Rechtsnationale in Europa Die Angstmacher

Sie sind in Europa auf dem Vormarsch: Rechtsnationalistische Parteien schüren irrationale Ängste, gaukeln simple Lösungen vor. In welchen Ländern geht ihre Taktik auf?
Grenzzaun in Ungarn im September 2015

Grenzzaun in Ungarn im September 2015

Foto: ELVIS BARUKCIC/ AFP


Am Ende dieses Textes finden Sie eine Europakarte der rechten Parteien. Direkt zur Karte gelangen Sie hier.


Sie sind gegen Minarette und "massenhafte, unkontrollierte Zuwanderung". Sie wollen härtere Strafen für Kriminelle und weniger Kompetenzen für die EU. Sie sprechen von "Leitkultur" und einem "gesunden Patriotismus". Das meiste von dem, was die Alternative für Deutschland (AfD) kürzlich auf ihrem Parteitag beschlossen hat, könnten Frankreichs Front National oder der Ungarische Bürgerbund genauso beschließen.

Auch die Freiheitliche Partei Österreichs oder Italiens Lega Nord kann vielem davon applaudieren. Vermutlich auch die Partei "Die Finnen" (vorher "Wahre Finnen").

Denn sie mögen zwar bunt-verschieden wirken, hausgemacht wie ländertypische Wurst- und Käsespezialitäten. Aber tatsächlich ticken Europas nationalistische Parteien alle gleich, benutzen dieselbe Rhetorik.

Ihre Botschaft an die Menschen heißt: Ihr müsst euch nicht verändern, ihr könnt Kleinbauern bleiben, eure Tante-Emma-Läden weiter führen, ihr müsst nicht zu den Jobs wandern, die kommen zu euch - wenn ihr uns wählt. Wir sind für euch da. Wir schützen euch vor den Währungs- und Finanzkrisen, vor dem Terror, vor den Kriegsflüchtlingen, vor allem.

Eine "Form des Protektionismus" nennt der niederländische Soziologe Paul Scheffer die politische Offerte, die auf ein zentrales Gefühl der europäischen Gesellschaften reagiere, auf deren "Sehnsucht nach mehr Sicherheit". Das Gefühl der Sicherheit ist das, was den Unter- und längst auch den Mittelschichten in den Umbrüchen des 21. Jahrhunderts zunehmend abhanden kommt.

"Verseucht und versifft"

Das ist der Boden, auf dem ein neues Gespenst in Europa umgeht. Mit populistischen Parolen orten die Rechtsparteien die Schuld für alles Schlechte aus den vergangenen Jahren und Jahrzehnten beim politischen Establishment. Dieses sei korrupt, machtbesessen und sitze weit weg vom Volk. Es orientiere sich vornehmlich an den Wünschen von wirtschaftlichen, ethnischen, religiösen oder sexuellen Minderheiten und lasse mit zu laschen Gesetzen und zu zögerlichem Handeln zu, dass das Land "verseucht" und "versifft" wurde, so AfD-Vize Jörg Meuthen.

Dagegen kämpfen die rechten Reformer. Als solche sehen sie sich zumindest selbst. Ihre simple Botschaft: Sie versprechen den Kampf des "Wir" gegen "die" zu führen.

Wer "die" sind, hängt vom "Wir" ab: Wir von der norditalienischen Lega Nord sind gegen "die in Rom" und gegen "die im Süden", weil die auf unsere Kosten leben. Wir vom belgischen Vlaams Belang stehen gegen "die in Brüssel" und gegen den "Einheitsstaat Belgien", weil uns "die Wallonen", die faulen Mitbürger in Südbelgien, auf der Tasche liegen. Wir von der polnischen Prawo i Sprawiedliwosc (PiS) sind gegen "die EU, gegen Deutschland und Russland", weil die uns Polen in die Ketten der Abhängigkeit schlagen wollen. Wir von der FPÖ in Österreich sind gegen "die Freunderlwirtschaft" der Regenten in Wien, weil die uns vor dem Zustrom allzu vieler Ausländer nicht bewahren. "Deutsche zuerst", heißt ihre Parole, oder "Franzosen zuerst" oder "Polen zuerst", je nach Standort der Rechtspartei-Zentrale.

Die Feindbilder sind überall gleich: Kriminelle, Flüchtlinge, Homosexuelle

Die Unterschiede sind wichtig als Lokalkolorit für die politische Show-Bühne. Tatsächlich haben die rechten Bürgerfronten überall ganz ähnliche Feindbilder. Auch hier beschränken sie sich auf einfache Botschaften, picken sich Minderheiten heraus, schüren irrationale Ängste und suchen Sündenböcke. Überall das gleiche Bild vom "Wir gegen die". Zu den vermeintlichen "Problemgruppen" gehören:

  • Kriminelle, die angeblich vom Staat zu lasch bestraft werden;
  • Einwanderer, Flüchtlinge und Asylbewerber, die in zu großer Zahl ins Land kämen und dort den eigenen Bürgern ("uns") die Jobs wegnähmen. Oder die, so die Propaganda, wenn sie "keine Lust zum Arbeiten" hätten, von Sozialhilfe lebten, die "wir" bezahlen müssen. Viele von ihnen kämen, um kriminelle Taten zu begehen, vorzugsweise gegen "unsere" Frauen;
  • Muslime, das meistbemühte Feindbild, werden dargestellt als Eindringlinge, die das Gastland ("uns") kulturell und religiös verändern, sprich: islamisieren wollen; viele von ihnen wollen "uns" durch Terrorakte schaden, was die Attentate in New York, Paris und an anderen Tatorten angeblich belegen;
  • Roma, Homosexuelle, "das internationale Judentum" oder russische Investoren übernähmen in osteuropäischen Ländern, wo es mangels größerer Anteile von Muslimen wenig diesbezüglichen Ängste in der Bevölkerung gibt, dort deren Rollen;
  • "die in Brüssel", also die Institutionen der Europäischen Union, die "unsere" kulturellen Identitäten angeblich normieren und damit vernichten wollen; die "EU-Bürokraten", so die Mär, vertreten außer ihren eigenen nur die Interessen der Großindustrie; die Bedürfnisse "der kleinen Leute" würden "von Brüssel" skrupellos geopfert.

