Rentenreform in Frankreich Jetzt streikt Macron

Nach tagelangem Generalstreik in ganz Frankreich legt die Regierung endlich die Eckpunkte ihrer umstrittenen Rentenreform vor. Dem Druck der Straße beugen sich Macrons Pläne jedoch nicht. Die Fronten verhärten sich.
Emmanuel Macron: Seine Rentenreform liegt vor

Emmanuel Macron: Seine Rentenreform liegt vor

Foto: Francois Mori/AP/ DPA

Jetzt liegt sie also auf dem Tisch: die Rentenreform des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Schon im Wahlkampf 2017 wurde sie angekündigt, aber dann lange im Ungefähren gelassen. Doch dann gab es vergangene Woche landesweite Massendemonstrationen gegen die Reform, seither wird in vielen öffentlichen Betrieben, darunter Eisenbahn, Krankenhäuser und Schulen, gegen sie gestreikt. Macron und seine Regierung mussten handeln.

In einer einstündigen Rede in Paris benannte Premierminister Édouard Philippe nun am Mittwoch die Eckpunkte der Reform: Sie soll alle betreffen, auch Minister und Abgeordnete, und einer gerechteren Verteilung der Renten dienen. "Die universelle Ausrichtung der Reform entspricht dem Ehrgeiz nach mehr sozialer Gerechtigkeit", sagte Philippe.

Doch kaum hatte er aufgehört zu reden, widersprachen ihm sogleich sämtliche, auch gemäßigtere Gewerkschaftsführer: "Eine rote Linie ist überschritten", antwortete Laurent Berger, Generalsekretär der nach Betriebsdelegierten stärksten französischen Gewerkschaft CFDT, die nicht an den Streiks und Demonstrationen teilnimmt. Zumindest bis jetzt nicht.

Was brachte die Gewerkschafter so auf die Palme? Premier Philippe betonte, dass man zwar an einem beitragsbasierten Rentensystem festhalten wolle, das darauf beruht, dass Jüngere für Ältere ihre Rentenbeiträge zahlen. Doch für alles andere kündigte er einschneidende Veränderungen an:

  • Mit einem neuen Punktesystem soll in Zukunft jede Arbeitsstunde im Rentensystem verrechnet werden. Bisher zahlen die Franzosen erst bei mehr als 150 Arbeitsstunden in drei Monaten ein. So sollen auch Gelegenheitsjobs und Teilzeitarbeit den Renten zuträglich werden.
  • Alle 41 berufs- und branchenspezifischen Rentenregelungen sollen auslaufen und in das allgemeine System überführt werden. Lokomotivführer, die bisher mit 52 Jahren in Rente gehen dürfen, können das in Zukunft frühestens mit 60 Jahren - zwei Jahre vor dem gesetzlichen Rentenalter von 62 Jahren. Egal wie schwer der Beruf ist, kann das Rentenalter nur noch um maximal zwei Jahre heruntergesetzt werden.
  • Das neue System soll ab 2022 für alle Berufsanfänger gelten. Für diejenigen, die 1975 oder später geboren sind, wird es schrittweise eingeführt. Wer älter ist, ist von den neuen Regeln nicht betroffen.
  • Franzosen, die länger als bis zu einem Alter von 62 Jahren arbeiten, sollen durch ein Bonussystem belohnt werden, damit das Durchschnittsrentenalter in Zukunft bei 64 Jahren liegt.

"Macron führt das Rentenalter von 64 Jahren ein", wütete dann auch der Führer der Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, nach den Ankündigungen der Regierung. Ähnlich verstand es auch CFDT-Chef Berger: Die Gewerkschaft hatte dazu geraten, strukturelle Reformen und Sparmaßnahmen zur künftigen Rentenfinanzierung voneinander zu trennen. Diese Trennung sieht Berger nun nicht mehr gegeben, weil das Rentenalter mit 64 Jahren "als haushaltspolitischer Ballast" unnötige Ängste vor den Strukturreformen schüre.

Gewerkschaftsprotest in Paris (am Dienstag): Gegen die Rente mit 64

Gewerkschaftsprotest in Paris (am Dienstag): Gegen die Rente mit 64

Foto: Kiran Ridley/Getty Images

Auch grundsätzliche Befürworter der Rentenreform sprachen von einem Fehler der Regierung. "Philippe hat eine sozialpolitisch gute Rede gehalten, aber eine politisch schlechte", sagte der Politologe Alain Duhamel, einer der renommiertesten politischen Kommentatoren Frankreichs, im Nachrichtensender BFM. Sozialpolitisch gut, so war Duhamel zu verstehen, weil ein neues System der Rentenbeitragsbemessung von allen Experten befürwortet wird. Politisch schlecht, weil Philippe in keiner Weise auf den aktuellen Streik und die ihn führenden Berufsgruppen einging. "Die Zeit der spezifischen Rentenregelungen geht zu Ende", sagte der Premierminister nur lapidar. Womit auch die Antwort der streikführenden, radikaleren CGT-Gewerkschaft klar war: "Wir rufen alle Berufsgruppen auf, den Streik zu verstärken", sagte deren Sprecher Philippe Martinez.

Premier Edouard Philippe: "Die Zeit der spezifischen Rentenregelungen geht zu Ende"

Premier Edouard Philippe: "Die Zeit der spezifischen Rentenregelungen geht zu Ende"

Foto: Thomas Samson/REUTERS

Die Fronten erscheinen damit verhärtet wie nie zuvor: Hier eine Streikbewegung, die erst am Vortag wieder Hunderttausende auf die Straße brachte und mit der CFDT nun eine der in Frankreich sozial- und betriebspolitisch glaubwürdigsten Stimmen dazugewinnen könnte. Dort eine Regierung, die auch unter dem Druck der Straße an Reformprinzipien festhält, die für Generationen neue Regeln schaffen sollen.

"Es gibt keinen sozialen Fortschritt mit dieser Reform", sagte Yves Veyrier, der Chef der dritten, in Frankreich enorm einflussreichen Gewerkschaft, Force Ouvrière (FO). Genau das hatte Philippe zuvor behauptet, indem er eine Mindestrente für Mindestlohnempfänger von 1000 Euro im Monat ankündigte. Doch Veyrier rechnete vor, dass ein Mindestlohnempfänger heute schon 980 Euro Rente bekommt. War das schon das Ende des Dialogs beider Seiten?

Ab Donnerstag werden nun branchenspezifische Verhandlungen zwischen Regierung und Gewerkschaften folgen. Etwa bei der Eisenbahn, die seit sechs Tagen in weiten Teilen des Landes stillsteht. Gerade die Berufsgruppen, die besonders günstige Rentenregelungen haben, können besonders effektiv streiken: dazu gehören auch Müllarbeiter, Angestellte der Ölraffinerien und Lastwagenfahrer. Sie können Frankreich weitgehend lahmlegen. Die Pariser Müllarbeiter mussten schon vor ein paar Jahren hinnehmen, dass ihr Rentenalter von 55 auf 57 Jahre stieg - werden sie sich jetzt 60 oder 62 Jahre bieten lassen?

Noch hat Präsident Macron selbst kein Wort zu den Streiks gesagt. "Kommt er mit dieser Reform durch, wird er der Präsident der Reformen sein, wenn nicht, wird er als erfolglos gelten", sagte Duhamel.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren