Referendum über Sparpaket Griechischer Poker düpiert Euro-Retter

Merkel, Sarkozy, Papandreou: Riskantes Referendum
Foto: Yves Logghe/ APBerlin/Paris - Sie hatten auf einen ruhigen Wochenbeginn gehofft, endlich einmal, schließlich stecken die dramatischen Stunden des letzten Rettungsgipfels allen noch in den Knochen. Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone glaubten, die Strapazen hätten sich gelohnt, die Aufregung an den Finanzmärkten hatte sich gelegt, ein Schritt zur Stabilisierung der gemeinsamen Währung schien mit den Beschlüssen von Brüssel gemacht.
Doch mit der Ruhe ist es schon wieder vorbei, dank neuer Hiobsbotschaften aus Athen. Diesmal allerdings sind es nicht etwa schlechte Zahlen zum griechischen Schuldenstand, die Europa und die Börsen in Alarmstimmung versetzen. Premierminister Georgios Papandreou will sein Volk den jüngsten Schuldendeal mit der Europäischen Union absegnen lassen - ein riskantes Unterfangen mit höchst ungewissem Ausgang. Die Märkte reagierten sofort: Nach der Erholung der letzten Woche stürzten die Kurse ab, der Dax fiel am Vormittag um über fünf Prozent, der französische Index brach ein, Bankwerte wie Crédit Agricole, BNP oder Société Générale, die durch ihre Verbindungen mit Griechenland besonders exponiert sind, verloren zwischen zehn und zwölf Prozent.
Dass die Euro-Partner sich zunächst kaum in der Lage sahen, Papandreous Pläne zu kommentieren, hatte weniger damit zu tun, dass auf dem halben Kontinent Feiertag war. Die Regierungen wurden schlichtweg kalt erwischt. Auch wenn in Brüssel erzählt wird, der griechische Premier habe eine mögliche Volksabstimmung beim jüngsten Krisengipfel als Option genannt, um sich ein breites Mandat für den Rettungskurs zu holen - gerechnet hat damit offenbar niemand. Und Papandreou informierte seine Kollegen auch nicht über seinen Schritt. Ein Affront angesichts der Kraftanstrengungen, die zur Rettung der von der Pleite bedrohten Hellenen unternommen werden.
Und so herrscht in den europäischen Hauptstädten am Dienstag Verunsicherung und Ärger. Schwedens Außenminister Carl Bildt schrieb in einer Twitter-Botschaft: "Es gelingt mir wirklich nicht zu verstehen, worüber Griechenland ein Referendum haben will. Gibt es denn echte Optionen?" Finnlands Europaminister Alexander Stubb erklärte: "Die Situation ist so angespannt, dass es im Prinzip eine Abstimmung über die Euro-Mitgliedschaft wäre." Großbritanniens Finanzminister George Osborne warnte vor einem Scheitern der Griechen-Rettung.
"Keine offiziellen Informationen"
Aus dem Berliner Kanzleramt und dem Pariser Elysée-Palast, den Regierungszentralen der beiden treibenden Kräfte der Euro-Rettung, war bis zum Mittag keine offizielle Stellungnahme zu vernehmen. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums hatte am Montagabend lediglich überrascht von einer "innenpolitischen Entwicklung in Griechenland, über die der Bundesregierung bisher noch keine offiziellen Informationen vorliegen", gesprochen. Das französische Präsidialamt teilte mit, Präsident Nicolas Sarkozy und Kanzlerin Angela Merkel würden die neue Lage am Telefon miteinander besprechen.
Es wird ein neuerliches Krisengespräch, so viel ist klar. Die "Geste Griechenlands ist irrational und gefährlich", zitiert das Blog L'Elysée côté jardin einen Berater des französischen Präsidenten. Die Verärgerung in Paris ist verständlich: Durch Papandreous einsame Entscheidung wird nicht nur der mühsam gestrickte Kompromiss von Brüssel wieder in Frage gestellt - sie bringt auch den gesamten politischen Fahrplan des Präsidenten durcheinander. Merkel und Sarkozy vereinbarten in ihrem Telefonat, sich noch vor dem eigentlichen G-20-Gipfel in Cannes zu treffen. Nun stehen beide - die Kanzlerin und der Präsident - wieder im Fokus der Weltöffentlichkeit.
