratie und bessere wirtschaftliche Möglichkeiten versprochen. Ich habe ihm gesagt, dass er diese Worte mit Leben füllen muss."
Die Ägypter kämpften für Menschenrechte, betont der US-Präsident - und von Gewalt müsse jeder Abstand nehmen, Militär und Polizei, aber auch die Demonstranten.
Ist das nun eine Distanzierung von Mubarak? Eine offene Unterstützung der Aufständischen? Schwer zu sagen. "Alles ist noch im Fluss", stöhnt ein hochrangiger Obama-Berater.
"Diese Entwicklung ist außenpolitisch ungeheuer bedeutend für die USA", sagt Martin Indyk, Vizepräsident der Brookings Institution und ehemaliger US-Botschafter in Israel. "Immerhin ist Ägypten einer der strategisch bedeutendsten amerikanischen Verbündeten überhaupt."
Betont vorsichtig
Kein Wunder, dass das Weiße Haus betont vorsichtig agiert. Zwar hat es Sympathien für die Demonstranten in Kairo erkennen lassen - doch auch den langjährigen Partner Mubarak noch keineswegs fallengelassen. Dessen Regierung erhält jedes Jahr immerhin rund 1,5 Milliarden Dollar Militärhilfe von den USA. Seit 1975 flossen zudem etwa 28 Milliarden Dollar Entwicklungshilfe aus Washington an den Nil.
Ägypten hat Frieden mit Israel geschlossen, Mubarak gilt als wichtigster Vermittler in den Nahost-Verhandlungen. Er ist auch, so sieht es zumindest Washington, ein Bollwerk gegen die Machtübernahme der radikalen Muslimbruderschaft in seinem Land.
Als Obama im Juni 2009 eine Rede an die islamische Welt hielt, tat er dies demonstrativ in Kairo - doch zeigte so auch das Dilemma von Amerikas Freundschaft mit Ägypten auf. Der US-Präsident sprach eloquent von Demokratie und Freiheit, er betonte, "alle Menschen streben nach bestimmten Rechten". Aber er hielt seine Ansprache vor der Haustür eines Despoten, der jeden Protest brutal niederknüppeln lässt.
Ähnlich unentschlossen verhält sich der Demokrat nun. Nach Ausbruch der Unruhen in Tunesien telefonierte Obama mit Mubarak - aber erwähnte die Lage in dessen Land nicht. In seiner Rede zur Lage der Nation am Dienstag sagte der US-Präsident: "Die Vereinigten Staaten stehen zum Volk Tunesiens." Der Name Ägypten fiel nicht. Später erklärten Obama-Berater, dessen Halbsatz, Amerika unterstütze die demokratischen Hoffnungen aller Menschen, sei ja an die Demonstranten in Kairo gerichtet gewesen.
Subtiler geht es kaum noch.
In einem Interview mit YouTube-Nutzern am Donnerstag wog Obama erneut vorsichtig jedes Wort ab. Mubarak sei ein wichtiger US-Verbündeter, betonte er. "Doch ich habe ihm immer gesagt, dass nur Reformen Ägypten voranbringen." Der amerikanische Präsident mahnte, die ägyptische Regierung solle vorsichtig sein, keine Gewalt anzuwenden. Aber er fügte gleich hinzu, auch die Demonstranten auf den Straßen müssten diese Vorsicht walten lassen.
Die stolze Zivilisation droht im Sand zu versinken
US-Außenministerin Hillary Clinton traut sich etwas mehr. In einer Rede Mitte Januar in Doha sagte sie, arabische Herrscher müssten mehr Demokratie zulassen, sonst drohe ihre stolze Zivilisation buchstäblich im Sand zu versinken. Am Mittwoch rief sie die ägyptische Regierung auf, "friedliche Proteste oder Kommunikation auf sozialen Netzwerkseiten nicht zu blockieren".
Doch auch Clinton ist mit diplomatischen Kompromissen vertraut, wenn es um Ägypten geht. Vertrauliche Botschaftskabel, die der Internetplattform WikiLeaks zugespielt wurden, belegen das. Als Clinton im März 2009 Mubarak zum ersten Mal als US-Außenministerin traf, erhielt sie zuvor in einem Memo von ihren Diplomaten den Hinweis, den Namen des vor vier Jahren inhaftierten und dann freigelassenen Oppositionspolitikers Aymen Nur nicht zu erwähnen. Das ärgere ihre Gesprächspartner nur.
Clinton hielt den Kuschelkurs zumindest in ihren öffentlichen Bemerkungen danach durch, merkt die "New York Times" an. Als ein arabischer Reporter sie nach einem kritischen Bericht über die Menschenrechtslage in Ägypten fragte, gab Clinton zu bedenken, alle Länder könnten sich ja in dieser Frage verbessern. Außerdem seien die Mubaraks Freunde ihrer Familie.
Jeffrey Feltman, Amerikas Top-Diplomat für den Nahen Osten, sagt nun: "Ich erwarte, dass wir das tunesische Beispiel nutzen, um andere arabische Führer zum Wandel zu bewegen."
Ein Balance-Akt ohne Lösung
Wie sich aber Amerikas strategische Partnerschaften mit dem Ruf nach mehr Demokratie vereinen lassen, daran haben sich schon Vorgängerregierungen die Zähne ausgebissen - selbst die Demokratie-Apostel der Bush-Regierung.
George W. Bush rief während seiner Amtszeit Kairo auf, "den Weg zur Demokratie im Nahen Osten zu zeigen". Aber bald knickte auch der Republikaner ein. Für besonders wichtige US-Verbündete wie Ägypten und Saudi-Arabien galt die "Freedom Agenda" nicht.
Nun könnte sich dieses Dilemma durch den Druck von Kairos Straßen auflösen - der rasch so stark werden könnte, dass auch Obamas Balance-Akt keine Lösung mehr darstellt. Zwar hat dessen Pressesprecher Robert Gibbs am Freitag in Aussicht gestellt, die jährliche Milliarden-Finanzhilfe von Washington an Kairo könne auf den Prüfstand kommen. Doch er verweigerte die Antwort darauf, ob sich die Einstellung der Regierung zu Mubarak wirklich geändert hat.
Robert Kagan vom Carnegie Endowment for International Peace in Washington ist das zu wenig: "Die hat an der jahrzehntelangen amerikanischen Tradition, sich an Mubarak zu klammern, kaum etwas geändert - obwohl klar ist, dass er sein Land ins Desaster führt."
Doch es ginge längst nicht mehr um Mubarak, argumentiert Kagan in der "Washington Post". "Ägypten wird explodieren. Und dann steht diese US-Regierung auf der falschen Seite."