Referendum im Südsudan "Jetzt geht es um Leben und Tod"

Ganz Afrika schaut auf diese Entscheidung - der Südsudan will per Referendum zum eigenen Staat werden, die christlichen Einwohner hoffen nach jahrzehntelanger Unterdrückung endlich auf Freiheit. Doch sie riskieren viel: einen Grenzkrieg, wirtschaftliches Chaos und noch tiefere Armut.
Referendum im Südsudan: "Jetzt geht es um Leben und Tod"

Referendum im Südsudan: "Jetzt geht es um Leben und Tod"

Foto: KHALED DESOUKI/ AFP

Sudan

Sabri reichen zwei kleine Koffer und eine Plastiktüte, um mit seinem bisherigen Leben abzuschließen: Der 26-jährige Student hat sein bestes Hemd angezogen, das Gepäck genommen und sich an einem Donnerstag in Khartum, der Hauptstadt des , in ein Flugzeug gesetzt.

Zwei Flugstunden weiter südlich, in Juba, ist er ausgestiegen, und nun sitzt er vor dem Flughafengebäude im Schatten und wartet. Auf einen Bekannten, einen barmherzigen Chauffeur oder überhaupt eine glückliche Fügung. Sabri hat noch umgerechnet fünf Euro in der Tasche, zu wenig für ein Taxi zum Haus seiner Mutter.

Seit fünf Jahren hat er seine Heimatstadt nicht mehr gesehen. Aber Sabri kennt das Warten. In Khartum haben sie ihn, den Studenten aus dem Süden, zuletzt oft und gerne warten lassen. Sie haben ihn gehänselt, gepiesackt, schikaniert. Als er sich vor ein paar Tagen das Einwegticket nach Juba gekauft hat, gab es den üblichen Studentenrabatt für ihn plötzlich nicht mehr.

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Südsudan: Auf gepackten Koffern

Foto: KHALED DESOUKI/ AFP

Sabri bekam Drohungen: "Wenn ihr euch abspaltet, bringen wir euch um." Regierungszeitungen haben Leute wie Sabri als "unwillkommen" und "illegale Ausländer" bezeichnet. Sabri nimmt die Hinweise ernst: Schon zweimal, 1964 und zuletzt 2005, wurden in Khartum Menschen aus dem Süden gejagt. Sabri hat Forstwirtschaft studiert, aber am Ende haben sie ihm das Abschlusszeugnis nicht gegeben. Weil er aus dem Süden stamme, weil er ja nur verreise, um für die Unabhängigkeit des Südens zu votieren. "Wirst schon sehen, was du davon hast", haben sie ihm hinterhergerufen.

Hunderttausende sitzen auf gepackten Koffern

Viele Südsudanesen haben sich auf den Weg gemacht, mit dem Flugzeug wie Sabri, in Bussen, auf Frachtkähnen den Nil hinauf. Umgekehrt sind Tausende Muslime in Richtung Norden aufgebrochen.

Doch der eigentliche Exodus steht noch bevor: Rund zwei Millionen Südsudanesen leben noch im Norden. Hunderttausende von ihnen sitzen auf gepackten Koffern. Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen rechnet mit knapp 400.000 Flüchtlingen, die demnächst in den Süden ziehen werden.

Die Stimmung ist angespannt im Sudan, Afrikas größtem Flächenland. Vom kommenden Sonntag an, eine Woche lang, entscheidet der Süden in einer Volksabstimmung, ob er sich abspalten will vom Norden. Und wenn nicht alles täuscht, ist der Südsudan dann der 55. Staat Afrikas.

Ganz Afrika schaut auf die Entscheidung. In dieser Woche noch waren die Staatschefs Husni Mubarak (Ägypten), Muammar al-Gaddafi (Libyen) und Mohamed Ould Abdel Aziz (Mauretanien) in Khartum, um die Lage zu sondieren und vor allem zwei Dinge zu vermeiden - einen neuen Krieg und weitere Abspaltungen im Sudan.

40 Jahre lang führten der muslimische Norden und der eher christliche Süden gegeneinander Krieg. Es war stets auch ein Konflikt zwischen den arabischstämmigen Völkern und den Niloten. Jahrhunderte lang hatte der Norden im Süden Sklaven gejagt und auch später nie etwas zu seiner wirtschaftlichen Erstarkung getan. Vier Dekaden, die über zwei Millionen Menschen das Leben kosteten. 40 Jahre, die den Süden, der mit viel Wasser, fruchtbaren Böden und vor allem Erdöl gesegnet ist, in eine der tristesten Elendsregionen der Welt überhaupt verwandelt hat. 2005 schlossen beide Seiten ein Friedensabkommen. In dem Vertrag einigten sich beide Seiten auf eine Volksabstimmung im Süden, sollte es nicht Fortschritte in Richtung Einheit geben.

