Republikaner in St. Paul Kulturkämpfer auf dem Kriegspfad
St. Paul - "Bist du schon erlöst?" Die dick geschminkte Lady packt mich und lässt nicht mehr los. In einem Mundwinkel klebt der Rest einer Crevette, Weingeruch umweht sie. "Hast du den Herrn Jesus Christus schon als deinen Erlöser akzeptiert?"
Da das mehr klingt wie ein Befehl, murmele ich ausweichend etwas von "nicht so religiös" und "früher mal Katholik". Was die Dame nur noch ermutigt: "Ein Katholik!", ruft sie. "Katholiken sind die besten Soldaten gegen das Böse." Das Böse? "Abtreibung. Homosexualität. Liberalismus."
Szenen einer Parteitagswoche. In einem Hotel in St. Paul - das mir ein Einheimscher als "die langweiligste Stadt der USA" beschrieben hat - scharen sich rund 700 Christlich-Konservative ums warme Büfett. Eine Altherrenkombo spielt Louis Armstrong, "What a Wonderful World". Viele im Saal haben dazu schon das Tanzbein geschwungen, als Lyndon B. Johnson Präsident war und Armstrong noch selbst die Trompete blies.
Die weinselige Dame heißt Janet Thomas und kommt aus dem Bundesstaat Mississippi. Neben ihr steht Terri Herring, die mitteilt, sie sei die Sekretärin von Choose Life, einer Gruppe von Abtreibungsgegnern in Jackson: "Wir haben da nur noch eine Abtreibungsklinik übrig!"
Beide Ladys sind Baptistinnen, beide sind angeheitert. "Wir Republikaner", sagt Herring bestimmt, "haben das Monopol auf Gott und das Gute."
Christlich-Konservative sonnen sich im Rampenlicht
Solch fanatischer Schulterschluss, der einen säkularen Europäer zunächst erschreckt, kommt nicht von ungefähr. Der Wahlparteitag der US-Republikaner, auf dem sie den einstigen Paria John McCain zum Präsidentschaftskandidaten kürten, begann zwar mit einem Stimmungskiller, dem Hurrikan "Gustav", der ihnen eine eintägige, obligatorische Pietätspause verordnete.
Doch dann ging's schnell rund: Der viertägige Konvent wurde zum Triumph der längst abgeschriebenen, christlich-konservativen, weißen Parteibasis, die dabei einen neuen US-Kulturkrieg um Gott und die Macht ausrief. Das offenbarte sich überall hier in der Hauptstadt Minnesotas, dem "Land der 1000 Seen", das eigentlich auf seine liberal-unabhängige Geschichte stolz ist.
Es zeigte sich an besagtem Ballsaal-Büfett zu Ehren der Vize-Kandidatin Sarah Palin: Da zog die stramm rechte Radiotalkerin Laura Ingraham unter lautem Jubel über Barack Obama her, diesen "Sack mit so viel Geld" - wobei sich nur Stunden später die milliardenschweren Spender ihrer eigenen Partei bei einer tollen Lobbyisten-Sause selbst feierten.
Es war bei Pat Robertson zu beobachten, dem Gründer der fundamentalen Christian Coalition: Der sonnte sich nach längerer Verbannung hier plötzlich wieder im grellen Rampenlicht. "Die Evangelikalen-Bewegung", freute er sich, "ist von so viel neuer Energie erfüllt, wie ich es seit Jahren nicht mehr erlebt habe."
Oder am Donnerstag beim Blick hinab in die Arena des Xcel Energy Centers: Da grölten die Delegierten, nach Gebet und Fahneneid, immer dann am lautesten, wenn der 72-jährige McCain "Gott" und "Nation" sagte. Nur 36 dieser 2380 Delegierten waren Schwarze - so wenig wie seit den sechziger Jahren nicht.
Und schließlich konnte man auch seine Schlüsse daraus ziehen, wie sie an diesem Abend mit den wenigen Kriegsgegnern umgingen, die den Kandidaten von der Tribüne aus mit Sprechchören unterbrachen und ein Banner hissten: "Eine Besatzung kann man nicht gewinnen." Schneidige Jungs sprangen sofort herbei und zerrissen das Banner. Die Kriegsgegner wurden von der Menge niedergebrüllt: "USA! USA!"
Elchjägerin Palin schießt auf die Demokraten
Ex-Stratege Karl Rove, der verhasst-verehrte Meister des Parteienzwists, dürfte daran seinen Spaß gehabt haben. Als er strahlend in der Studiologe des konservativen Senders Fox News erschien, bekam er Szenenapplaus aus dem Plenum.
Und so wurde in St. Paul die Hetzjagd auf die Demokraten eröffnet. Mit scharfen Schüssen, und die schärfsten stammten aus der Büchse der Elchjägerin Sarah Palin, die es dank ihres Familiendramas um die schwangere, minderjährige Tochter in dieser Woche zum Covergirl solch erlauchter Blätter wie dem "National Enquirer" schaffte.
