Rikscha-Report Singapur, du machst mir Angst
Singapur Eigentlich begann die Geschichte in Wien, wo ich zuletzt stationiert war. Als bei unserem Nachbarn Axel eines Nachts Einbrecher im Schlafzimmer standen, sagte mein Frau: "Nichts wie weg hier." Die Vorstellung, einen kleiderschrankgroßen Russen nachts um drei im Wohnzimmer durch das Tafelsilber wühlen zu sehen, ließ sie so sehr schaudern, dass sie forderte: "Ich will zurück nach Singapur, da ist frau wenigstens vor Verbrechern sicher."
Meine Frau ist bekennende Taiwanesin, Tochter der aufregenden Insel im chinesischen Meer, wo sich debattierende Parlamentarier schon mal gegenseitig ein Mikrofon auf den Kopf schlagen. Ein Seufzer der Erleichterung ging durch die Familie, als wir im Sommer 2005 in Singapur landeten.
Aber die Begeisterung für Asiens sauberste Stadt erhielt schon beim Umzug einen Dämpfer. Als die Packer unsere Kartons öffneten, schauten wir einen Moment weg - schon war meine Handycam weg. Wie früher Luise Rinser, die im höheren Alter anfing, im Geiste mit Kim Il-Song zu reden, wende ich mich bei Lebenskrisen bisweilen an höhere Instanzen. "Singapur, was ist bloß los mit dir", betete ich so vor mich hin, was offenbar vom Umzugsunternehmer gehört wurde. "Meine Leute klauen nicht", sagte er, "wir zahlen alles." So hatten wir das auch erwartet und lebten wieder sorgenfrei im Tropenparadies.
Aber nicht mehr lange. Bald wurden wir, zumindest für hiesige Verhältnisse, Opfer einer beispiellosen Verbrechensserie. Dass sich das Handy meines Kleinen ("der Regimekritiker") im Toilettenbecken der deutsch-europäischen Schule wiederfand, ließe sich ja noch als landestypische Bestrafung abtun. Besser als die sonst üblichen Hiebe mit der Rattanpeitsche auf den blanken Hintern.
Kurz danach wurden meinem Ältesten, damals 17, zweimal die Schuhe geklaut. Zuerst im noblen Swiss-Club. Ich frage mich zwar bis heute, warum er nachts um 10 Uhr dort die Schuhe ablegte. Als Wochen später am Strand der rätselhafte Sportschuhdieb erneut zuschlug, brach mein Weltbild zusammen. Verarmte Straßenkinder, die Schuhe entwenden? Das kann nicht sein in Singapur. Aber es war erst der Anfang.
Denn am 2. Juni 2007 stand morgens um vier ein Einbrecher in unserem Schlafzimmer. Ich dachte zuerst, dass ich träume. Als er nach meiner Omega-Uhr auf dem Nachttisch griff, den Laptop meines Kleinen unterm Arm, entschloss ich mich zur Verfolgung. Aber der Kerl war schneller.
Fingerabdrücke machen Verkäuferin zur Verdächtigen
Unsere Fachkräfte von der "Singapore Police Force" werden es schon richten, sagte ich zu meiner Frau und wählte den Notruf 999. Alles lief jetzt wie am Schnürchen. Bereits nach 20 Minuten standen drei Beamte im Wohnzimmer, und einige Stunden später nahm die Spurensicherung Fingerabdrücke von allen Glasscheiben im Haus, dazu auch von der Brieftasche meiner Frau, samt den darin gestapelten Kassenbelegen. Denn auch aus ihrer Börse wurde Geld gestohlen. Leider konfiszierten die Beamten nicht ihre Kreditkarten, aber das ist eine andere Geschichte.
Denn zwei Tage später erfüllte mich angenehme Erregung. Der Ermittler rief an und sagte: "Wir haben sie." - "Sie?" fragte ich. "Ja, es ist eine Frau, von der wir die Fingerabdrücke in ihrem Haus gefunden haben." Nach kurzem Gespräch stellte sich heraus, dass die Beamten nur den Fingerabdrücken auf den Kassenbelegen gefolgt waren. Deshalb wurde die Kassiererin aus dem Supermarkt, in dem meine Frau einkauft, verdächtigt, bei uns eingebrochen zu haben.