Staatschef al-Baschir rechnet mit einer Abspaltung des Südens

Umar al-Baschir

Doch die gab es nicht, im Gegenteil. Der Norden tat nichts, um dem Süden den Gesamtstaat schmackhaft zu machen. Straßen, Brücken, Bildung, Gesundheit: Der Süden blieb sich selbst überlassen. Auch die Besuche von Staatschef blieben eine Rarität.

Nun also wird das Volk befragt, und die Stimmung ist eindeutig. Selbst al-Baschir hat das erkannt. Bei einem Besuch Anfang der Woche in Juba erklärte er, er würde eine Abspaltung des Südens bedauern - aber er würde sie akzeptieren. Und er ließ ungewohnte Einsicht erkennen: "Der Versuch, die Einheit mit Gewalt zu bewahren, ist gescheitert."

Das klingt recht friedfertig. Und doch sind, obwohl seit Monaten zwischen Nord und Süd verhandelt wird, entscheidende Fragen noch längst nicht geklärt: Wie sieht es künftig aus mit der Staatsangehörigkeit, mit den Wanderrechten für die Nomaden, wer darf das Nilwasser nutzen, wer muss die Altschulden übernehmen, vor allem aber: Wo verläuft die Grenze, und wie werden die Öleinnahmen geteilt? Ja, auch der Name eines neuen Südstaates steht noch nicht fest.

Insbesondere in der Region Abyei droht die Situation zu eskalieren. Abyei liegt ziemlich genau auf der Grenze und Norden und Süden erheben gleichermaßen Anspruch - nicht zuletzt, weil es dort Ölfelder gibt. Die Lage ist verzwickt, denn in Abyei wohnen mehrheitlich christliche Dinkas, aber auch die Misseryia-Nomaden mit ihren Viehherden und traditionellen Bindungen in den Norden ziehen regelmäßig durch die Region. Es gab ein Übereinkommen, dass die Bewohner der Region selbst über ihre Zukunft entscheiden sollen - bis der Norden sich daran nicht mehr halten wollte. Nun ist das Referendum in Abyei ausgesetzt, aber viele im Süden, insbesondere die Dinkas, die dominierende Ethnie des Südens, wollen Abyei auf keinen Fall preisgeben.

"Diesmal kommen sie für immer"

Und natürlich spielt im Sudan immer das Öl eine Rolle. Das Land ist zum drittgrößten Produzenten Afrikas aufgestiegen. Der Norden lebt zu 85 Prozent, der Süden sogar zu 95 Prozent von den Öleinnahmen. Derzeit werden die Einnahmen etwa hälftig geteilt. Das soll sich ändern, sagen sie im Süden. "Der Norden wird nicht auf Dauer 50 Prozent behalten können", sagt Majok Guandong, der aus dem Süden stammende Sudan-Botschafter in Nairobi. Er wird nach dem Referendum wohl in die Regierung von Südpräsident Salva Kiir einziehen. "Der Norden erhebt doch auch Anspruch auf 15 Universitäten, Bibliotheken oder Stadien, und wir machen ihm das nicht streitig", sagt der eloquente Sprecher der SPLM-Jugendbewegung, Akol Kordit. "Die 50:50-Regelung ist keine Lösung, die auf Dauer Bestand haben wird", verkündet auch der Minister für Frieden und die Umsetzung des gemeinsamen Abkommens, Pagan Amum.

Das Problem daran: Der Süden sitzt zwar auf dem Öl, der Norden aber hat die Herrschaft über die Pipelines und die Raffinerien. Nur wenn das Öl in den Hafen von Port Sudan weitergeleitet, raffiniert und exportiert wird, kommt auch der Süden an seine Devisen. Das heißt: Beide Seiten sind bedingungslos aufeinander angewiesen. Einigen sie sich nicht, versiegt das Öl als Einnahmequelle.

Hauptsache Muslim?

Und trotz der gegenseitigen Abhängigkeit hält das Land nicht mehr viel zusammen. In Malakal, einer der größten Städte des Südens, am Nil gelegen, empfängt der anglikanische Bischof Hillary Garang im Schatten seines leerstehenden Schulhauses. Es ist Sonntag, nebenan beginnen die Vorbereitungen zum Gottesdienst.

