Rikscha-Report Malaysias angekündigter Staatsstreich
Singapur Natürlich drehte sich alles wieder nur um die magische Zahl 30. "Jeder weiß, es geht um 30", sagte ein Reporter, als Anwar Ibrahim heute Morgen in Singapurs Mandarin Hotel vor ausgesuchten Medienleuten seinen Kaffee schlürfte. "Kriegen sie 30 zusammen?"
Anwar Ibrahim trägt einen verdammt gut sitzenden Nadelstreifenanzug, und mit 60 Jahren, muss man neidlos zugestehen, sieht er noch sehr fit aus. Wie immer, wenn der ehemalige Vizepremierminister Malaysias losredet, dann kreist er in landestypischer Art, erst mit scheinbar belanglosen Plaudersätzen um die Kernaussage, die dann plötzlich wie ein Dampfhammer niederrauscht.
Er sei ja 1998, als ihn Ex-Premier Mahathir bin Mohamad wegen vermeintlicher Korruption für sechs Jahre ins Gefängnis werfen ließ, so schwer verprügelt worden, dass er 60 Prozent seines Gehörs verloren hatte, nur noch schlecht sehen und kaum noch laufen konnte. "Gott sei Dank bin ich wieder fit", sagt er. Aber er wolle ja nicht ewig Premier bleiben, sondern nur zwei Amtsperioden, wie es seine "Parti Keadilan Rakyat" erlaube. "Wir kleben nicht an der Macht."
"Ach ja, 30", fügte er dann hinzu, und alle Zuhörer können sich ein Lachen nicht verkneifen. Das wäre natürlich eine knappe Mehrheit, und er hoffe auf mehr. Aber 30 Parlamentsmitglieder der Regierungspartei würden schon bald überlaufen. "Ich bin zuversichtlich, dass Kuala Lumpur am 16. September eine neue Regierung hat."
Die Chancen für Demokratie stehen nicht schlecht
Glaubt man Anwar Ibrahim, dann ist Malaysias revolutionäre Umwälzung, weg von einer autoritären Regierung mit eingeschränkter Presse- und Meinungsfreiheit, voll Korruption und Vetternwirtschaft, hin zu demokratischen Strukturen, nur noch ein Rechenexempel. Und seine Chancen stehen wohl gar nicht schlecht. Denn obwohl es hinter Burmas Zyklon und Chinas Erdbeben nicht in die Schlagzeilen geriet, das südostasiatische Land und seine 22 Millionen Einwohner befinden sich seit dem 8. März im Aufruhr.
Dies war nämlich das Datum der Parlamentswahl in Malaysia. Ein wahrhaft schwarzer Tag für den seit knapp fünf Jahrzehnten alleinregierenden Koalitionsblock "Barisan Nasional" (BN) um die UMNO-Partei von Premier Abdullah Badawi. Er ist der Nachfolger von Großmaul und Ewig-Besserwisser Mahathir, 82.
Trotz allerhand Tricks und Schiebereien hatte ihre Gruppierung bei dem Urnengang mit 51 Prozent das schlechteste Wahlergebnis seit der Staatsgründung 1963 eingefahren. Seitdem werden nicht nur fünf der 13 Bundesstaaten vom oppositionellen Drei-Parteienbündnis "Peoples Alliance" regiert, das Anwar Ibrahims Frau Wan Azizah Wan Ismail anführt. Auch verfügt die Regierungspartei von Abdullah seit dem 8. März nur noch über eine, für malaiische Verhältnisse hauchdünne Mehrheit, von 30 Abgeordneten im 222-köpfigen Nationalparlament.
Dass diese demnächst ins Oppositionslager überlaufen und von wo, scheint der ehemalige politische Gefangene Anwar Ibrahim hinter den Kulissen schon ausgehandelt zu haben. Denn der 16. September ist der Tag, an dem die beiden britischen Kolonien Sabah und Sarawak 1963 dem malaiischen Bundesstaat beitraten. Wahrhaft ein Wink mit dem Zaunpfahl.
