Rechtsruck in Österreich Radikale Watschen für die Volksparteien

Es ist mehr als ein Denkzettel für Österreichs ÖVP und SPÖ, es ist eine historische Niederlage: Erstmals sind beide Parteien unter 30 Prozent. Freuen können sich die Rechtsparteien FPÖ und BZÖ. Sie profitieren von koalitionärem Dauerzoff und Politzirkus.
Von Marion Kraske

Wien - Er tut das, was er am besten kann: Strahlen. Werner Faymann streckt seinen Kopf in die Höhe und schaut ins Publikum. Im SPÖ-Festzelt nur wenige Meter vom Burgtheater entfernt, klatschen sie wie wild in die Hände. Aus den Lautsprechern dröhnt jetzt "Don't stop thinking about tomorrow", Faymann steht auf der Bühne und lässt sich feiern. Er trägt einen dunklen Anzug, dazu eine grau-blaue Krawatte, er sieht vornehm aus. Gerührt blickt er in die Runde. "Wir wollen", sagt er unter lautem Applaus, "eine Regierung bilden".

Werner Faymannn hat geschafft, was vor wenigen Wochen selbst loyale Parteianhänger nicht für möglich hielten: Er hat die Sozialdemokraten erneut zur stärksten Kraft in Österreich gemacht. Das war nicht unbedingt zu erwarten. Als ÖVP-Chef Wilhelm Molterer im Sommer mit den Worten "Es reicht" die zerrüttete Große Koalition aufkündigte, sah es zunächst so als, als ob die Roten davon eiskalt erwischt würden. Die Prognosen waren schlecht. Zu schwach hatte sich der Kanzler Alfred Gusenbauer im Amt behauptet, zu konturlos, zu nachgiebig hatte er gegenüber dem schwarzen Koalitionspartner agiert.

Es folgte eine rote Palastrevolution, Gusenbauer wurde von den eigenen Genossen regelrecht gemeuchelt, Faymann trat seine Nachfolge an - als Parteichef und als Spitzenkandidat. Und eben dieser Faymann, dieser smarte Dauerlächler mit der graumelierten Jungenfrisur, startete mit einem populistischen Großangriff. Er verkündete einen neuen, EU-kritischen Kurs. Er versprach das Blaue vom Himmel, alle sollten von seiner Gießkannenpolitik profitieren, die Familien, die Studenten, Pflegebedürftige und Rentner.

Die Gewinner als Verlierer

Es hat gewirkt. Die SPÖ konnte sich gerade noch behaupten. Mit einem Ergebnis, das allerdings auch den jubelnden Genossen im Festzelt schwer im Magen liegt. Immerhin, mit 29, 7 Prozent verloren die Roten gegenüber der Wahl 2006 rund 5,6 Prozent, eigentlich ein erbärmliches Ergebnis. Es wird allerdings gemildert durch das noch schlechtere Abschneiden der ÖVP. Deren Spitzenkandidat, der biedere und wenig charismatische Wilhelm Molterer, musste mit 25,6 Prozent die wohl bitterste Pille dieser Wahl schlucken. Und das, obwohl sich der Konservative, als er Neuwahlen ausrief, seines Sieges so sicher war.

Keine der Großparteien kommt nach derzeitigem Stand - das Endergebnis wird erst am 6. Oktober feststehen - auf mehr als 30 Prozent. Damit brachte die Wahl ein historisches Novum hervor. Es zeigt, dass die österreichischen Großparteien in einer veritablen Krise stecken. Beide wurden vom Wähler abgewatscht, radikal.

Freilich nicht ohne Grund: Die letzten zwei Jahre unter Rot-Schwarz waren eine einzige Zumutung, auf dem Programm: politischer Dauerzoff, permanenter Politzirkus. Der Hass, die Abneigung zwischen Roten und Schwarzen war in dieser Zeit größer als die Verantwortung für das Land. Das Wahlvolk nahm es übel.

Triumph in Blau

Und so feierten am Sonntagabend andere einen fulminanten Sieg, etwa Heinz-Christian Strache, Chef der rechtsradikalen Freiheitlichen Partei Österreichs. Im FPÖ-Zelt nur wenige Meter vom Rathaus entfernt, steht der 39-Jährige unter einem Meer von blauen Luftballons, wie immer ist er ein Tick zu nass gegelt, die stahlblauen Augen blicken seltsam glasig. Es sei ein "historischer Erfolg", schreit Strache heiser ins Mikrofon, und die Jüngelchen mit Schmiss an der Backe, die Rentner im gestrickten Pullover, die falschen Blondinen klatschen wie wild Beifall. "Die Große Koalition", triumphiert ihr Held, sei nicht nur abgestraft, sondern abgewählt.

Bei der letzten Wahl 2006 landeten die Freiheitlichen noch bei bescheidenen 11,04 Prozent, hinter den Grünen. Nun ist alles anders. Straches FPÖ, in der sich deutsch-nationale Burschenschaftler und andere Rechtsradikale tummeln, erreicht stolze 18 Prozent. Als drittstärkste Kraft werden die Blauen so zum Machtfaktor, der für die großen Parteien überaus attraktiv werden könnte.

