Regierungskrise in Argentinien Katerstimmung bei Kirchners

Hamburg - Die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner fürchtet keine Konfrontation. Sie hat sich selbst einmal als "Evita mit geballter Faust" bezeichnet - eine Anspielung auf die beliebte Gattin des Diktators Perón. Doch die Sympathien des Volkes hat Kirchner schon lange nicht mehr. Sie kämpft an vielen Fronten. Der jüngste Konflikt schwelt an einem altbekannten Schauplatz: den Falklandinseln.
Kirchner protestierte energisch gegen geplante Ölbohrungen britischer Firmen vor der Küste. Auf Worte folgten Taten: Per Dekret veranlasste sie am Dienstag, dass Schiffe bei argentinischen Behörden eine Genehmigung einholen müssen, wenn sie zwischen dem Festland und den Inseln verkehren. So sollen die "Interessen der Argentinier" verteidigt werden, betonte die Regierung. Außenminister Jorge Taiana sprach von einer "Verletzung der Souveränität".
Vor wenigen Tagen wurde dem Schiff "Thor Leader" untersagt, aus dem Hafen Campana auszulaufen, weil argentinische Behörden den Verdacht hegten, es könne Rohre für Gas- und Ölbohrungen transportieren. Die Ressourcen um die in "Malvinas" genannten Inseln werden auf bis zu 60 Milliarden Barrel geschätzt.
Heute geht es um Öl, früher ging es um Land. Denn der Streit um die Falklandinseln schwelt bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Der Archipel gehört zu Großbritannien, wird aber auch auch von Argentinien beansprucht. 1982 wollte die argentinische Militärregierung die rauen Inseln einnehmen, unterschätzte aber die britische Regierung. Diese schickte Schiffe, Hubschrauber und Soldaten, die das Gebiet nach zehn Wochen zurückeroberten. Es war ein verlustreicher Krieg: Fast tausend Menschen starben.
"Das Blut in Wallung bringen mit einem lauten Krach"
Doch weder in Buenos Aires noch in London rechnet man nun ernsthaft mit einer kriegerischen Auseinandersetzung - obwohl die Opposition in England lautstark eine höhere Militärpräsenz fordert und Zeitungen melden, die Royal Navy entsende zusätzliche Kriegsschiffe. Das britische Verteidigungsministerium hat solche Berichte zurückgewiesen. Premier Gordon Brown pochte zwar auf das Recht auf Ölbohrungen, sagte aber, dass die Bevölkerung "ausreichend geschützt" sei.
Die Verlockungen des Öls sind groß. Für aber könnte die Aussicht noch reizvoller sein, mit dem emotional aufgeheizten Falkland-Konflikt von innenpolitischen Problemen abzulenken. In Umfragen ist die Beliebtheit Kirchners auf 20 Prozent abgestürzt. Bei der Parlamentswahl hat ihre peronistische Partei PJ 2009 in beiden Kammern die Mehrheit verloren. Im kommenden Jahr finden Präsidentschaftswahlen in Argentinien statt.
"Was wäre besser, um das Blut in Wallung zu bringen und die Wähler an die Urnen zu treiben, als ein lauter, leidenschaftlicher Krach mit den kühlen, fernen Briten?", unkt der englische "Guardian" nun. Die argentinische Zeitung "Clarín" mahnt die Regierung, das Thema Falklandinseln sei zu heikel, als dass man zur Ablenkung von den gravierenden innenpolitischen Problemen nutzen könne.
Sagenhafte Mehrung des Vermögens
Skandale um Korruption und illegale Bereicherung erschüttern die Präsidentschaft Kirchners. Die Argentinier wundern sich seit geraumer Zeit über ihren stetig wachsenden Besitz im Ferienort Calafate. Dort besitzt die Familie mehrere Häuser und Hotels, ja das halbe Städtchen gehört ihnen. Und dorthin flüchtet sich Cristina am Wochenende mit ihrem Mann Néstor, ihrem Vorgänger in dem pinkfarbenen Amtssitz in Buenos Aires, der Casa Rosada.