Umgekehrte Apartheid "Made in Malaysia"
Denn gleichwohl die beiden Gliederstaaten mit ihren reichen Ölreserven ein Großteil der Staatseinkünfte Malaysias erwirtschaften, gelten die beiden Regionen auf der Insel Borneo als Armenhaus der Nation. In beiden Staaten stellen zudem christliche Ureinwohner und Chinesen die Mehrheit.
Dass Anwar Ibrahim ihnen eine Menge zu bieten hat, haben die Parlamentarier der beiden Regionen in den letzten Wochen bereits in jenen fünf Staaten verfolgen könnten, die jetzt von Wan Azizas Peoples Alliance regiert werden.
Zuerst hat das Bündnis, dem auch die radikal-islamische "Parti Islam Se-Malaysia" (PAS) angehört, dort gleich in der Wahlnacht die schlimmsten Auswirkungen der "Bumiputra" Politik eingestampft. Das absurde Verordnungswerk, das für "Söhne der Erde" steht, hatte über knapp vier Jahrzehnte die islamische malaiische Bevölkerungsmehrheit zu Lasten der hart arbeitenden chinesischen und indischen Minderheit begünstigt. In den fünf Gliederstaaten ist diese Form der umgekehrten Apartheid "Made in Malaysia" jetzt vorbei.
In Perak etwa bekommen erstmals auch Chinesen das Recht, Land zu erwerben. Bisher war das nur den muslimischen Malaien gestattet, obwohl auch die Chinesen Staatsbürger Malaysias sind. Und in Penang, dort wo vor Wochen Abdullahs UMNO in einer Politik mit stark rassistischen Untertönen einen indischen Tempel abreißen ließ, debattiert jetzt erstmals in der Geschichte des mehrheitlich islamischen Landes ein "Rat für interreligiöse Angelegenheiten" die Richtigkeit der Entscheidung. Auch wirtschaftlich läuft in den Oppositionsterritorien nichts mehr, wie es einmal war. Seit Mitte März werden sämtliche Regierungsaufträge nur noch nach Ausschreibungen vergeben.
Briefumschlag mit Neun-Millimeter-Patrone
Dass diese Politik nicht allen gefällt, weiß Anwar Ibrahim nur zu gut. "Die Bumiputra Politik hat vor allem die Familienangehörigen von Ministern und wenige malaiischen Geschäftsleute sagenhaft reich gemacht", sagt er. Und die wehren sich jetzt mit ihren altbekannten Methoden der Einschüchterung und Drohung.
Erst vor wenigen Tagen hat der malaiische Geheimdienst den vom Studentenführer zum Vizepremier, dann zum politischen Gefangenen und jetzt wieder zum Chef der Opposition gewandelten Politiker Anwar Ibrahim gewarnt. Es sei wohl nötig, dass er die Zahl seiner Bodyguards erhöhe, sonst könne man für seine Sicherheit nicht mehr garantieren.
Anwars Ibrahims Mitstreiter Karpal Singh, Vorsitzender der "Democratic Action Party" (DAP), haben Unbekannte dieser Tage schon einen Briefumschlag mit einer Neun-Millimeter-Patrone zugestellt. Auf seinem Anrufbeantworter drohte ein Stimme: "Die nächste Kugel findet man in deiner Stirn."
Anwar Ibrahim ist dennoch zuversichtlich, dass der von ihm geplante Regierungswechsel friedlich vonstatten gehen wird. Demnächst muss ein Gericht ihm die seit seiner Haftentlassung im September 2004 noch immer nicht wiederhergestellten politischen Rechte gewähren. "Dann kann es losgehen". sagt er. Die magische Zahl für ein ganz neues Malaysia bleibt 30, das Datum für die Wende ist der 16. September 2008. So lautet jedenfalls die Planung.