Den geknackten Spind in der Schule - auch noch ein MacBook weg -, das registrierten wir kaum noch. Denn tiefe Depression hatte die gesamte Familie befallen. Ich persönlich machte mir ernsthafte Sorgen um den Zustand der Sicherheitsorgane in meiner Wahlheimatstadt. Und es kam, wie es kommen musste: Als ich letzten Mittwochabend spät nach Hause kam, riegelte ein Bataillon Spezial-Kräfte der Polizei, verstärkt von nepalesischen Gurkhas, unser Viertel ab. Taschenlampen leuchteten in unseren Vorgarten.
Terroristenknast in der Nachbarschaft
Ich muss betonen: Wir leben in einer respektablen Nachbarschaft. Aber in dem Dschungelgebiet gerade 500 Meter hinter unserem Haus gibt es nicht nur verwilderte Friedhöfe, sondern auch das Gefangenenlager der Regierung für mutmaßliche Terroristen. Nach dem "Internal Security Act" (ISA) können Verdächtige, die eine mögliche Gefährdung für die Sicherheit darstellen, auf unbestimmte Zeit und ohne Gerichtsurteil in Haft genommen werden. So wurde Mas Selamat bin Kastari 2006 von Indonesien ausgeliefert und sitzt seitdem in einer Einzelzelle ohne Kontakt zur Außenwelt.
Als vermeintlicher Chef der Singapur-Filiale der Terrorgruppe Jemaah Islamiyah ("Gemeinschaft des Islam") soll Mas Selamat, 47, geplant haben, ein Verkehrsflugzeug über Singapur abstürzen zu lassen. Am Mittwoch nutzte er den bevorstehenden wöchentlichen Familienbesuch, bat austreten zu dürfen und ward nicht mehr gesehen. Seitdem jagt die "Löwenstadt" den Superterroristen, der aus dem Toilettenhäuschen des Hochsicherheitstrakts entkam. Jede Nacht durchkämmen die Sicherheitskräfte Waldgebiete, Stadtparks und Villenviertel.
Rohan Gunaratna, al-Qaida-Fachmann und selbsternannter Terror-Papst (in diesem Zusammenhang vielleicht das nicht ganz richtige Wort), sprach davon, dass jetzt die "Sicherheit der Stadt ernsthaft gefährdet" sei.
"Schauen Sie ihm nicht direkt in die Augen!"
Die Grenzen sind zwar seit Donnerstag abgeriegelt. Aber gerade das macht mir Angst. Besonders seit die Fahndungsdetails des "gefährlichen muslimischen Extremisten" in Umlauf sind. Sie wurden an alle 5,5 Millionen Handy-Kunden der Stadt verschickt. Mas Selamat wechsele nicht nur sein Aussehen, hieß es darin. Manchmal trage er Sonnenbrille und rasiere sich eine Glatze. In einem afghanischen Terrorcamp ausgebildet, handelt es sich offenbar um eine wahre Kampfmaschine. Er ist nämlich 1,58 Meter groß und 63 Kilogramm schwer. Außerdem hinkt er sichtbar auf dem linken Bein. Das kennt man ja von einem ganz anderen Vertreter der Unterwelt. "Schauen Sie ihm nicht direkt in die Augen", warnt die Polizei.
Kein Wunder, dass in den Büros, Garküchen und Kaffeehäusern der Stadt wilde Gerüchte die Runde machen. Eines lautet, die Polizei habe Mas Selamat unter Narkose einen Sender eingepflanzt, um so dessen Kumpanen auf die Spur zu kommen. Ein weiteres nährt muslimische Verschwörungstheorien: Er sei im ISA-Gefängnis wie auch immer verstorben, und die Polizei ziehe nun die Super-Terrorjagd ab, weil sie Angst vor Anschlägen seiner Glaubensbrüder habe.
Mir ist das gleich. Seit mehrere hundert Soldaten gestern morgen mein Lieblings-Joggingpark im Naturschutzgebiet Bukit Timah durchkämmten, gehe ich nur noch für wichtige Besorgungen außer Haus.
Singapur, du machst mir Angst. Ich glaube, ich ziehe bald um. Ins Russen-Wien? Kommt nicht in Frage. Peking vielleicht. Ein richtiger Polizeistaat hat doch was. Meines Wissens ist dort auch noch kein "Terrorist" aus einem Arbeitslager entkommen. Zumindest nicht lebend.