Palin schmetterte alle Zweifel an ihrer Bestallung zur Vize-Kandidatin hämisch ab, riss dabei alte Kluften zwischen Rechten und Linken auf und gab so den rücksichtslosen Ton für den Rest dieses Wahlkampfs vor.
In seiner Rede beklagte McCain, wie so oft, den "konstanten Hass zwischen den Parteien" in Washington und versprach, als einende Kraft zu dienen. Seine Vasallen hoben derweil die Schützengräben noch ein bisschen tiefer aus.
Die republikanischen Männer und Frauen geben sich traditionell
Die Republikaner erwiesen sich dabei als viel disziplinierter als die Demokraten, die in der Woche zuvor ihr eigenes Familiendrama aufgeführt hatten - zwischen den Clintons und den Obamas. Sie blieben strikt bei ihrer Botschaft, "on message" sagen sie hier, trotz Hurrikan "Gustav". Die Männer warfen mit Worten wie "Ehre", "Pflicht", "Nation", "Krieg" und "Sieg" nur so um sich. Die Frauen, in steifen Kostümen, folgten Palins Aufruf zum neuen Geschlechterkampf um die Wechselwähler.
Sie alle kamen unter massivem Polizeiaufgebot zusammen. In St. Paul waren die Cops viel sichtbarer, wirkten viel martialischer als in Denver. Sie trugen schwarze Kampfuniformen, mit Schlagstöcken und Tränengas am Gürtel.
Jeden Tag empfingen mich am Parkhaus des Xcel Centers acht uniformierte Secret-Service-Beamte und durchsuchten meinen Mietwagen nach Bomben. Ein Spürhund beschnüffelte den Kofferraum. Ein Beamter leuchtete unter die Motorhaube, ein anderer guckte mit einem Spiegel unter die Karosserie. Am Ende kannten wir uns so gut, es wurde kameradenhaft salutiert.
Da konnten auch die 10.000 Demonstranten wenig ausrichten, die am ersten Sitzungstag durch die Stadt zogen, weitgehend ignoriert von den TV-Networks. Es gab ein paar Scharmützel, es wehte sogar Tränengas durch die Straßen. Mehr als 300 Personen wurden festgenommen, darunter die prominente linke Journalistin Amy Goodman. Das Video, das zeigte, wie ihr die Arme verdreht wurden, wurde zum YouTube-Hit der Woche.
Die Medien käuen kritiklos Wahlkampfkost wider
"In diesem Herbst steht die Freiheit auf dem Wahlzettel", rief Senator John Ensign am Donnerstag. Die Pressefreiheit hat er wohl nicht gemeint.
Freiheit - dieser abgegriffene, doch wirksame Schlachtruf, mit dem sie schon 2004 George W. Bush zur zweiten Amtszeit verholfen hatten. Nun fährt McCain den gleichen Kurs.
Auffällig, wie oft sie in diesen Tagen und vor allem am Donnerstagabend 9/11 erwähnten, in Ton und Bild. Und den Umstand, dass wir "in einer gefährlichen Welt leben" (Senator Mel Martinez), also keinen Grünschnabel wie Obama an die Macht kommen lassen dürfen.
Jede Rede, jeder Auftritt zeichnete diesen Gegensatz: McCain, der Patriot. Obama, der Exot, der "wunderschön reden kann", doch den Wal-Mart- und Nascar-Wählern fremd ist.
Spätestens Palins Brandrede peitschte sie da vollends auf. Siegesgewiss johlten sie einander zu. Einige steckten sich triumphierend Zigarren in den Mund. Kalte natürlich - im Xcel Center herrscht politisch korrektes Rauchverbot.
Die Scheinheiligsten von allen aber waren die US-Medien. Weitgehend kritiklos käuten sie die vorgesetzte Wahlkampfkost wieder. Und wenn sie mal forsch nachhakten, wie Campbell Brown von CNN, ließen sie sich widerspruchslos vom McCain-Team abstrafen.
Nur die Kabarettisten von der "Daily Show" behielten einen klaren Kopf. Sie entsandten einen "Korrespondenten" zum Airport, wo dieser live vom Klo in Concourse G, Gate C-11 berichtete - jenem Abort, in dem sich der Abgeordnete Larry Craig voriges Jahr beim Füßeln mit einem feschen Undercover-Cop erwischen ließ.
"Jesus ist das Maß", stand auf einem Plakat, das ein greises Ehepaar auf seinen Truck geschnallt hatte, in Solidarität mit den Gästen. "Wahrheit statt Toleranz." Drinnen im Ballsaal griff sich Janet Thomas noch eine Crevette. "Wir gewinnen im Kampf um Gott an Boden", frohlockte sie und klopfte mir beruhigend auf die Schulter. "Und du wirst mit dabei sein."