Rikscha-Report Reden, essen, beten - Indonesiens Anti-Terror-Dschihad
Yogjakarta - Fast hätte ich Nasir Abbas, 39, übersehen. Er hatte den Schild seiner roten Baseballkappe lässig ins Genick geschoben. In seinem gelben T-Shirt, Bluejeans und Turnschuhen wirkte er beinahe wie einer der vielen einheimischen Touristen, die am Gepäckband im Flughafengebäude der zentraljavanischen Stadt Yogjakarta geduldig auf ihre Koffer warteten. Als sich unsere Blicke kreuzten, setzte er ein verschmitztes Grinsen auf, das nur noch breiter wurde, als ich ihm meine Begrüßung zuraunte: "Was, du hast keine Bodyguards bei dir?" Er schüttelte den Kopf: "Wer trachtet mir schon nach dem Leben", antwortete er, und dann musste er selbst lachen. Denn das war natürlich ein Understatement - ein ziemlich großes sogar.
Denn Nasir Abbas war einst Chefausbilder der Terrorgruppe Jemaah Islamiah (JI). Vor knapp vier Jahren wurde er verhaftet - heute reist er für die Anti-Terror-Einheit "Densus 88" ("Special Detachment 88") der indonesischen Polizei in dem südostasiatischen Inselarchipel umher. In arabischen Ländern stehen Kronzeugen und abtrünnige Gotteskrieger wie er auf der Abschussliste ihrer früheren Mitkämpfer und müssen sich versteckt halten. Nicht so in Indonesien, dem mit mehr als 190 Millionen Gläubigen größten muslimischen Land der Erde. Nasir Abbas hat keinen Personenschutz und wurde nicht einmal vom Flughafen abgeholt. Noch immer ein gläubiger Muslim sagt er lakonisch: "Gott schützt mich", und nimmt seinen Koffer vom Band.
Da wir uns schon seit Jahren aus zahlreichen Treffen, Interviews und Hintergrundgesprächen kennen, beschlossen wir das Taxi zur Stadt zu teilen. Und kaum fuhr der Wagen los, da fing der Ex-Terrorist, der in Singapur aufwuchs, in Afghanistan ausgebildet wurde und später JI-Nachwuchskader in den Südphilippinen das Bombenbauen lehrte, auch schon an zu erzählen.
Die 550.000-Einwohnerstadt Yogjakarta ist nicht nur eine Art kultureller Nukleus der indonesischen Hauptinsel Java. Seit Jahren hat sich die alte Sultanstadt auch als Zentrum radikaler Muslime und Islamisten etabliert. In einem Bauernhaus unweit von hier hatten Gotteskrieger des al-Qaida Ablegers Jemaah Islamiah im Sommer 2002 den ersten Bali-Anschlag geplant, bei dem Wochen später 202 Menschen, darunter auch sechs Deutsche, ums Leben kamen.
Umkehr in der Gefängniszelle
Vor ein paar Wochen waren den Fahndern von "Densus 88" in Yogjakarta mit Abu Dajuna und Zarkasi wieder zwei bedeutende Führer der Gruppe ins Netz gegangen. Abu Dujana galt wohl als einer der Waffenmeister. Zarkasi, vermuten die Fahnder, war mit für die Finanzen der Gruppe zuständig, die noch immer mehrere Tausend Mitglieder zählt.
Freimütig erzählt Abbas, was seine Aufgabe jetzt sein sollte: Er sollte die Festgenommenen durch Gespräche umdrehen. Dafür setzt er sich tagelang zu seinen ehemaligen Kampfgenossen in die Zelle. Weil Abbas lange ihr Ausbilder war und sein Bruder noch immer in Singapur als JI-Mitglied im Gefängnis sitzt, akzeptieren sie den ehemaligen Mitkämpfer als vertrauenswürdigen Gesprächspartner. "Ich möchte sie von ihren Fehler überzeugen", sagte er. "Der Islam erlaubt keine Gewalt. Wir reden, essen und beten zusammen." Mein skeptisches Stirnrunzeln quittiert Abbas nur mit einem zuversichtlichen Lächeln: "Wir werden den Kampf gewinnen."
Lange war Indonesien für sein allzu zögerliches Vorgehen im Kampf gegen den Terror heftig kritisiert worden. Nicht nur von den Regierungen des Nachbarlandes Australien und der USA hagelte es heftige Proteste. Auch die Mitgliedstaaten in der Gemeinschaft Südostasiatischer Nationen (ASEAN), der Indonesien angehört, zweifelten nach dem 11. September, ob es Jakartas Regierung ernst sei mit dem Kampf gegen den Islamisten-Terror. Würde die junge Demokratie mit ihren 230 Millionen Bewohnern bald unter dem Druck des radikalen Islam zugrunde gehen? Das war nur eine der häufig gestellten Fragen. Und als leuchtendes Beispiel hielten Kritiker Jakarta das Beispiel der Philippinen vor.
