Erdogan umschmeichelt Putin "Mein teurer Wladimir!"

Erdogan und Putin bei einem Treffen im November 2015
Foto: Sergey Guneyev / Pool/ picture alliance / dpaDie gefährlichste Klippe während des Interviews umschifften sie gemeinsam, der russische Journalist und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Man redete gerade über die Terrororganisation "Islamischer Staat" und deren Einnahmen aus Ölverkäufen. Wer wohl ihre Kunden sind? Die syrische Regierung, verkündete Erdogan. Ihm sei aber "berichtet worden, dass es solche Fakten in Bezug auf die Türkei gebe". Jemand habe versucht, "meine Familie da mit reinzuziehen".
Jemand. Ihm sei berichtet worden.
Das hörte sich an, als seien es nebulöse Gerüchte. Erdogan wollte nicht konkreter werden. Seine Familie war ja von niemand anderem beschuldigt worden als dem Kreml. "Die führende politische Klasse, darunter Präsident Erdogan und seine Familie, ist in diesen illegalen Handel verstrickt", hatte Moskau verkündet.
Der schwere Vorwurf ist gerade einmal acht Monate her, die Beziehungen der Türkei und Russlands waren damals auf einem Tiefpunkt. Doch der Interviewer der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Tass hakte nun im Gespräch mit Erdogan nicht nach. Statt an den Konflikt zu erinnern, wechselte er lieber das Thema. Was denn nun aus der geplanten Gaspipeline werde?
Wenn Wladimir Putin am Dienstag Erdogan in Sankt Petersburg empfängt, soll möglichst wenig die gerade wiedergewonnene Harmonie stören. Dem Westen, Partner der Türkei in der Nato, bietet sich ein verstörendes Bild. Während Erdogan fast täglich gegen Berlin, Wien oder Washington austeilt, findet er für Moskau freundliche Worte. Der russische Präsident mag Erdogan eben noch als Helfershelfer des Terrorismus beschimpft haben. Der türkische Staatschef nennt Putin dennoch konsequent "meinen teuren Freund Wladimir".

Erdogan trifft Putin: Gas, Tomaten und ein Atomkraftwerk
Der gescheiterte Putsch vom 15. Juli in der Türkei hat Moskau und Ankara näher zusammengebracht als je zuvor. Der Kreml empfängt Erdogan in Sankt Petersburg, Putins Heimatstadt. Es ist die erste Auslandsreise des türkischen Präsidenten seit dem versuchten Umsturz und überhaupt erst das zweite Treffen Erdogans mit einem ausländischen Staatsoberhaupt. Anfang August war Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew in Ankara, ein enger Verbündeter Moskaus.
Putin und Erdogan verbindet dabei auch ein Gefühl. Beide fühlen sich verraten: vom Westen, der Nato und der CIA. Putin wettert gegen die Osterweiterung des westlichen Militärbündnisses und wirft den Amerikanern vor, in Russland eine Revolution gegen ihn anzetteln zu wollen.
Erdogan ist erbost über das Verhalten seiner westlichen Verbündeten nach dem Putschversuch. Der Westen hat rangniedrige Delegationen nach Ankara entsandt. Die Bundesregierung schickt einen Staatssekretär. Erdogan unterstellt dem Westen Sympathien für seine Gegner. "Jene, die wir für Freunde hielten, unterstützen die Putschisten", hat er geschimpft.
Entfremdung des Nato-Mitglieds
Dem Oberbefehlshaber des US-Zentralkommandos, Joseph Votel, warf er vor, mit den Putschisten unter einer Decke zu stecken. Türkische Medien behaupten, ehemalige CIA-Mitarbeiter hätten während der Militärrevolte Strippen gezogen. Ilker Basbug, bis 2010 Chef des türkischen Generalstabs und 2012 selbst der Verschwörung gegen Erdogan bezichtigt, ist sich sicher: "Amerikanische Geheimdienste benutzen die Gülen-Bewegung".
Die Entfremdung des Nato-Mitglieds vom Rest der Allianz schürt im Westen Sorge. Schwedens Ex-Außenminister Carl Bildt glaubt, der Europa hätte sich nach dem Putsch stärker hinter Erdogan stellen müssen. Er diagnostiziert eine Art stille Duldung von Umstürzen durch das Militär, sofern denn Europa wenig genehme Präsidenten das Ziel sind.
Das sei schon einmal so gewesen, so Bildt: 2013, als Ägyptens Militär den demokratisch gewählten Islamistenpräsidenten Morsi wegputschte. "Es gibt keine Rechtfertigung für Putsche", schreibt Bildt in einem Beitrag für die Webseite "Politico" . Der Schwede findet: Dass ausgerechnet Putin Erdogan als erster hochrangiger Staatenlenker nach dem Putsch empfängt, "ist eine Schande für Europa".
Die Frage ist, wie groß der Schaden ist, den die Verstimmungen zwischen dem Westen und der Türkei der Nato zufügen. In Moskau wird davon geträumt, Ankara könnte gemeinsam mit Russland zu einem "Motor der eurasischen Integration werden", so hat das der Politologe Wladimir Sotnikow formuliert. Erdogans immer autoritärer werdende Türkei könnte sich vom Westen ab- und dem ebenfalls autoritären Russland zuwenden.
Fjodor Lukjanow, Herausgeber der Fachzeitschrift "Russia in Global Affairs" glaubt nicht an einen Bruch zwischen Ankara und der Militärallianz. Die Türkei sei auf die Schutzmacht Amerika angewiesen. Washington wiederum wolle Erdogan auf keinen Fall verprellen, dafür sei die Türkei in der Region zu wichtig. Andererseits habe das Land tatsächlich viel mit Russland gemein. Beide Staaten lägen in Europas Peripherie, "sind vom Westen aber nie als seinesgleichen anerkannt worden. Sie sind herausgefallen aus dem europäischen Projekt."
Zusammengefasst: Am Dienstag empfängt Russlands Präsident Wladimir Putin den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Sankt Petersburg. Die beiden eint die Wut auf den Westen, deshalb wollen sie ihren monatelangen Streit über den Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs durch das türkische Militär beilegen. Der Kreml hofft, die Entfremdung zwischen Erdogan und den Nato-Partnern zu nutzen und die Allianz zu schwächen. Doch das wird kaum gelingen: Ankara ist auf die USA und die EU angewiesen.
Video: Massenkundgebung für Erdogan in Istanbul