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Jobbik-Anhänger: "Sehr jung, sehr ungarisch, sehr übellaunig"

Foto: Szilard Koszticsak/ dpa

Rechtsextreme Hetze im Netz Ungarns Un-Demokraten

Von wegen Partei der Verlierer: Die Anhänger der ungarischen Jobbik sind jung und haben eine gute Ausbildung. Was sie eint, ist ihre Ablehnung der Demokratie und ihr Gewaltpotential. Wichtigstes Instrument der Rechtsextremen ist ein Netzwerk von Websites, das ihre Wut spiegelt.

Berlin/Budapest - Selten drückte sich der Führer der ungarischen Rechtsextremen so klar aus. Vor einigen tausend Anhängern verkündete Gábor Vona am vergangenen Samstag im Budapester "Sportmax"-Palast das Ende der liberalen Demokratie in der Welt. "Keine Kompromisse" im und mit dem herrschenden politischen System, sondern "Kampf, Kampf und nochmals Kampf", verlangte der 33-Jährige in seiner traditionellen Januar-Rede von den Parteigenossen. "Wir sind zwar keine Kommunisten, keine Faschisten und keine Nationalsozialisten", rief Vona in den Saal, "aber - und es ist wichtig, dass alle das sehr genau verstehen - wir sind auch keine Demokraten!"

Seine Anhänger applaudierten frenetisch.

Es war das erste Mal, dass der Chef der rechtsextremen Partei Jobbik (Die Besseren), die bei den Wahlen im April 2010 knapp 17 Prozent der Stimmen erhielt, der Demokratie eine so glasklare Absage erteilte. Ungarns Zeitungen und Radio- und Fernsehsender berichteten überwiegend uninteressiert und dürftig darüber. Womöglich eher aus Betriebsblindheit als in bewusster Boykottabsicht, wie es der Jobbik-Vizechef Elöd Novák unterstellt. "Wir sind die zweitstärkste Partei in Ungarn", konstatiert er, "aber in den herkömmlichen Medien spielen wir kaum eine Rolle."

Novák spricht von "Ausgrenzung". Aber das hört sich keineswegs an wie eine Klage. Zwar haben sich die Jobbik-Rechtsextremen - die einen EU-Austritt Ungarns anstreben - gerade schriftlich bei der zuständigen EU-Kommissarin Neelie Kroes darüber beschwert, dass sie in ungarischen Medien so wenig beachtet werden. Doch ihr Image als medial Geächtete pflegen sie liebevoll. Mehr noch: In Wirklichkeit brauchen sie die traditionellen Medien gar nicht.

Jobbik nutzt das Internet wie sonst keine Partei in Ungarn

Botschaften bringt Jobbik anders unter Sympathisanten und Wähler: Fast täglich sprechen Parteipolitiker auf sogenannten Einwohnerforen, hören sich noch im kleinsten Dorf die Sorgen der Menschen an. Vor allem aber verbreiten sie ihre Ideologie über ein äußerst gut organisiertes Netzwerk aus Hunderten von rechtsextremen Internet-Seiten, verknüpft mit Seiten wie Facebook oder dem ungarischen Pendant iwiw.hu. So auch im Fall von Vonas Rede am vergangenen Samstag: Das Portal barikad.hu, die Web-Seite des Jobbik-Wochenmagazins "bar!kád", übertrug sie live. Bereits kurz nach Ende der Veranstaltung präsentierten andere Nachrichtenportale der ungarischen Rechtsextremen ein komplettes multimediales Angebot zur Veranstaltung, ein Teil des Materials wurde anschließend auf Facebook gestellt.

Das ist längst Routine. Seit Jahren nutzen Ungarns Rechtsextreme das Internet sehr effektiv für ihre Zwecke: um Inhalte zu verbreiten, Aktionen und Demonstrationen zu organisieren, oft genug auch für Hass- und Hetzkampagnen. "Das Internet war und ist für uns sehr wichtig", bestätigt der Jobbik-Abgeordnete Márton Gyöngyösi. "Nicht nur wegen unseres beschränkten Zugangs zu den klassischen Medien, sondern auch weil ein großer Teil unserer Unterstützer und Wähler junge Menschen sind, die wir über die neuen Medien am besten erreichen."

Experten beobachten den Trend seit längerem. "Im Wahlkampf 2010 spielte das Internet für Jobbik eine zentrale Rolle", sagt der deutsch-ungarische Politologe Áron Buzogány, der soziale Bewegungen in Osteuropa erforscht. "Im Vergleich zu den anderen Parteien hatte Jobbik die modernste auf dem Web 2.0 basierende Internet-Präsenz. Besucher ihrer Seiten konnten diese aktiv mitgestalten und so selbst Teil der Kampagne werden."

Zu einem ähnlichen Urteil kommt auch der Budapester Politologe József Jeskó, der seit einigen Jahren den ungarischen Rechtsextremismus im Netz untersucht: "Jobbik ist die erste Partei in der ungarischen Geschichte, die die Vorteile des Internets wirkungsvoll für sich genutzt hat." Dabei, so betont Jeskó, sei es nicht die Jobbik-Partei selbst, die das rechtsextreme Netzwerk im Web aufgebaut habe und kontrolliere: "Kleine Gruppen mit ähnlichen Überzeugungen, aber vielen verschiedenen Interessen haben mit Hilfe des Internets Verbindung aufgenommen und sich gemeinsam eine virtuelle Welt erschaffen."

