
Polizeieinsatz in Ungarn: Paramilitärs nach Roma-Flucht verhaftet
Rechtsextreme in Ungarn Regierung nennt Roma-Abtransport Ausflug
Gyöngyöspata/Budapest - Was ist eigentlich passiert, im ungarischen Dorf Gyöngyöspata nordöstlich von Budapest? Rund 400 Polizisten waren am Karfreitag in dem 2800-Einwohner-Dorf im Einsatz und nahmen mehrere Mitglieder einer rechtsextremen Wehrsportgruppe fest, darunter deren in Uniform gekleideten Anführer, Tamás Eszes.
Und gut 270 der rund 450 im Dorf lebenden Roma, hauptsächlich Frauen und Kinder, verließen in den frühen Morgenstunden in Bussen des ungarische Roten Kreuzes den Ort - aus Furcht vor einer rechtsgerichteten Bürgerwehr, wie Janos Farkas, Vorsitzender des örtlichen Romarats am Freitag sagte. Gyula Racz, Roma und Einwohner des Dorfes, sagte der Agentur Reuters, er habe, wie viele seiner Nachbarn, seine Frau und die Kinder nach Budapest geschickt, um Ärger mit den Rechten aus dem Weg zu gehen.
Am Nachmittag dann ein hastiges Dementi und der Versuch des ungarischen Regierungssprechers Peter Szijjarto, den schlimmen Verdacht zu entschärfen: Die Evakuierungsaktion des Roten Kreuzes sei nicht aufgrund einer "Notsituation" durchgeführt worden, es handle sich vielmehr um einen länger geplanten "Ausflug" über das Osterwochenende. Berichte über eine Notfallräumung seien "eine glatte Lüge".
Erik Selymes, geschäftsführender Direktor des ungarischen Roten Kreuzes, sagte, man habe die Fahrt auf Bitte der Roma in der Gemeinde organisiert, es sei keine Notevakuierung gewesen. Die Einwohner Gyöngyöspatas seien in ein Ferienlager nahe der Hauptstadt gebracht worden.
Paramilitärs beklagen Festnahmen
Nach der Abfahrt der Busse fuhren in dem Dorf mehrere Polizeifahrzeuge vor. Vertreter der rechts gerichteten Véderö-Wehrsportgruppe erklärten zu den Festnahmen ihrer Mitglieder, die Polizei missachte die Tatsache, dass das Trainingslager auf einem Privatgrundstück stattfinde. Véderö hatte die Teilnehmer des paramilitärischen Camps aufgerufen, in Uniformen und mit Pseudo-Waffen zu erscheinen und an einem dreitägigen Trainingslager am Ortsrand teilzunehmen.
Rechtsextreme sorgen in Ungarn nicht nur in und um Gyöngyöspata für Ärger: Selbsternannte Bürgerwehren marschieren immer wieder durch Ortschaften mit hohem Roma-Anteil, um laut Angaben der im Parlament vertretenen rechtsextremen Partei Jobbik ("die Besseren"), auf "Zigeunerkriminalität" aufmerksam zu machen. Die Extremisten von Jobbik hatten bei der Parlamentswahl vor einem Jahr 17 Prozent der Stimmen erhalten. Gepunktet hatte die Partei unter anderem mit ihrer Agitation gegen die in Ungarn lebenden Roma.
Wie viele Roma genau in Ungarn leben, ist ungewiss. Offizielle Schätzungen der Regierung von Anfang 2011 geben ihre Zahl mit 600.000 bis 700.000 an, das sind sechs bis sieben Prozent der Bevölkerung. Entgegen gängiger Vorurteile sind die meisten Angehörigen der Minderheit sesshaft, kämpfen allerdings mit hoher Arbeitslosigkeit und sind kaum in die Gesellschaft integriert.
Opposition: Orbàn errichtet "Diktatur der Worte"
Bislang werden die Behörden den Extremisten nicht Herr: In der Kleinstadt Hajdúhadháza, wo seit längerem eine rechte Bürgerwehr mit dem Namen Szebb Jövöert ("Schönere Zukunft") patrouilliert, waren am Samstag fünf Mitglieder der Gruppe wegen "Rowdytums" festgenommen worden. Bereits nach zwei Tagen kamen sie wieder auf freien Fuß. Der Jobbik-Abgeordnete Gergely Rubi sagte, die Gruppierung werde weiter marschieren, um "die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu verbessern", berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Ungarn, das bis Ende Juni die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union innehat, steht wegen seines Rechtskurses seit Längerem in der Kritik seiner europäischen Partnerländer. Die rechtskonservative Alleinregierung unter Premier Viktor Orbán machte Ende vergangenen Jahres mit einem Mediengesetz Schlagzeilen, demzufolge ein von der Regierung bestellter Medienrat die Presse kontrollieren sollte. Anfang März schwächte das ungarische Parlament auf Druck der EU einige Passagen der neuen Vorschrift ab.
Am vergangenen Montag dann gab Orbáns Partei Fidesz dem Land mit ihrer Zweidrittel-Mehrheit im Parlament eine neue Verfassung - unter Enthaltung einiger Oppositionsparteien und gegen die Stimmen der rechtsextremen Jobbik. Die Präambel der Verfassung beginnt mit einem "ungarischen Glaubensbekenntnis".
Die oppositionellen Sozialisten geißelten Orbáns Regierungsstil wegen des Verfassungsentwurfs als "Diktatur der Worte". Nichtregierungsorganisationen kritisieren, dass die Verfassung von einer starken "christlich-rechten Ideologie" geprägt sei, durch die Atheisten, Homosexuelle und alleinerziehende Eltern benachteiligt würden. Am Ostermontag wird Staatspräsident Pál Schmitt die neue Verfassung offiziell unterzeichnen. Sie soll Anfang 2012 in Kraft treten.