Vier Schulen betreibt seine Kirche in Malakal. Seit 2003 ist er in der Stadt. "Die Regierung in Khartum wollte islamische Schulen aufbauen", sagt der Bischof, "da mussten wir gegenhalten". Auch sonst fällt ihm nicht viel Gutes zu den Muslimen und zur Regierung in Khartum ein. "Die haben Chauffeure zu Bürgermeistern gemacht, Hauptsache, er war ein Muslim."

Einige Südstaatler seien nach dem Friedensschluss 2005 aus dem Norden nach Malakal gekommen, aber der Anschluss sei ihnen schwer gefallen. Das werde sich jetzt ändern. "Jetzt geht es um Leben und Tod. Diesmal kommen sie für immer."

Grund zur Sorge hat auch Dominique Awol. Der Veterinärmediziner, der auch schon für die "Tierärzte ohne Grenzen" im Einsatz war, lebt ganz im Norden des Südsudan, in Renk. Es ist die letzte Stadt vor der Grenze, und Renk steht unter Druck. Aus dem Norden ziehen Flüchtlinge in Richtung Süden, umgekehrt haben auf dem Basar der Stadt eine Reihe arabischer Händler ihre Läden geschlossen und sich auf den Weg nach Norden gemacht.

Die teuerste Armee in ganz Ostafrika

Beide Seiten haben Panzer in der Region zusammengezogen. Es gab Schießereien, die Uno musste schlichten. "Klar haben wir Angst", sagt Awol. "Wenn der Norden seine schwere Artillerie einsetzt, liegt Renk in Reichweite." Etwa ein Drittel der Bewohner von Renk sind Muslime, zudem ziehen zweimal pro Jahr Nomaden mit ihren Herden durch die Region. Zwei Drittel der Zeit halten sie sich im Süden auf, auch von ihnen wollten sich viele für das Referendum registrieren lassen, aber in Juba ließ man sie nicht zu. Muslime sind mehr denn je unsichere Kantonisten für die Regierung des Südens.

Um den 18. Januar herum ist mit dem Ergebnis zu rechnen, und das wird wohl eindeutig sein. Es gibt nicht viele in der Hauptstadt, denen bewusst ist, dass die eigentliche Herausforderung erst dann beginnt.

Akol Kordit, 34, gehört zu ihnen. Seit drei Jahren ist er Chef der Jugendbewegung der Regierungspartei SPLM. Hinter seinem Rücken hängen Präsident Salva Kiir und John Garang an der Wand, der langjährige visionäre Anführer der Südrebellen. Garang hatte nie von einem eigenen Südstaat geträumt, eher von einem Gesamtstaat, in dem die Südstaatler gleiche Rechte besitzen sollten. Er kam 2006 bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben, davor gehörte Kordit zu seinen Schützlingen.

Kordit jedenfalls gehört zu den wenigen, die in der Jetzt-Zeit angekommen zu sein scheinen. Nicht nur weil er im Ausland studiert hat. Auf seinem Tisch steht ein Apple-Laptop, daneben liegt die Biografie von Tony Blair.

"Wir sind alle aus dem Busch gekommen"

Auch er hat einst mit dem Gewehr für die Rebellen gekämpft, bevor er später Elektrotechnik studierte. "Wir sind alle aus dem Busch gekommen, und wir hatten wahnsinnig viele Herausforderungen auf einmal", sagt er. "Aber nach dem Referendum darf es so nicht weitergehen." Die SPLM habe kein ideelles Fundament, keine gemeinsamen Werte außer dem Ziel der Unabhängigkeit. Er sagt selbstkritische Sätze wie: "Wenn die SPLM nicht mehr regiert, hält uns nichts mehr zusammen." Und er räumt ein, dass wohl ein Teil der Öleinnahmen versickert sei und dass "die Law-and-Order-Politik der vergangenen Jahre uns viel Geld gekostet hat".

Tatsächlich unterhält die Regierung in Juba die teuerste Armee in ganz Ostafrika, im Fall der Unabhängigkeit werden wohl Zehntausende ehemalige Kämpfer ausgemustert werden.

Kordit weiß, dass die Zukunft steinig werden wird. Aber noch dominiert im Süden der Traum von der Unabhängigkeit und von einem vermeintlich besseren Leben. "Genug ist genug", sagt Sabri, der Student am Flughafen von Juba.

Die Zukunft ist auf später verschoben.

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