Die Geburtsstunde dieses modernen, vernetzten Rechtsextremismus in Ungarn liegt im Herbst 2006. Damals kam es in Budapest zu schweren Straßenkrawallen, bei denen Demonstranten unter anderem das Gebäude des Staatsfernsehens MTV stürmten und den Sendebetrieb lahmlegten. Ein Auslöser der Krawalle war die sogenannte "Lügenrede" des damals amtierenden sozialistischen Regierungschefs Ferenc Gyurcsány gewesen. Er hatte parteiintern Wahlkampflügen zugegeben.

"Sehr jung, sehr ungarisch, sehr übellaunig"

Mitgeholfen hatte bei der Organisation der gewaltsamen Proteste die einige Monate zuvor gegründete Web-Seite kuruc.info, seit damals die zentrale und meistbesuchte Plattform ungarischer Rechtsextremer. Die Seite verbreitet extrem aggressive antisemitische, antiziganistische, chauvinistische und homophobe Inhalte und organisiert periodisch regelrechte Hetzjagden auf Personen, bevorzugt unter der Rubrik "Sammelplatz für genetischen Müll", manchmal mit furchtbaren Folgen: Im Dezember 2007 beispielsweise wurde der ehemalige sozialistische Politiker Sándor Csintalan überfallen und schwer misshandelt. Die Kuruc-Seite hatte zuvor monatelang eine Kampagne gegen die "jüdische Ratte" geführt. Die mutmaßlichen Akteure des Überfalls, darunter der ungarische Neonazi-Führer György Budaházy, wurden 2009 verhaftet, derzeit läuft gegen sie ein Prozess wegen terroristischer Straftaten.

Schon seit Jahren versucht die ungarische Justiz auch, die in den USA registrierte Kuruc-Seite abzuschalten und ihrer mutmaßlichen Redakteure habhaft zu werden - bisher vergeblich. Als einer der Redakteure gilt Gerüchten zufolge der Jobbik-Vizechef Elöd Novák, doch der bestreitet das natürlich. "Wenn ich das zugeben würde, käme ich ja ins Gefängnis", amüsiert sich Novák über die Nachfrage. "Aber es stimmt, ich pflege gute Beziehungen zur Redaktion", bekennt er dann ungeniert, "manchmal schicke ich ihnen per Mobiltelefon Material direkt aus Parlamentssitzungen heraus."

Links und Anzeigen zu "nationalen" Läden und Firmen

Vielbesuchte Seiten wie kuruc.info dienen auch als Knotenpunkte des rechtsextremen ungarischen Netzwerks im Web. Von hier aus gelangt man über Links zu anderen rechtsextremen Portalen, zur Jobbik-Partei oder zu lokalen rechtsextremen Organisationen, zum Webradio szentkoronaradio.com oder zu "national empfindenden" Folklore- oder Rockgruppen, die ihrerseits aufeinander hin- und rückverweisen. Aber nicht nur das. Ob Nahrungsmittel oder Getränke, Textilien oder Möbel, Reisen, Rechtsschutz oder Vermögensberatung - für fast alle Bereiche des Alltagslebens gibt es Links und Anzeigen, die zu entsprechenden "nationalen" Läden und Firmen führen. Selbst "national-christliche Partnersuche" oder Online-Bestellungen beim "Nationaltaxi" sind möglich.

Der Politologe József Jeskó bezeichnet dieses rechtsextreme Netzwerk als "nahezu völlig in sich abgeschlossenes virtuelles System", das seinen Nutzern eine "unglaublich starke Identität und ein umfassendes Weltbild gibt, eine ganz eigene Lebensweise, in die sich mit Mitteln oder Informationen von außen nur sehr schwer eindringen lässt". Für die Jobbik-Partei, so Jeskó, bedeute dieses Netzwerk ein "riesiges informelles Kapital", über das sie "ihren Wählern gratis ein illustriertes Weltbild liefern" und Meinungen formen könne. "Über die herkömmlichen Medien hätte die Partei das nicht einmal ansatzweise erreicht."

"Sehr jung, sehr ungarisch, sehr übellaunig"

Das Netzwerk ist für die Jobbik-Rechtsextremen umso wertvoller, als seine Nutzer nicht die Armen und Hässlichen Ungarns sind. Ursprünglich nahmen viele Politologen an, Jobbik sei eine Partei der "Verlierer". Doch neue Studien ergeben ein anderes Bild: Der typische Jobbik-Wähler ist männlich, unter 35, selten arbeitslos und hat einen Fach- oder Hochschulabschluss. Anfang dieser Woche legten der britische Think Tank Demos und das Budapester Institut Political Capital eine entsprechende Untersuchung vor, die auf der Befragung von 2200 Facebook-Fans von Jobbik beruht. Ihr Vertrauen in demokratische Institutionen ist minimal, die Akzeptanz von Gewalt als Mittel zum Zweck hoch. Der Internetdienst index.hu, Ungarn meistgelesenes Nachrichtenportal, fasste das Durchschnittsprofil des Jobbik-Wählers so zusammen: "Sehr jung, sehr ungarisch, sehr übellaunig."

Für den Politologen Áron Buzogány zeigt sich darin die Konsequenz einer tragischen Fehlentwicklung in Ungarn: "Das Land ist seit langem politisch außerordentlich tief in Links und Rechts gespalten, und das wird immer mehr zu einem großen gesellschaftlichen Problem. Eine ganze Schicht junger Leute ist im Kontext dieser Spaltung aufgewachsen und hat nun eine Heimat in einem rechtsextremen Mikrokosmos gefunden."

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