Und wenn sie an der Macht sind...

Diese "Schuld sind"-Rhetorik kommt gut an. Fast überall in Europa legen rechtsnationalistische Parteien zu. In etlichen Staaten - so in Litauen, Lettland, Slowakei, Finnland, Griechenland und in den Nicht-EU-Staaten Schweiz und Norwegen - sitzen oder saßen die Newcomer vom rechten Rand schon mit am Kabinettstisch.

In Polen regiert seit vorigen Herbst die von den Kaczynski-Zwillingsbrüdern gegründete katholisch-nationalistische Partei Prawo i Sprawiedliwosc, übersetzt: Recht und Gerechtigkeit. Die eifert, wie es aussieht, dem nach, was in Ungarn ein besonders ausgefallenes und erfolgreiches Exemplar des populären Nationalismus nun schon in dritter Amtszeit anrichtet.

Viktor Orbán, Chef des Bürgerbundes Fidesz, hat die Presse seines Landes praktisch gleichgeschaltet, gängelt die Justiz. Viviane Reding, Luxemburger Europapolitikerin und ehemalige EU-Kommissarin spricht von einer "Putinisierung". In Ungarn geschehe "das Gegenteil von alledem, was wir in Europa aufgebaut haben". An Ungarns Grenze werden Frauen und Kinder mit Tränengas beschossen. Dafür steht in der neuen Verfassung viel von Gott, Vaterland und Nationalstolz.

Auch Kroatien ist nach 100 Tagen rechtsnationalistischer Regentschaft auf strammem Rechtskurs. Dort geht es zuerst gegen die Medien, werden Journalisten ausgetauscht und eingeschüchtert. Kritik ist unerwünscht, da wo die Rechtsnationalisten regieren.

Verständlich, denn ihre politische Masche taugt ja nur, solange sie nicht regieren. Solange können sie die Ängste der Bürger aufgreifen, sie weiter schüren - ohne selbst aktiv werden zu müssen. Wenn sie erst an der Regierung sind, ist der Lack schnell ab.

Das dürfte sich exemplarisch zeigen, wenn Marine Le Pen mit ihrem Front National die nächsten Wahlen gewinnt, was ja durchaus vorstellbar ist. Das Meiste aus ihrem umfangreichen Programm - Nationalisierung der Banken, Schutzzölle für die heimische Landwirtschaft, Umbau oder Austritt aus der EU - wäre nicht realisierbar, ohne dass Frankreich schweren Schaden nähme. Den Franzosen würde es schlechter gehen, nicht besser.

Und wie sähe es im Land von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" aus, wenn dort alle illegal eingereisten Ausländer umgehend weggeschafft würden? Eine Legalisierung, ein nachträgliches Bleibe- oder Asylrecht wird ausgeschlossen. Organisationen, die sich für die Rechte Fremder einsetzen, werden verboten. Das Wahlprogramm muss schnell vergessen werden, oder das Land wird schrecklich inhuman.

Krawatte statt Springerstiefel

Auf dem Weg zur Macht geben sich die neueren Parteien und Bewegungen ganz anders als ihre Vorläufer. Die extreme Rechte der Fünfziger- und Sechzigerjahre war meist neofaschistisch oder revisionistisch. Sie wollte einen anderen Staat, eine andere Ordnung. Ihre Wortführer und noch mehr ihre Anhänger kamen gern als plump-gewalttätige Umstürzler daher und machten den Bürgern Angst. Die gibt es immer noch, sie machen immer noch Randale, haben aber in den meisten EU-Ländern heute wie früher keine Chance auf eine breitere Unterstützung. Es ist das hässliche Gesicht der Rechten, das will die bürgerliche Mitte nicht wählen.

Die modernen Rechtsparteien, die sich in Westeuropa seit den Siebzigerjahren, im Osten seit den Neunzigerjahren entwickelten, haben keine Glatzköpfe, tragen keine Springerstiefel - sie tragen Krawatte, Kostümchen und Schminke. Sie geben sich zeitgemäß, pragmatisch und anpassungsfähig.

Sie wollen die Demokratie nicht abschaffen, sie wollen sie "wehrhaft" machen, behaupten sie. Um alles das zu verteidigen, was durch Modernisierung und Globalisierung angeblich in Gefahr ist: der Job, die Rente, die Heimat, in der man sich wohl und daheim fühlt, das Schrebergartenidyll im Zentrum der City. Klingt harmlos. Ist es leider überhaupt nicht.

Ratlos am Gartenzaun stehen derweil die sozial- oder christdemokratischen Parteien neben den liberal oder ökologisch getönten Wahlvereinen. Sie beschimpfen die neue Konkurrenz als Populisten, so als ob sie nicht schon längst selbst welche wären. Oder sie kopieren ganz ungeniert manches aus dem Arsenal der Nationalisten. Denn vieles von dem ist ja genau das, was auch ihre Wähler gern hätten. Und sie trauen sich einfach nicht, den Wählern zu sagen, dass es so nicht geht mit der Lösung globaler Schwierigkeiten. Nicht, wenn sie regieren, und nicht, wenn die rechten Wunder-Versprecher regieren.

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