Strache gar als Königsmacher? Er, der in frühen Jahren mit bekannten Neonazis in Kärntens Wäldern an paramilitärischen Spielchen teilnahm und die Nähe zur inzwischen verbotenen rechtsextremistischen Wiking-Jugend einräumen musste, mimt jedenfalls den Saubermann und stellt den Anspruch, an einer künftigen Regierung maßgeblich beteiligt zu werden, selbst das Kanzleramt sei von Interesse, lässt er großspurig wissen. Zugezogene, Migranten, Asylanten - sie müssten sich indes auf einiges gefasst machen. Und mit ihnen das politische System im Alpenstaat. Denn Strache ist kein Mann des Ausgleichs, er liebt die wortgewaltige Hetze. Mal wettert er gegen das "EU-Verfassungsdikatat", mal gegen den "Globalisierungswahnsinn", und liebend gerne gegen Ausländer.

Was geschieht, wenn sich die Lager zusammenschließen?

Doch Strache steht mit seinen Zugewinnen keineswegs allein, auch sein einstiger Mentor, Jörg Haider, konnte vom Politfrust der Österreicher profitieren: Der Kärntner landete mit seinem BZÖ auf 11 Prozent und konnte damit seinen Stimmenanteil fast verdreifachen. In der Zukunftsakademie in Wien feierten seine Anhänger, darunter viele adrette Männer in schicken Designer-Anzügen, ausgelassen den Sieg, mit Bier und belegten Schnittchen. Haiders Ergebnis – es ist eine der großen Überraschungen dieser Wahl.

Zwar sind die beiden einstigen Weggefährten, Haider und Strache, heillos zerstritten. Strache wirft dem einstigen Ziehvater Verrat an den Freiheitlichen vor. Nach einem Streit hatte der Kärntner das FPÖ 2005 verlassen und trotzig das BZÖ gegründet. Schon fragen sich allerdings Beobachter im politischen Wien, was geschieht, wenn die beiden Kontrahenten die trennenden Gräben zuschütten und sich zu einem Bündnis, etwa nach Vorbild von CDU und CSU, zusammenschließen? Sie könnten das Machtgefüge im Alpenstaat gehörig durcheinanderwürfeln.

Zusammen kämen FPÖ und BZÖ auf etwa 29 Prozent – und wären damit auf Augenhöhe mit der SPÖ. Das dritte Lager, wenn auch aufgeteilt auf zwei Parteien, ist damit so stark wie nie. Ja, es ist sogar besser aufgestellt als 1999, als Haider die Freiheitlichen mit 27 Prozent zur zweitstärksten Kraft machte.

Rechte Versuchung

Doch was folgt aus diesem Rechtsruck? Können die Großparteien dieser Versuchung widerstehen? Dieser lockenden Macht am rechten Rand? Denn es ist ja wahr: Eine Neuauflage von Rot-Schwarz scheint wenig attraktiv, zu tief sind die Trennungslinien, zu groß die Verachtung gegenüber dem bisherigen Koalitionspartner. Das letzte Fernsehduell von Molterer und Faymann war nur ein neuerlicher Beleg dafür, wie wenig die beiden Spitzenkandidaten der nunmehr auf Mittelmaß gestutzten Großparteien miteinander können. Permanente Angriffe unter die Gürtellinie, verbale Attacken und Unterbrechungen - eine Unterhaltung zwischen künftigen Koalitionären sieht wohl anders aus.

Im Wahlkampf hatte Faymann bereits klargemacht: Ein Wiederaufleben von Rot-Schwarz gebe es ohnehin nur ohne den sperrigen Molterer. Wenn der aber nun partout nicht seinen Platz räumen will, was dann? Dann müssen andere Lösungen her.

Faymann für seinen Teil hat eine Regierung mit FPÖ und BZÖ am Wahlabend kategorisch ausgeschlossen. Dann bliebe der SPÖ, die von Bundespräsident Heinz Fischer wohl mit der Regierungsbildung beauftragt werden wird, nur noch die Bildung einer Minderheitsregierung.

Und die ÖVP, jene Partei, die am Sonntagabend wie keine andere Wunden lecken musste angesichts des desaströsen Ergebnisses? Immerhin, schon einmal hat die Volkspartei bewiesen, dass sie auch ungewöhnliche Wege zu gehen bereit ist. Nach der Wahl 1999 landete der einstige Vorsitzende Wolfgang Schüssel einen historischen Coup: Als drittstärkste Kraft holte er die Haider-FPÖ in die Regierung und schnappte nicht nur den Sozialdemokraten das Kanzleramt vor der Nase weg, er beendete damit auch die jahrzehntelange Tradition rot-schwarzer Regierungen in Österreich.

Jahrelang brüstete sich Schüssel damit, dass er durch die Einbindung der Blauen in die Regierung den Rechtspopulismus samt ihrer Leitfigur Haider entzaubert habe. Der Wahlausgang belehrt ihn eines Besseren.

Mitarbeit: Stefan Domnanovich

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