Wie sich Manila im Kampf gegen den Terror martialisch gibt - und Rückschläge einstecken muss
Auch die Regierung in Manila, Herr über 83 Millionen Bürger und als ehemalige Kolonie der USA treuer Gewährsmann der Politik Washingtons in Südostasien, kämpft seit Jahrzehnten einen verlustreichen Krieg gegen islamische Freischärler und Separatisten. Gruppen wie die "Islamische Moro Befreiungsfront" (MILF), die bisweilen bis zu 10.000 Mann unter Waffen hatte, kämpfen für die staatliche Unabhängigkeit der gut vier Millionen muslimischen "Moros" im Süden des mehrheitlich katholischen Landes.
Weil die MILF-Splittergruppe Abu Sayyaf ("Vater des Schwerts") auch intensive Verbindungen zu al-Qaida unterhielt, war es denn nur allzu logisch, dass Manila sich nach dem 11. September Washingtons Kampf gegen den Terror anschloss. Unter der Anleitung amerikanischer Militärberater focht die philippinische Armee bald im Dschungel der Insel Jolo - dort, wohin die deutsche Urlauberfamilie Wallert im Frühjahr 2000 entführt worden war - gegen die Terrorgruppe Abu Sayyaf.
"Wir machen mit Terroristen keine Kompromisse", hatte Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo vollmundig verkündet. Und diese Strategie schien aufzugehen. Im vergangenen Jahr stimmte die MILF einem Waffenstillstand mit Manila zu. Und auch die Abu Sayyaf schien nach dem Tod ihrer Führer auf den Schlachtfeldern im Dschungel nur noch Geschichte.
USA-Nähe ist für Indonesiens Präsident riskant
Derartig martialisches Auftreten wäre in Indonesien nicht möglich. Die schweigende Mehrheit, immerhin zu gut 90 Prozent muslimisch, würde sich mit den Radikalen solidarisieren, ist die Befürchtung der Regierung. Das könnte die junge Demokratie sicher nicht verkraften. Das Land ist zwar westlich orientiert und folgt einem gemäßigten Islam. Doch allzu offenes Eintreten für die Politik der USA grenzte für jeden Präsidenten an politischen Selbstmord.
Also reden die Vertreter der Anti-Terror-Einheit "Densus 88" auch nicht viel darüber, dass sie seit dem ersten Bali-Anschlag mehr als 300 JI-Terroristen und Mitläufer gefasst haben und ihre Expertise natürlich auch von westlichen Diensten stammt. Und für das, was danach kommt, sind Leute wie Abbas gefragt.
"Wenn ich Abu Dujana von seinen Fehlern überzeuge, dann ist mehr geholfen, als wenn er von unseren Terrorfahndern erschossen wird", sagt er zum Abschied in Yogjakarta. "Schließlich verbietet mir mein Glaube Gewalt", schiebt er noch mit einem verschmitzten Lächeln nach. "Das ist mein Dschihad."
Drei Wochen nach unserem Treffen in Yogjakarta berichten die Zeitungen in Indonesien, dass Abbas sanfter Anti-Terror-Dschihad einen weiteren Erfolg verbuchen konnte. Zarkasi habe sich bereiterklärt wie Abbas als Kronzeuge gegen seine ehemalige Terrororganisation Jemaah Islamiah auszusagen. Abu Dujana gab sogar TV-Interviews in seiner Zelle, in denen er lange darüber dozierte, dass der gewaltsame Dschihad ein Fehler sei.
Rückschläge an der "zweiten asiatischen Front"
Und auf den Philippinen? Dort hat die Armee im Juli ihren schwersten Rückschlag erlebt, seit sie den Süden des Landes vor knapp fünf Jahren zur "zweiten asiatischen Front" (nach Afghanistan) im Kampf gegen den Terror ausrief. Auf der Suche nach einem entführten italienischen Priester, geriet eine Gruppe der Eliteeinheit Marines auf Basilan, der Nachbarinsel von Jolo, in ein von der MILF kontrolliertes Gebiet.
Der Waffenstillstand brach. Es kam zu stundenlangen Feuergefechten und am Ende lagen 14 Soldaten tot im Dschungel. Zehn der Opfer wurde nach der Schlacht der Kopf angeschnitten. Verantwortlich für die Gräueltat berichten Geheimdienste, seien Abu-Sayyaf-Rebellen gewesen, während 130 Kämpfer der MILF dem grausamen Treiben tatenlos zusahen.
Die Beobachter sind sich einig: Von einem Ende der Abu Sayyaf zu reden, von Waffenstillstand mit der MILF und Frieden im muslimischen Mindanao, sei wohl etwas zu früh gewesen. Präsidentin Arroyo ließ verkünden, sie werde an ihrer Strategie im Kampf gegen den Terror nichts ändern.
Nasir Abbas an seinem friedlichen Dschihad wohl auch nichts.