Carlos Reutemann, ein früherer Gesinnungsgenosse und heutiger Rivale der Kirchners, höhnte: "Wir Argentinier können froh sein, wenn die Kirchners 2011 aus dem Amt scheiden und dabei nicht auch noch die Casa Rosada und die Plaza de Mayo mitnehmen." Die Plaza de Mayo ist der zentrale Platz in Buenos Aires.
Zudem wird gegen die vier Privatsekretäre der Regierungschefin ermittelt - sie sollen sich illegal bereichert haben. Die Herren bauten in den vergangenen Jahren Villen, kauften Grundstücke und Apartments. Berichten zufolge konnten sie in den vergangenen fünf Jahren ihr Vermögen um 750 Prozent bis 11.000 Prozent mehren. Ein Berater trat bereits Anfang Februar zurück, ein weiterer kündigte am Dienstag seinen Rückzug an.
Posse um Zentralbankchef
Der "polarisierende und auf Machtkonzentration bedachte Regierungsstil" der Kirchners - so hat es die Politologin Claudia Zilla von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin formuliert - bringt dem Polit-Paar viele Feinde ein.
Mit dem Vizepräsidenten Julio Cobos haben sie sich längst überworfen - er votierte im Kongress gegen ihre umstrittene Agrarpolitik. Cristina Kirchner fordert ihren Vize regelmäßig zum Rücktritt auf. Sie sagte eine Auslandsreise ab, aus Angst, er könne Entscheidungen treffen, die nicht in ihrem Sinne seien. Der Streit zeigt auch die Zerrissenheit des peronistischen Lagers.
Kirchners Kollisionskurs gipfelte in der Posse um den Zentralbankchef: Die Präsidentin feuerte Martin Redrado Anfang Januar, weil er sich weigerte, Devisenreserven der Notenbank für die Begleichung von Staatsschulden freizugeben. Ein Gericht setzte ihn jedoch einen Tag später wieder ein und blockierte die Überweisung der Gelder an das Finanzministerium. Die Polizei verweigerte Redrado daraufhin den Zutritt zum Sitz der Notenbank, der Banker wehrte sich, räumte aber schließlich seinen Posten.
"10.000 Leute finden, die Kirchner hassen"
Die aktuelle Krise überschattet aber auch die Erfolge der Kirchners. Néstor übernahm das Amt 2003 und führte Argentinien aus der schweren Krise, die das Land Anfang des Jahrzehnts erfasst hatte - die Wirtschaft war kollabiert, der Peso verfallen, Hunderttausende waren arbeitslos. Néstor konnte die Wirtschaft stabilisieren, bis 2008 wuchs sie sechs Jahre lang um fast neun Prozent jährlich. Doch die weltweite Rezession hat auch dieses südamerikanische Land getroffen, der Haushalt ist ins Defizit gerutscht und die Ausgaben steigen. Argentinien braucht Kredite, doch der Zugang zu den internationalen Finanzmärkten ist Argentinien seit der Krise weitgehend verschlossen.
Ausgerechnet Néstor Kirchner sehen einige als Löser dieser Probleme. 2007 verzichtete er auf das Amt des Präsidenten zugunsten seiner Frau, großen Einfluss auf die Politik übt er aber weiter aus. Von ihm soll die Idee stammen, dass der Posten in der Familie bleiben soll. Er könnte 2011 als Präsident kandidieren. Vergangene Woche wurde er allerdings wegen einer verengten Schlagader notoperiert.
Der Kampf der Kirchners hat auch das Internet erfasst. Auf Facebook sammeln sich in der Gruppe "Für Kirchner und Kirchner 2011" rund 2400 Mitglieder. Der Gruppe "Lasst uns 10.000 Leute finden, die Kirchner hassen" haben sich mittlerweile mehr als 190.000 Nutzer angeschlossen.