Ursprünglich wollte sich Sarkozy nach der Rettung des Euro vergangene Woche in Cannes beim Treffen der G-20-Staaten als Staatsmann profilieren, der die internationale Gemeinschaft mit diplomatischem Geschick aus der Krise führt. Jetzt könnte sich der Gipfel am kommenden Donnerstag in neuem Euro-Streit verstricken. Das strategisch geplante PR-Manöver, kalkuliert gerade auch mit Hinblick auf die Wahlen im nächsten Frühjahr, wird durch die Mitteilung von Papandreou zur Makulatur. Papandreou selbst, so wurde in Athen bekanntgegeben, will nun ebenfalls am G-20-Treffen teilnehmen - und seinen Referendumsplan erläutern.
Telefonate und Verständnis für Papandreou
Wie überall in der Eurozone, so herrscht auch in Berlin große Unruhe. In Regierungskreisen wird die Entscheidung aus Athen mit vielen Fragen versehen. Wenn es tatsächlich zum Referendum komme, sei damit nicht vor dem Frühjahr 2012 zu rechnen, heißt es. Dies aber bedeute eine lange Phase der Unsicherheit, insbesondere auf den Märkten. Auch rätselt man, über was Papandreou konkret abstimmen lassen will. Die Bedingungen für den Schuldenschnitt und die Modalitäten für eine Aufstockung des EFSF-Rettungsfonds würden derzeit schließlich erst ausgehandelt.
Damit verbunden ist eine zentrale Sorge: Würden sich die Banken auf einen Schuldenschnitt überhaupt einlassen, wenn zugleich darüber das Damoklesschwert eines Nein beim Referendum schwebe? Und was macht der Internationale Währungsfonds, dessen Plazet zur Bewilligung der nächsten Tranche noch ausstehe?
Am Dienstag wurde viel telefoniert - Merkel sprach von Berlin aus auch mit Papandreou, Außenminister Guido Westerwelle von Istanbul aus, wo er an der internationalen Afghanistan-Konferenz der Außenminister teilnimmt, mit seinem Amtskollegen Stavros Lambrinidis. In dem Gespräch habe Westerwelle unterstrichen, dass es im Interesse Griechenlands und der Stabilität des Euro notwendig sei, die auf dem Euro-Gipfel befassten Beschlüsse umzusetzen, so ein Sprecher anschließend. Europa müsse geschlossen und konsequent handeln, um die Schuldenkrise zu bewältigen. Das, so wurde Westerwelle weiter zitiert, verlange europäische Solidarität, aber ebenso die notwendigen Eigenanstrengungen jener Länder, die Probleme mit Schulden haben.
Bei aller Unsicherheit - es gibt auch Verständnis für den sozialistischen Premier, selbst in Kreisen der Koalition. "Der Plan für das Referendum zeigt, dass Papandreou es mit der Sparpolitik und den Reformen ernst meint", versucht der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier (CDU), der überraschenden Ankündigung etwas Gutes abzugewinnen. Man hofft, das Poker-Spiel des griechischen Premierministers könnte am Ende gut ausgehen und nicht nur dessen eigene Reihen disziplinieren, sondern womöglich auch die konservative Opposition zu Vernunft bringen, die sich bislang standhaft der dringend nötigen Sanierung der Staatsfinanzen verweigert. CSU-Europapolitiker Manfred Weber forderte die konservative Schwesterpartei Nea Dimokratia in der "Welt" auf, "ihre kleinkarierten Spielchen aufzugeben".
Auch Papandreous europäischen Parteifreunde glauben an einen Versuch, seine Gegner dazu zu bringen, Farbe zu bekennen. Papandreou sei seit Monaten einer "Blockadepolitik seiner konservativen Opposition" ausgesetzt, die er nun offenbar durchbrechen wolle, sagt der sozialistische Fraktionschef im Europaparlament, Martin Schulz. "Er will die Opposition zwingen, den Rettungskurs mitzutragen, und für sich ein Mandat vom Volk holen. Das kann ich nachvollziehen." Schulz appellierte an Kanzlerin Merkel, sich in die innergriechische Debatte einzuschalten. Sie müsse den Druck auf ihre Schwesterpartei in Athen nun schleunigst erhöhen.
Das allerdings hat schon in den vergangenen Monaten keine Wirkung gezeigt. Und dass sich daran etwas ändert, ist nicht zu erwarten. In einer ersten Reaktion wies der konservative Oppositionsführer Antonis Samaras den Vorschlag für ein Referendum zurück. Ausgerechnet Samaras warf Papandreou vor, mit seinen Plänen für einen Volksentscheid die Mitgliedschaft Griechenlands in der EU aufs Spiel zu setzen. Seine Partei werde solche "opportunistischen Experimente" nicht mitmachen.